Null Acht Neun:Charmant in der Grantigkeit

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Typisch bayerisch: "Pretzels", Weißwurst - und eine gewisse Humorlosigkeit. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Deutsche und Münchner seien nicht wahnsinnig lustig, besagt ein Klischee - und das scheint ansteckend zu sein.

Glosse von Christiane Lutz

Neulich im Comedy-Club "Lucky Punch" im alten Gasteig. Es war ein Montag, und montags ist immer englischer Abend, was bedeutet, dass ausschließlich englischsprachige Stand-up-Comedians auftreten. Für eine kurze Szene von fünf Minuten kommen sie auf die Bühne und testen ihr Material am Publikum.

Abgesehen von einem wirklich böse-komischen Ukrainer ("Eineinhalb Jahre lang waren wir der beliebteste Konflikt der Welt! Und jetzt???") waren die Comedians eher mittellustig. Das Publikum hingegen spannend. Es bestand aus vielen Nicht-Deutschen, was verbrieft ist, weil ein emsiger Moderator zwischen jedem Künstler die Zuschauer interviewte. Wo kommst du her, was machst du hier, wie findest du München?

Antworten: aus Brasilien, aus Bulgarien, aus der Türkei, bin Programmierer, bin Webdesigner, bin aus Wien. München sei toll, wenn nur die Mieten nicht so hoch wären wie die natürlich wunderbaren Berge. Sie alle trugen ihre polierten Antworten mit großer Ernsthaftigkeit vor, was zur Frage führt, ob man mit dem Eintritt in bayerisch-deutsche Kreise auch ein bisschen von jener Trockenbrotigkeit übernimmt, die Deutschen so gern unterstellt wird? Und zur Frage, ob das nicht sogar wünschenswert wäre.

Schauen Sie sich dazu mal den Instagram-Account von Jordan Prince an, ein Amerikaner, der in Deutschland lebt und seine ganze Social-Media-Karriere darauf aufbaut, soziokulturelle Vermittlung zwischen "Se Germans" und dem Rest der Welt zu betreiben. Dort erfährt man von angeblich typisch deutschen Eigenschaften - unverfrorenes Starren, Terminator-ähnliches Ignorieren von Krankheiten - und offensichtlich deutschen Obsessionen - "Pretzels", Dokumente - aber eben auch von der gewissen Humorlosigkeit; sogar bei Sonnenschein.

Eigentlich finden wir uns ja gut in unserer Grantigkeit

Dieses Sich-selbst-durch-die-Augen-anderer-Betrachten fasziniert Münchner sehr, es ist die gleiche wohlige Selbstvergewisserung, die man spürt, wenn fremde Menschen den eigenen Partner als "ganz toll" bezeichnen. Denn eigentlich finden wir uns in der uns unterstellten Grantigkeit ja auch charmant, in der Großartigkeit sowieso. Als der neue niederländische Kollege auf die Frage, wie er "München denn so findet", antwortet, er habe sich ein Radl gekauft und sei am Tegernsee wandern gewesen, wird das natürlich sofort goutiert.

Am Abend in der Bar mit eben jenem Kollegen stolpern zwei junge Menschen heran, kichern auf Englisch, sie würden niemanden kennen, ob er sich nicht mit ihnen unterhalten wolle, a little conversation? Er wimmelt sie höflich ab und sagt zu seinen Münchner Kollegen, leicht empört: "Ich will hier doch nicht mit Leuten Englisch reden!". Die Kollegen strahlen.

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