Es sei ein Meilenstein, um unter Kindern und Jugendlichen in München ein Bewusstsein für Geschlechtergerechtigkeit zu schaffen. Gabriele Nuß, stellvertretende Leiterin der Gleichstellungsstelle für Frauen, spricht vom Handbuch "War doch nur Spaß". In Kooperation mit dem Pädagogischen Institut des Referates für Bildung und Sport wurde das Handbuch zum Umgang mit Grenzverletzungen und Alltagsgewalt gegen Mädchen in der Schule entwickelt. Es richtet sich hauptsächlich an Lehrkräfte, damit ein Fehlverhalten rechtzeitig erkannt und sichtbar gemacht wird. Vor allem aber will man solchen Fällen vorbeugen, sie dann auch vermeiden.
Schon Spiele auf dem Schulhof lösen ein Machtgefälle aus
Wie man geschlechtsspezifischer Gewalt vorbeugt, hat die Stadt - neben Intervention und Nachsorge - in ihrem zweiten Aktionsplan zum Thema konkretisiert. Laut Stadtschulrat Florian Kraus sei gerade die Alltagsgewalt der Nährboden für zahlreiche Übergriffe. Nuß spricht von klaren Situationen, und die könnten bereits in der Grundschule auftreten.
Bereits typische Spiele auf dem Schulhof, wenn Jungen Mädchen fangen sollen, stellten durch die Spielregeln ein Machtgefälle der Geschlechter dar. Wenn Mädchen im weiteren Spielverlauf eingekesselt würden oder zum Freilassen zu Aktionen wie dem Abgeben der Mütze gezwungen würden, sei das grenzüberschreitendes Verhalten zwischen Kindern. Wichtig sei, dass die Erwachsenen darauf reagierten und darüber mit den Kindern sprächen. "Die Lehrkräfte tragen eine besondere Verantwortung, dass nicht weggesehen wird", sagt Kraus.
Die dritte Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD) betont, dass den Lehrkräften mit dem Handbuch die Unsicherheiten genommen werden sollen, "denn durch ein Wegschauen verfestigen sich die Rollenbilder". Die Auswertung der Pisa-Studie von 2018 hat ergeben, dass 15-jährige Mädchen im Durchschnitt weniger an die eigenen Talente glauben als Jungen. Auch schätzen sich Jungen als wettbewerbsfähiger ein. Für die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, Nicole Lassal, stehe die Schule als Lern- und Lebensort noch immer für Bedrängung, Ärger, Verunglimpfung, Belästigung und stereotype Rollenerwartungen an Jungen und Mädchen.
Bereits 1996 hat die Gleichstellungsstelle mit "Madln Tratzen" einen Leitfaden herausgegeben, der alltägliche Formen von Grenzüberschreitungen an Schulen aufgegriffen hat. "Auch heute hat das Thema nicht an Aktualität eingebüßt", sagt Lassal. Im Handbuch finden Lehrer daher neben einer theoretischen Einführung Handlungsstrategien und praktische Methoden, um bestehende Diskriminierungen und Privilegienstrukturen zu thematisieren, die alltägliche Gewalt gegen Mädchen in der Schule ermöglichen.
Auch die Eltern müssen sensibilisiert werden
In den nächsten drei Jahren werde es im Rahmen des zweiten Aktionsplans jedes Vierteljahr einen Fortbildungstag für die Lehrkräfte geben, sagt Kraus. Das Benutzen des Handbuchs im Unterricht sei aber freiwillig. Kraus gehe jedoch von einer hohen Nachfrage aus. Dietl spricht davon, dass außerhalb der Schule gerade auch die Eltern gegenüber geschlechtergerechtem Verhalten, fairer und gewaltfreier Sprache sensibilisiert werden müssten, da die Kinder viel von dort mitbringen. Der Kick-Off für den Umgang mit grenzüberschreitendem Verhalten finde jetzt aber erst einmal in den Schulen statt.