Freiham-Nord:Einleben auf der Großbaustelle

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Noch zwanzig Jahre, dann leben Tausende Menschen im neuen Viertel Freiham-Nord. In der Zwischenzeit wird noch viel gebaut. Die ersten Bewohner sind trotzdem schon eingetroffen.

Die einen nennen sie Pioniere, die anderen augenzwinkernd "Ureinwohner" - gemeint sind die ersten Siedler im neuen Wohngebiet Freiham-Nord. Wie viele es momentan sind, ob zweihundert oder doch schon vierhundert, weiß niemand so ganz genau. Sicher ist nur: In rund 20 Jahren, wenn der neu entstehende Stadtteil fertiggebaut ist, werden dort nach derzeitiger Prognose etwa 32 000 Menschen leben. Genossen, Wohnungseigentümer und Mieter, dicht an dicht. Denn das ist das Besondere an Freiham: Der Bauraum wird sehr kleinteilig vergeben. Bis jetzt allerdings steht lediglich ein Komplex des Projektentwicklers Demos, dessen 84 Wohnungen bereits alle verkauft sind, und daneben ein Gebäude der städtischen Wohnungsgesellschaft GWG mit 23 vermieteten Wohnungen. Der Rest ist noch großräumige Baustelle, inklusive Dreck und Lärm, aber schon mit Busverkehr, Schulen und Beleuchtung. In den Räumlichkeiten der GWG, die allein im ersten Realisierungsabschnitt rund tausend Wohnungen schafft, haben die Nachbarn aus Aubing und Neuaubing vergangenen Freitag die Neuankömmlinge mit einem Willkommensfest begrüßt. Einige der Freihamer Pioniere stellen sich hier vor.

"Wir schaffen etwas gemeinsam"

Agnieszka Spizewska (r.) und Eva Haggenmüller sind von den sozialen Möglichkeiten begeistert. (Foto: Moses Omeogo)

"Wir wollen die anderen mit dem Gemeinschaftsgeist anstecken. Weg von billigen Wohnungen, hin zu: Wir schaffen etwas gemeinsam", erklärt Agnieszka Spizewska (rechts), die zusammen mit Eva Haggenmüller (links) Mitglied der Wohnungsgenossenschaft Progeno ist. Hundert Wohnungen möchte die Progeno in Freiham bauen, geplant ist der Einzug der beiden Frauen in zwei Jahren im Gebäude am Wasserspielplatz. Gemeinschaftsräume zum Plaudern, ein Waschsalon, Coworking-Arbeitsplätze und Werkstätten - begeistert sind die beiden vor allem von den sozialen Optionen der Genossenschaftshäuser. Seit fast einem Jahr arbeiten beide am Freihamer Progeno-Projekt mit und haben so Einfluss auf die Gestaltung ihres neuen Zuhauses. "Die Gemeinschaft ist schon da, bevor man einzieht", sagt Haggenmüller, man treffe sich regelmäßig in Arbeitsgruppen. Mittlerweile wolle sie auch wegen der Leute herziehen. "Da entsteht etwas ganz Tolles." Es habe zwar durchaus die Befürchtung gegeben, dass sich die Gruppe der Genossenschaftsmitglieder bei der Wohnungsvergabe zerstreite. Diese Sorge bewahrheitete sich nicht: Alles blieb friedlich. SOAL

"Eine echt tolle Lage"

Jeannine und Michael Bruns kennen das Viertel schon gut. (Foto: Moses Omeogo)

Jeannine und Michael Bruns, 38, mit Vincent, 17 Monate, aus der Kunreuthstraße in Neuaubing: "Als wir hierherkamen, bestand Freiham noch aus Maisfeldern. Die Kunreuthstraße grenzt ja direkt an den neuen Stadtteil an, wir konnten die Entwicklung also live miterleben. Vincent besucht auch schon die Kinderkrippe "Unsere Champions" neben der S-Bahn-Station Freiham. Voraussichtlich im Winter kommenden Jahres werden wir dann aber in eine Wohnung der Genossenschaft Wogeno an der Gustl-Bayrhammer-Straße umziehen. Weil wir die Gemeinschaft und die Mietpreissicherheit einer Genossenschaft schätzen. Außerdem finden wir es gut, dass wir als eine der ersten hier mitreden und das Zusammenleben im Quartier aktiv mitgestalten können. Das hat eine ganz andere Qualität, als irgendwo hinzuziehen, wo schon alles vorhanden ist. Wir wollen auch die Vernetzung mit anderen Genossenschaften vorantreiben. Schön wäre es zum Beispiel, wenn man mit Nachbarn gemeinsame Ausflüge machen könnte. Dass wir lange Zeit auf einer Baustelle wohnen werden, macht uns nichts aus, das sind wir gewohnt, wir wohnen ja seit Jahren daneben. Im Übrigen grenzt die Wogeno (ein Projekt der genossenschaftlichen Dachorganisation für vielfältige und lebendige Wohnprojekte, Anm. d. Redaktion) unmittelbar an einen Grünstreifen, eine echt tolle Lage. Die Frage ist nur, ob der Pizzabote uns dann noch findet." eda

"Wir können uns hier einen Garten leisten"

Isha und Parv Joshi warten noch auf einige Einrichtungen. (Foto: Moses Omeogo)

Isha und Parv Joshi (acht Jahre): "In Freiham zu wohnen fühlt sich gut an, aber es gibt noch keine Einkaufsmöglichkeiten", sagt Isha Joshi. Ein Supermarkt in Laufnähe - das fehlt ihr. Gemeinsam mit ihrem achtjährigen Sohn Parv und ihrem Mann ist die gelernte Bankangestellte bereits im Dezember 2019 an die Grete-Weil-Straße gezogen. Auch bei der Verkehrsanbindung gibt es noch Aufholbedarf. "Es fährt auch nur alle 20 Minuten ein Bus hierher - der Nahverkehr muss verbessert werden," erklärt sie. Vom Lärm der Baustelle in der Nachbarschaft bekommt sie nichts mit, vom Staub, der bei Wind in großen Wolken vom Boden aufsteigt, allerdings schon. Von Freiham überzeugt hat Joshi auch das neue Bildungskonzept, so habe sie bisher "viel Gutes über den Bildungscampus Freiham" gehört, der eine Grundschule, eine Förderschule, eine Realschule und ein Gymnasium beherbergt. Auch Parv soll dort später einmal zur Schule gehen. Außerdem besäßen die Wohnungen in Freiham gegenüber anderen Vierteln wie Bogenhausen und Am Hart ein gutes Preis-Leistungsverhältnis, so sei die S-Bahn von der Wohnung aus fußläufig erreichbar, und die Familie könne sich einen Garten leisten. soal

"Wir wollen uns einbringen"

Simon Kirrnberger (l.) und Bernhard Grolig ziehen in die Genossenschaft "Freihampton". (Foto: Moses Omeogo)

Simon Kirrnberger, 43, aus Schwabing, und Bernhard Grolig, 68, vom Gärtnerplatz: "Wir sind Genossen, wir gehören zu einer Generationen-WG mit Leuten im Alter von 28 bis 72 Jahren. Zu siebt wollen wir in das Haus "Freihampton" der Genossenschaft "Kooperative Großstadt" einziehen. Wann, wissen wir noch nicht genau, als nächstes stehen erst einmal Ausgrabungen auf unserem Grundstück an. Möglich, dass sich dort Keltensitzgräber finden. Wir sind aufgerufen, die Schaufel in die Hand zu nehmen und mit zu buddeln - unter Anleitung, versteht sich. Später, wenn wir erst einmal in Freiham wohnen, wollen wir uns auf jeden Fall ganz stark einbringen im Viertel. Die Idee ist, mit anderen Mitbewohnern eine Kooperative Lebensmittel zu gründen und eine Gaststätte aufzumachen, die Zutaten aus der Region verarbeitet. Ähnlich dem Vorbild des genossenschaftlich geführten Gasthauses im Domagkpark. Wir haben dafür sogar ein eigenes Gebäude, einen zweistöckigen Pavillon. Das Haus könnte man außerdem als Kino nutzen - aber das ist noch unausgegoren, die Idee hatten wir erst vor ein paar Tagen. Vom Baustellengefühl selbst werden wir, wenn wir erst einmal eingezogen sind, zum Glück nicht so viel mitkriegen. Weil wir ganz nahe an Neuaubing wohnen." EDA

"Spannend, wie um einen herum Häuser wachsen"

Von Paris nach Freiham: Ulla Bosse freut sich auf die vielen Veränderungen. (Foto: Moses Omeogo)

Ulla Bosse, 53, aus Freiham-Nord: "Ich wohne seit Mitte Januar in einer Eigentumswohnung an der Grete-Weil-Straße. 25 Jahre lang habe ich in Paris gelebt und kam dann vor zwei Jahren nach München zurück - aus Heimweh. Ich wusste, hier will ich jetzt bleiben. Am liebsten hätte ich ehrlich gesagt in Schwabing gewohnt, aber das ist nicht bezahlbar. Als ich vor einem Jahr diese Wohnung in Freiham gekauft habe, konnte ich noch Parkett und Fliesen aussuchen - zum ersten Mal in meinem Leben. Ausgesetzt wie auf dem Mars fühle ich mich in Freiham-Nord nicht, benutze aber schon das Wort Mondlandschaft, wenn ich jemandem erzähle, wo ich wohne. Das ist aber positiv gemeint. Ich fühle mich hier sehr wohl, und es stört mich überhaupt nicht, auf einer Baustelle zu leben, im Gegenteil: Es ist total spannend zu sehen, wie die Häuser um mich herum Woche für Woche um eine Etage wachsen. Mit meiner Wohnung ist es wie mit meiner Umgebung, ich richte mich schrittweise ein. Weil ich kein Auto habe, muss ich mich allerdings gut organisieren, es gibt ja noch nichts. Eine Post zum Beispiel vermisse ich sehr. Meine Nachbarn kenne ich bisher nicht, das kommt aber noch. Ich würde mich auch gerne engagieren im Viertel, das halte ich für wichtig." eda

© SZ vom 25.02.2020 / eda, soal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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