SZ-Serie: Echte Europäer:Made in Europe

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Baguette aus Frankreich, Käse aus Holland, Wollpullis aus Irland: Wer mit offenen Augen einen Einkaufsbummel durch München macht, findet interessante Produkte - und lernt einiges über die Herkunftsländer.

Von Philipp Crone, Gerhard Fischer und Elisa Schwarz

Made in Germany - das gilt für viele Menschen als Gütesiegel. Wer aufmerksam durch München läuft, findet aber auch Läden, in denen es Waren aus der Heimat der Besitzer gibt. Oder die von Menschen aus Europa geführt werden. Besuche dort sind spannende Erkundungsreisen.

Mysterium Baguette

Es ist mit der Bäckerei ein bisschen wie bei einem Film: Man muss das Produkt elegant anpreisen, darf aber nichts Falsches und auf keinen Fall zu viel versprechen. Bei der Geschichte der französischen Bäckerei Dompierre, die der Filmverleiher Thomas Häberle vor acht Jahren eröffnet hat, ist es dann aber auch so: Man verspricht nicht zu viel, wenn man sagt: Es ist eine spannende Geschichte, ob es nun um das Geheimnis eines guten Baguettes oder Croissants, die Idee einer französischen Bäckerei in München oder darum geht, wie sich Franzosen von Münchnern unterscheiden.

Thomas Häberle. (Foto: Robert Haas)

Häberle, 64, sitzt in der Bäckerei in der Türkenstraße. Es läuft französisches Radio, duftet nach Croissants und der Mitarbeiter hinter der Theke trägt auch noch ein blau-weiß-gestreiftes T-Shirt. Zusammen mit den weißrotblauen Girlanden ist hier drin schon grenzwertig viel Frankreich.

Italien war schon vergeben. So sah das Thomas Häberle. Er war seit Jahrzehnten Filmverleiher, zunächst aus Leidenschaft für die Filme. Er war eine Zeit lang in Rom, weil dort das italienische Filmzentrum lag. Als es dann immer weniger um Inhalte und immer mehr ums Geschäft ging, ging es Häberle immer weniger an. Und dann traf er einen französischen Bäcker, der kein Wort Deutsch sprach, aber schon in der Tengstraße eine Bäckerei genau nach seinen Vorstellungen eingerichtet hatte. Nur warf der noch vor dem Start aus privaten Gründen wieder hin. Also suchten Häberle und sein Geschäftspartner "einen Hauptdarsteller" und schauten kurzerhand in Frankreich nach einem Bäcker.

Häberle ist mit einer Französin verheiratet, er kennt die französische Szene in München. Und er wusste auch, dass die einen französischen Bäcker in der Stadt vermisste. Häberle wusste also, dass Kunden da sein würden.

Sie fanden bei der Suche in Frankreich einen Bäcker, der schon den Elysee-Palast beliefern durfte. Und nach zwei Wochen Training konnten die ersten beiden Münchner Bäcker, die Häberle einstellte, fast schon original französisch backen. Mit Mehl aus Frankreich, das es hier nicht zu kaufen gibt. Das gelungene Croissant schmeckt nach Butter und muss zügig gegessen werden, das Baguette ist aus Sauerteig. 24 Stunden Teigruhe bekommen alle Produkte des Dompierre, er kaufte keine neuen Geräte, sondern alte Hubkneter. Die Münchner Franzosen kommen seit Jahren und sind zufrieden, auch wenn laut Häberle das ein Franzose ja nicht sagen würde. "Die kritisieren immer alles, das gehört zum Lifestyle." Wenn abends der Laden leer ist, scheint es zu funktionieren. Der fünfte Laden wird demnächst endlich an der historisch richtigen Stelle eröffnet, in Haidhausen, in Münchens französischem Viertel.

Trinkkultur bewahren

Mit dem Job aufzuhören, sei nicht schwer gewesen, sagt Ana Maria Dias Pires und streicht sich die langen braunen Lockenhaare hinter das rechte Ohr. Die 62-Jährige sitzt in ihrem Geschäft, zwischen Weinkartons und Sardinendosen. Alle Produkte kommen aus Portugal, ihrer Heimat. Seit 15 Jahren verkauft sie in ihrem winzigen Laden an der Hans-Sachs-Straße die Produkte ihres Landes, nachdem sie mit 30 nach München kam, aus ihrem Geburtsort Lissabon, "ohne ein Wort Deutsch zu sprechen". So etwas macht man eigentlich nur für die Liebe. Und wenn einen nicht ganz so viel hält. Der Job zum Beispiel, "Marketing und Finanzen", hielt sie nicht.

Ana Maria Dias Pires. (Foto: Robert Haas)

Dias Pires schließt oft die Augen, wenn sie spricht. Die schmale Frau hat Geschichte studiert, lernte einen Deutschen kennen, "in der Türkei in einem Hotel beim Frühstück". Sie gründeten in München eine Familie, die beiden Kinder sind heute erwachsen. Dias Pires arbeitete zunächst halbtags, als Sekretärin. "Aber irgendwie wollte ich das auf eine Art schon immer mal machen, einen Weinladen." Der Vater und der Onkel waren Weinkenner, machten selbst welchen, die Kinder stampften auch mal Trauben. Und als sie in ihrer Zeit hier keine portugiesischen Weine fand, die ihrer Erinnerung entsprachen, reifte der Wille zum eigenen Laden. Heute kann sie Rebsorten und Weinbegriffe ohne Zögern. Kräftigen tanninreichen Rotwein, fruchtig, trockener und sehr mineralischer Weißwein. "Der prickelt und erfrischt."

Und dann ist da noch der Fado. Es gibt Fado-Abende, die Dias Pires organisiert. Fado, dieser Gesang, mit dem die Daheimgebliebenen ihre Sehnsucht und Angst um die Schiffsreisenden besangen. "Wir Portugiesen haben die Welt globalisiert", sagt Dias Pires, wofür sie wohl nicht Geschichte studieren hätte müssen. Namen wie Vasco da Gama kennt jeder Portugiese. Und jeder Europäer.

Europa. Dias Pires ist kritisch, aber engagiert. "Dass wir alle Europäer sind, ist noch immer nur eine Idee." Zu groß seien die Unterschiede. Und Interessen. Sie muss Zoll zahlen, wenn sie in München portugiesischen Portwein verkaufen will. "Der Markt hier will sich schützen." Die 62-Jährige sagt: "Jetzt, mit dem Brexit, ist es so: Entweder zerfällt alles. Oder alle überlegen zusammen, was sie wirklich wollen." Bürokratien abbauen, Kulturen bewahren, das sei die Lösung. Die Trinkkultur Portugals wird von ihr nicht nur bewahrt, sondern sogar ausgebaut.

Den ganzen Tag Käse

40 verschiedene Goudas, direkt am Marienplatz. Und welchen kaufen die Münchner am liebsten? Joost Bongers steht vor einer Käsewand mit lauter in buntes Wachs eingepackten Baby-Laiben. Seit einem knappen Jahr gibt es den Henri-Willig-Laden und was aussieht wie eine Parade-Kette, ist noch immer ein Familienbetrieb, der nun das niederländische Paradeprodukt in die europäischen Städte exportieren soll. München ist in Deutschland erst der Anfang.

Joost Bongers. (Foto: Robert Haas)

Bongers leitet die Filiale, der 41-Jährige kommt aus der Hotellerie, arbeitete bislang in der Gastronomie, aber als seine deutsche Frau und er vor Kurzem ein Kind bekamen, wollte er geregelte Arbeitszeiten. Ahnung von Gouda, haben die alle Niederländer? "Nicht alle haben Ahnung davon", sagt Bongers mit einem Lächeln, "aber alle essen ihn." Und der kommt nicht nur aus der Stadt Gouda, dort wurde er nur erstmals in den Geschichtsbüchern verzeichnet. Seit 1974 verkauft Henri Willig Gouda, seit einem knappen Jahr auch in München. Niederländer essen oft Käse, sagt Bongers, sie erfüllen das Klischee also. "Morgens mit Brot und mittags mit Brot, gerne auch mit scharfem Senf." Bongers referiert das Käse-ABC, mindestens 45 Prozent Fett braucht er zum Beispiel. Aber er sieht sich gerade an diesem zentralen Ort in der Stadt auch als eine Art Botschafter. "Wir sind ein Stück Holland in München." Und was ist dieses Stück dann genau, abgesehen von vielen Stücken Käse? "Natürlich muss man mit dem Verallgemeinern aufpassen, aber grundsätzlich stehen wir Holländer ja für Offenheit, Freundlichkeit." Im an manchen bis vielen Stellen eher granteligen München fällt das auf. Dieses München, wenn es in Form von Kunden Käse kauft, kauft im Übrigen am liebsten den Trüffel-Gouda. Warum? Bongers überlegt kurz und sagt dann: "Na ja, das ist München - vielleicht?"

Schlimmer geht's immer

Maura O'Leary-Hunter. (Foto: Florian Peljak)

Um gleich mal mit einem Klischee aufzuräumen: In Irland stehen nicht überall Schafe auf den Straßen rum. Typischer Mythoskitsch. Wenn aber ein Klischee über Irland stimmt, sagt Maura O'Leary-Hunter, dann das: Die Iren haben einen besonderen Humor. Sie sind offener, freundlicher, und wenn mal was daneben geht, dann sagen sie: Well, could be worse.

So dachte Maura O'Leary-Hunter, als sie nach München kam und kein Wort Deutsch verstand. Und so denkt sie heute, wenn nur ein paar Kunden in den Laden kommen, wegen Corona: Well, could be worse. Schlimmer geht's immer.

Ein Freitagmittag in der Müllerstraße. Draußen hängt ein auffallend großes Schild an der Fassade: "O'Leary's Irish Shop", goldene Schrift auf dunkelgrünem Grund. Im Schaufenster liegen Wollpullover und gestreifte Kleider, und vorne an der Kasse steht O'Leary-Hunter, 72. Sie hat ihren Shop vor ein paar Jahren abgegeben, seitdem kommt sie immer freitags auf einen Plausch vorbei. "Als ich den Laden 1992 aufgemacht habe, da dachten natürlich erst mal alle, es gibt hier nur Whisky und sonst nichts", sagt sie. "Und als die Münchner dann die Kleider sahen, wollten sie nur langweilige Farben haben." Sie setzt sich neben die Umkleidekabine, eine Frau in bunter Bluse, blauer Hosen und lila Halskette. Um sie herum stapeln sich grün-braune Wollpullover in den Holzregalen. Wenn man die Augen zukneift, sieht es ein bisschen so aus, als blicke man in eine irische Landschaft mit einem bunten Leuchtturm in der Mitte.

Maura O'Leary-Hunter ist in Cork aufgewachsen. Mit 23 Jahren zog sie nach München für ein einjähriges Stipendium, arbeitete in Hotels, in Restaurants und später als Börsenmaklerin bei einer großen Bank. Knochenjob. Sie schlief wenig, um mit den Märkten mithalten zu können. Irgendwann musste sie sich entscheiden, ob sie abends ihren Sohn sehen wollte oder die Kurse an der New Yorker Börse. Dann schloss die Bank ihre Münchner Filiale. Well, could be worse.

O'Leary-Hunter entschied sich für ein anderes Leben und überlegte, was sie den Münchnern verkaufen könnte. Waren aus Irland, was sonst. Also fuhr sie nach Dublin und schaute sich an, was die Deutschen so in Souvenirshops kauften. Tee. Kitschige Keramik. Marmelade. In ihrem kleinen Laden bot sie ein bisschen was von allem an. Aber gekauft, sagt sie, wurden nur die Kleider.

Eine Sache müsse man über Irland schon noch wissen, sagt O'Leary-Hunter. "Kaum einer weiß, dass Irland eine jahrhundertealte Web- und Strickkultur hat." Die Wolle ihrer Ware kommt von den irischen Schafen. Die Farben von den Wildblumen, den Beeren. Die Weber und Spinner leben in Familienbetrieben. Auf diese Qualität würden ihre Kunden wertlegen. Durch die Tür kommt eine Kundin mit geblümtem Kleid und geblümter Maske herein. O'Leary-Hunter sagt: "Sehr schick", und dann: "obwohl auch wieder sehr Ton in Ton". Am Ende ist es vielleicht so, sagt O'Leary-Hunter. Die Iren haben Humor. Die Deutschen einen merkwürdigen Geschmack. It could be worse.

Im Jahr des Tigers

Cecilia George. (Foto: Gino Dambrowsk)

Tigerflicka? Die Schwedin Cecilia George hat ihre Naturkosmetik-Marke Tigerflicka genannt, und natürlich fragt sich jeder: Was heißt das? Tiger ist der Tiger, und flicka ist das schwedische Wort für Mädchen. Das erklärt aber noch nicht, warum die Marke so heißt. Und warum George den Tiger lässig mit einem Mädchen verbindet.

Cecilia George sitzt an diesem Mittwoch im charmanten Hinterhof ihres Ladens in Schwabing. Zwei Bänke, ein Baum, viel Atmosphäre. Sie trägt eine Schürze mit der Aufschrift Tigerflicka. Also: warum? "Meine Tochter wurde im chinesischen Jahr des Tigers geboren", sagt George. Das ist die erste Hälfte der Antwort. Die zweite Hälfte ist: Als George 2009 mit dem Mädchen schwanger war, begann sie die Sache mit der Naturkosmetik. "Kinder kommen mit 400 synthetischen Substanzen im Blut zur Welt", sagt sie. Die Mütter nähmen diese über das Essen auf, aber eben auch über Kosmetik. "Als ich schwanger war und geschaut habe, was an Chemie in meinem Cremes und Seifen steckte, war ich geschockt und angeekelt", sagt sie. Das Gleiche galt für die Babycremes.

Da passte es, dass George promovierte Chemikerin ist und die Sache selbst in die Hand nehmen konnte. Sie entwickelte Salben, Öle und Seifen aus Bio-Zutaten: pflanzliche und native Öle, Butter und Wachse. Am Anfang machte sie das für sich, die Familie und die Nachsorgehebamme , seit 2013 betreibt sie ihre Firma "Tigerflicka of Sweden". Derzeit hat sie zwölf Produkte im Sortiment, das sie über ihren Laden, der während Corona nur donnerstags geöffnet hat, Verkaufsstellen wie Apotheken und übers Internet in Deutschland, aber auch in Schweden vertreibt. Der Renner sei eine Creme namens Mirakel. "Ein schwedischer Freund hatte sein Leben lang in einer Druckerei gearbeitet und immer sehr trockene Hände", erzählt George. "Ich habe dann eine Salbe entwickelt, er verwendete sie, rief mich zwei Wochen später an und sagte: ein Mirakel, ein Mirakel, meine Hände sind wieder gut." Mirakel ist das schwedische Wort für Wunder. George hat die Mirakelsalbe aus Bienenwachs, Sheabutter, Kokosbutter, diversen Ölen und ätherischen Ölen wie "Lavendel fein" hergestellt. Lavendel etwa beschleunige die Bildung neuer Hautzellen, sagt sie.

Übrigens, zwei Jahre nach der Tochter kam der Sohn auf die Welt, im Jahr des Drachens. "Er ist eifersüchtig auf die Schwester", sagt George und lacht. "Er verlangt, dass ich eine Firma mit dem Namen Drakpojke gründe." Das heißt Drachenjunge.

© SZ vom 10.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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SZ-Serie: Echte Europäer
:Über Piefkes lacht keiner mehr

Fred Schreiber zog vor 25 Jahren von München nach Wien und gewann dort zahlreiche Medienpreise für seine Arbeit. Heute ist er von Österreich aus Programmchef von Ego FM.

Von Michael Bremmer

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