Kritik:Zugeschminkte Leerstelle

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Mária Celeng als Sängerin Anita und Mathias Hausmann als Geiger Daniello verfolgen mitunter unterschiedliche Interessen: eine Zerreißprobe für das Zimmermädchen (Judith Spießer). (Foto: Christian Pogo Zach)

Knapp hundert Jahre nach der skandalösen Münchner Erstaufführung ist Ernst Kreneks Oper "Jonny spielt auf" am Gärtnerplatztheater zu sehen. Doch die Inszenierung von Peter Lund wirft die Frage auf: Muss "Blackfacing" wirklich sein?

Von Paul Schäufele, München

Es gibt sie nicht mehr, die Zigaretten, die sich nach Ernst Kreneks Opernsensation "Jonny" nannten. Das Stück gibt es noch und kann nun, fast hundert Jahre nach der skandalösen Münchner Erstaufführung wieder am Gärtnerplatztheater gesehen werden, musikalisch überzeugend - doch in einer Inszenierung, die Fragen aufwirft. Es ist auch nicht einfach, das so banale wie abstruse und dennoch vor Zwischenkriegscharme sprühende Libretto anschlussfähig für die pluralistische Moderne zu machen.

Denn im Zentrum steht die Opposition vom alten Europa und der Neuen Welt: Der Komponist Max, affektiv zerrissen und larmoyant bis strahlend interpretiert von Alexandros Tsilogiannis, nimmt die Verhaltenslehren der Kälte wörtlich und verbringt die meiste Zeit an einem Gletscher. Seine Liebe zur Sängerin Anita (eminent sinnlich, aber mit Tendenz zum Brüllen: Mária Celeng) entwickelt sich zu Eifersucht. Umso schlimmer, dass diese mit dem André-Rieu-Vorgänger Daniello (stets geschmeidig: Mathias Hausmann) schläft. Wirklich verdichten sich die Konflikte, als die Neue Welt in Gestalt des Jazzmusikers Jonny auftritt und dem Salonlöwen die Geige stiehlt. Ludwig Mittelhammer agiert beweglich und in jazziger Bewegungshitze, doch sein schwarz geschminktes Gesicht irritiert planmäßig und lenkt damit die Aufmerksamkeit auf die Schwächen der Inszenierung, die zur Zeit der Münchner Premiere 1928 angesiedelt ist.

Der Regisseur plädiert für historische Genauigkeit

Der Regisseur Peter Lund plädiert für das sogenannte "Blackfacing" mit dem Argument historischer Genauigkeit, was merkwürdig ist, da 1928 auch keine Videoprojektionen riesiger Sigmund-Freud-Köpfe auf der Bühne zu sehen waren. Es mag nur wie ein Detail der szenischen Gestaltung wirken, in Wahrheit ist es der Angelpunkt einer sinnvollen Auseinandersetzung mit dem Stück. Denn Jonny taugte nicht nur zur Zigarettenwerbung, die rassistische Karikatur der populären Opernfigur aus dem Pinsel von Ludwig Tersch mit affenhaft reduzierten Gesichtszügen und Davidstern im Knopfloch wurde zum Maskottchen der Düsseldorfer Ausstellung "Entartete Musik" von 1938. Man hätte Ludwig Mittelhammer ungeschminkt lassen können, um zu zeigen, dass das Thema zur Disposition steht, ohne auf eine aus guten Gründen obsolete Bühnenpraxis zurückzugreifen. Argumentativ hätte man weiter sein können.

Es ist nicht die einzige Leerstelle in Lunds Inszenierung, aber die drängendste. Doch, das einmal beiseite, lässt sich das Stück durchaus sehen. Die Kostüme (Daria Kornysheva) der Hauptfiguren mit ihrer bizarren Tim-Burton-Ästhetik sind wunderbar, die Bühne ein expressionistischer Alptraum aus dem kreativen Kopf von Jürgen Franz Kirner. Viel Lob gebührt dem Orchester des Gärtnerplatztheaters. Die neusachlich angestrichene Partitur erfordert neben höchster Präzision der gestählten Rhythmen und Sinn für die Farbgebung schräger Akkorde, die am Atonalen kratzen, besondere Flexibilität. Denn das Opernorchester muss hier auch in der Lage sein, als Jazzband aufzutreten - "Jonny spielt auf" ist durch und durch Zeitoper, eine Inszenierung hat das zu reflektieren. 1927 schrieb Ernst Krenek: "Das Theater ist kein Institut zur Propagierung irgendeiner Idee, sei es einer moralischen oder politischen." Kannte Krenek die "Zauberflöte" und "Fidelio" nicht? Der Satz war also schon damals falsch. Aber selbst, sollte man ihm ansatzweise zustimmen, ist eines einzugestehen: Dass man seiner Zeit nicht entkommen kann.

Dieser "Jonny" bleibt unter diesem Aspekt bestenfalls im Unbestimmten. Ein (großer) Trost - die musikalische Qualität des spielfreudigen Ensembles, des zuverlässigen Chores und des Orchesters unter Michael Brandstätter bleiben davon unberührt. Dafür gibt es massig Beifall.

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