Wer in Bayern ein Grundstück gekauft oder geerbt hat, musste lange damit rechnen, dass ihm die Gemeinde den Ausbau der daran vorbei führenden Straße von der Schotterpiste zum modernen, sicheren Verkehrsweg in Rechnung stellt - und sei es auch Jahrzehnte nach den Arbeiten. Den Anwohnern der Autharistraße flatterte nun die Ankündigung solcher Gebührenbescheide für Februar ins Haus, womit sie, zumindest in München, zu den letzten Betroffenen der umstrittenen Praxis gehören könnten.
Dem ersten Schock über manchmal fünf- bis sechsstellige Gebührenrechnungen waren landauf, landab immer mehr Bürgerproteste und Gerichtsverfahren gefolgt, ehe der Landtag das Kommunalabgabengesetz 2016 schließlich überarbeitete und eine Verjährungsfrist von 25 Jahren für "Ersterschließungsbeiträge" einführte, gültig ab dem ersten Spatenstich. Die Frist greift erst nach einer fünfjährigen Übergangsphase, die am 31. März 2021 endet. Mit der angekündigten Rechnungsstellung im Februar könnte die Stadt also gerade noch nach alter Rechtslage Kosten eintreiben, die wohl großteils in den frühen Sechzigerjahren entstanden sind.
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Der Nordabschnitt der Autharistraße ist dabei eine von inzwischen noch acht längst fertig gestellten Münchner Straßen, deren Ausbau bisher nicht abgerechnet wurde. Laut Baureferat müssen die Anwohner mit Beiträgen im "niedrigen vierstelligen Bereich" rechnen. Halbwegs günstig dürften sie damit wegkommen, da die Stadt nach Bürgerprotesten inzwischen nicht mehr zehn Prozent der Kosten trägt, sondern ein Drittel. Zuletzt erhoben wurden Beiträge in der Defregger-, Linden-, Mangfallstraße und einem Teil der Rabenkopfstraße in Harlaching sowie am Pläntschweg in Obermenzing. Eine städtische "Abrechnungsliste" zählt noch sieben weitere, sofort umlagefähige Straßen in den Stadtbezirken Sendling-Westpark, Neuhausen-Nymphenburg und Moosach auf.
Insgesamt waren Mitte der Neunzigerjahre bei der Änderung des Abgabengesetzes von etwa 6200 Münchner Straßen rund 1000 noch nicht abgerechnet. Eine Liste, die die Stadt anschließend nach verschiedenen Kriterien filterte, heraus fielen unter anderem Straßenzüge, die noch nicht städtebaulich entwickelt oder überplant sind, sich noch teilweise im Privateigentum befinden oder perfekt erschlossene Straßen, die nur rechtlich als Provisorium gelten. Übrig blieb schließlich eine Liste von 122 weitgehend ausgebauten Straßen, deren komplette Fertigstellung technisch sinnvoll schien. Mitten im Bauboom fanden sich aber weder genug Kapazitäten in der Verwaltung, noch interessierte Bauunternehmen, es folgte eine noch engere Auswahl. Auf der "Priorisierungsliste" findet sich heute schließlich noch ein Dutzend weiterer Straßen, deren rechtlicher Vollausbau, oft in Form von Kleinigkeiten wie Gehsteigabschnitten oder Randsteinen, innerhalb der 25-Jahres-Frist begonnen wurde und demnächst abgerechnet werden soll. Vier davon liegen ebenfalls in Harlaching.
Kein reiner Zufall, glaubt Robert Franck, Vorsitzender des Siedler- und Eigenheimerverbands Harlaching, der sich gut vorstellen kann, dass sein Stadtteil bei kostenpflichtigen Ausbauten eine fragwürdige Vorzugsbehandlung erfährt, weil die städtischen Entscheider hier eine besonders zahlungskräftige Klientel vermuten, ohne die Verhältnisse vor Ort wirklich zu kennen. Nicht jeder, der dort Grund geerbt oder vor langer Zeit erschwinglich erworben habe, gehöre deshalb zu den Großverdienern, erklärt Franck mit Blick auf die oft älteren Eigentümer, die der Siedler- und Eigenheimerverband vertritt. Hauptsächlich begründet er seine Kritik an den Abrechnungen aber juristisch: Die Auswahl einiger Dutzend Straßen aus 1000 Kandidaten nach intransparenten Kriterien verstoße gegen das Verbot von Willkür und Ungleichbehandlung.
In der Autharistraße selbst hat die Stadt dabei, anders als der Eigenheimer-Sprecher vermutet, nicht mit zweierlei Maß gemessen: Der südliche Teil zwischen Seybothstraße und Perlacher Forst wurde schon vor längerer Zeit abgerechnet. Einen unguten Beigeschmack bei den Betroffnen hinterlässt andererseits, dass das Baureferat 2017 im Nordteil noch einmal die Bagger schickte, um die Straße mit Parkbuchten zu versehen, oder, wie Franck es sieht, "eine vollkommen erschlossene Straße zu ruinieren". Die Arbeiten fallen definitiv nicht mehr unter die Beitragspflicht, dennoch liegt aus Anwohnersicht der Verdacht nahe, die Erschließungsbeiträge dienten indirekt ihrer nachträglichen Finanzierung.
25-Jahre-Frist hin oder her, sieht Franck generell das Prinzip von Treu und Glauben verletzt, wo 60 Jahre alte Leistungen in Rechnung gestellt würden. Die Erhebung kurz vor dem Fristende verstoße "erkennbar gegen den Willen des Gesetzgebers", die Praxis zu beenden, und gegen den Vertrauensschutz, heißt es in Robert Francks Schreiben an den Bezirksausschuss Untergiesing-Harlaching. "Ein raffgieriger Geschäftsmann würde sich so verhalten" ergänzt er, von einer Behörde erwarte er aber mehr Rücksicht. Was da eigentlich abgerechnet werde, bleibe meistens unklar. Selbst dort, wo die zugrunde liegenden Rechnungen in D-Mark und nicht mehr in Reichsmark gestellt wurden, herrsche ein "Wildwuchs", der ans Licht kommen dürfte, sobald Betroffene Widerspruch einlegten und Akteneinsicht beantragten.
Anwohner bei Klagen unterstützen oder selbst juristisch tätig werden könne der Verein nicht. Bei 400 Mitgliedern und 32 Euro Jahresbeitrag "sind die Gestaltungsspielräume übersichtlich", sagt Franck. Auf seine Initiative hin sucht der Bezirksausschuss nun noch einmal das Gespräch mit dem Baureferat - eher auf politischer als auf juristischer Ebene.