Erzdiözese München und Freising:Kirche überlässt Pfarreien das Problem der Immobilien

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Baustelle Kirche: Weil selbst an hohen Feiertagen die vorhandenen 500 Plätze in St. Thomas Morus nicht besetzt sind, wird das Sendlinger Gotteshaus jetzt völlig umgestaltet: In den sakralen Raum baut die Gemeinde einen Pfarrsaal. (Foto: Robert Haas)

Die Mitglieder laufen der katholischen Kirche zu Tausenden davon, der Unterhalt der Gotteshäuser und Pfarranlagen verschlingt Millionen. Deshalb ist sie auf eine umstrittene Lösung verfallen.

Von Andrea Schlaier

Wenn es schlimm wird, machen biblische Begriffe die Runde. Vom "Exodus" ist die Rede, seit die Deutsche Bischofskonferenz Ende Juni die Zahl der Kirchenaustritte in der gesamten Republik bekanntgegeben hat. Knapp 50 000 Menschen haben allein im Erzbistum München und Freising ihrer Kirche 2022 den Rücken gekehrt. Nach der Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens im Januar 2022 sind im Regierungsland von Kardinal Reinhard Marx statt bis dahin durchschnittlich 80 Christen pro Arbeitstag doppelt so viele ausgetreten: 160 jeden Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag. Zum 31. Dezember 2022 gab es noch knapp 1,5 Millionen Katholiken im Erzbistum.

Damit geht es ans Eingemachte, denn mit dem massiven Schwund an Mitgliedern werden auch die Einnahmen an Kirchensteuergeldern absacken. 2022 hatte die Erzdiözese nach eigenen Angaben noch 658 Millionen Euro im Jahr über diesen Kanal eingenommen. 2023 könnten es nach aktuellen Schätzungen des Finanzressorts im Ordinariat nur noch 630 Millionen und im nächsten Jahr 620 Millionen sein. Langfristig hielten die Fachleute der Kirchen-Behörde bei der kürzlichen Finanzpresskonferenz der Erzdiözese 38 bis 40 Millionen weniger an Einnahmen pro Jahr für möglich.

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Trotzdem ist die Erzdiözese nach wie vor eine der reichsten im ganzen Land: 2022 umfasste das Vermögen Sachanlagen im Wert von 1,52 Milliarden Euro. Mit 1,4 Milliarden Euro entfällt dabei der Löwenanteil auf bebaute und unbebaute Grundstücke. Von den 7000 kirchlichen Gebäuden, die in der weiten Diözese zwischen Hallertau und Berchtesgadener Alpen zum Portfolio zählen, werden rund 4000 für die Pastoral genutzt, sprich als Kirchen, Kapellen, Pfarrheime und Pfarrhäuser. Der Unterhalt sei längst zur Last geworden, heißt es unverbrämt auf der Homepage der Erzdiözese. Man kann es sich schlichtweg nicht mehr leisten, die immer leerer werdenden Gebäude für immer weniger Menschen instand zu halten.

Die "Gestalt der Kirche" werde sich verändern, konstatierte deshalb Kardinal Reinhard Marx vor Kurzem bei der Weihe neuer Priester. In einem Brief an die Pfarrgemeinden hat er die zentrale Frage gestellt, "wie wir mit geringer werdenden finanziellen und personellen Ressourcen unseren Verkündigungsauftrag bei den Menschen und für die Menschen in Wort und Tat erfüllen können"? Denn das Problem gibt es ja auch noch: den Mangel an seelsorgerischen Kräften.

Deshalb haben sie in der Verwaltungszentrale, dem Ordinariat, das Leitprojekt "Immobilien und Pastoral" aufgesetzt als Herzstück einer groß angelegten Umstrukturierung. Verantwortliche der Erzdiözese, allen voran Generalvikar Christoph Klingan, erklärte haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern unlängst in nicht öffentlichen Dialog-Runden, wie man sich das vorstellt: die Pfarrgemeinden selbst, genauer die Pfarrstiftungen, die diese tragen, sollen fortan selbst entscheiden, welche Immobilien sie wofür nutzen und was verkauft, vermietet oder für den Eigenbedarf genutzt und renoviert werden soll. Finanzieren sollen sie das weitgehend selbst.

Knappe Kassen erfordern neue Nutzungen: die Kirche Thomas Morus in Sendling. (Foto: Robert Haas)

Im Dekanat Forstenried dürfen sie das jetzt ausprobieren. Es ist eins von zwei Pilotprojekten - das andere liegt im Berchtesgadener Land. Zwei Jahre lang wird gewissermaßen Inventur gemacht - samt fachlicher Begleitung aus dem Ordinariat. Nach den Erkenntnissen der Probeläufe gehen dann die andern 38 Dekanate im Erzbistum an den Start.

Dabei sind sie im Dekanat Forstenried längst auf dem Weg. Die große St. Thomas Morus-Kirche, die direkt an den Mittleren Ring an der Heckenstallerstraße grenzt, wird gerade umgebaut. Weil in der katholischen Pfarrkirche keiner mehr über 500 Sitzplätze braucht, wenn im Schnitt nur 100 bis 200 Gläubige zu den Gottesdiensten kommen, wird in den sakralen Raum jetzt ein Pfarrsaal hineingezimmert. Der alte Pfarrsaal um die Ecke samt weiterer Einrichtungen wie der Kindergarten wurden dafür nebenan komplett abgerissen und in einer großen Rochade umgezogen. Das frei gewordene Grundstück soll nun in Erbpacht an Dritte vergeben werden, um dort ein Wohnhaus mit 16 Parteien bauen zu können- die Vergabe soll Geld in die Kasse der Pfarrgemeinde spülen. "Wir müssen jetzt aber noch einen Bauherrn finden", sagt Detlev Kahl, der nicht nur Pfarrer in St. Thomas Morus ist, sondern auch Dekan für Forstenried.

Der große Unterschied des laufenden Umbaus zum Pilot "Immobilien und Pastoral": "Bisher wurde das alles vom erzbischöflichen Ordinariat finanziert. Das findet so nicht mehr statt", erklärt Kahl beim Gespräch im Pfarrbüro. Pro Jahr, skizziert er die Idee aus dem Ordinariat, sollen für Instandhaltung und Renovierung der kirchlichen Immobilien nurmehr 50 Millionen Euro zur Verfügung stehen - im gesamten Bistum. Das reicht hinten und vorne nicht.

"Jetzt haben sie keine Ahnung mehr, wie's weitergeht, und wir sollen's selbst richten."

Von "ordentlichem Unmut" haben im Anschluss an die Dialog-Runden mit Generalvikar Klingan Teilnehmer im Gespräch mit der SZ berichtet . Denn sämtliche Planungen, Konzepte und Sanierungsarbeiten sollen künftig im wesentlichen die Haupt- und Ehrenamtlichen der einzelnen Pfarrstiftungen, also Gemeinden, übernehmen. Die Führungsspitze im Erzbistum spricht euphemistisch von "deutlich mehr Eigenverantwortung". An der Basis sehen es einige so: "Jetzt haben sie keine Ahnung mehr, wie's weitergeht, und wir sollen's vor Ort selbst richten."

Detlev Kahl, Dekan für Forstenried und Pfarrer der Kirche Thomas Morus, muss mit den Gemeinden neue Wege erproben. (Foto: Robert Haas)

Kahl will es nicht negativ sehen: "Es ist das offene Eingeständnis des Ordinariats, wir können nicht mehr. Das haben alle schon lange gewusst." Jetzt hätten die Mitglieder Gestaltungsmöglichkeiten. "Endlich mal mitreden zu können, sehen viele als Chance." Die zwischenzeitliche Angst der Ehrenamtlichen in seiner Gemeinde, größtenteils Ruheständler, mit den Aufgaben überfordert zu sein, habe sich gelegt, seit das Ordinariat fachliche Unterstützung und Begleitung in rechtlichen, baulichen und kunstfachlichen Fragen zugesagt habe. Letztlich hätten jetzt alle 14 Pfarreien, die zu seinem Dekanat gehören, sich fürs Mitmachen ausgesprochen. Die gemeinsame Herausforderung, so der 60-Jährige, sei es nun, herauszufinden, welche Räume die Gemeinden in den nächsten 20 Jahren bräuchten. Unterm Strich sind es hier allein 41 pastoral genutzte Gebäude. Offizieller Start des Pilotprojekts sei September.

Auf der Homepage verweist das erzbischöfliche Ordinariat darauf, dass es für die Pfarrfamilien künftig darum gehe, zu entscheiden, "welche Gebäude am wichtigsten für die Seelsorge vor Ort sind" und zu überlegen, wo gemeinschaftliche Nutzungen mit kirchlichen und nichtkirchlichen Trägern sinnvoll sind oder sich Sponsoren finden lassen. "Neue Denkweisen" seien gefragt, auch Umnutzungen für Wohnzwecke oder gemeinsame Sache mit der Caritas, Bildungseinrichtungen, evangelischer Kirche oder in München der Landeshauptstadt selbst.

Die katholische Kirche müsste ökumenisch denken

Für Werner Attenberger gleicht der anlaufende Pilotprozess einem "großen Fragezeichen". Und das liegt nicht am mangelnden Einblick des 77-Jährigen. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Katholikenrats der Region München, bis vergangenen Herbst war er im Vorstand des Diözesanrats als höchstem Laiengremium im Erzbistum. Die Liste seiner ehrenamtlichen Kirchen-Engagements ließe sich beliebig lange fortsetzen. "Eigentlich müsste die katholische Kirche über den Tellerrand schauen und ökumenisch denken." Oft lägen katholische und evangelische Kirchen nur ein paar Meter auseinander, es gäbe doch viele Möglichkeiten einer gemeinsamen Nutzung. Pfarrheime ganz aufzugeben, hält er aber für schwierig. "Genau das sind doch die Kristallisationpunkte, wo Jugend erstmals anknüpft an die Kirche und die Räume als Treffpunkt nutzt, wie übrigens auch Senioren. Die kann man hier aus ihrer Vereinsamung holen." Kirchenschließungen wären für ihn die schlimmstmögliche Entwicklung: "Ich hab die Befürchtung, dass ich die Leute dann komplett verliere."

Werner Attenberger engagiert sich seit vielen Jahren in der Kirche - hier präsentiert er in St. Martin in Untermenzing Details der Gemälde, auf denen das Signet des Vaters der Asam-Brüder, Hans Georg Asam, entdeckt wurde. (Foto: Friedrich Bungert)

Gleichzeitig ist Attenberger nicht ohne Zuversicht. Schließlich hat er selbst vorgemacht, wie man mit wenig Unterstützung aus dem Ordinariat das eigene Kirchlein und die Pfarrgemeinde zum Strahlen bringt: Nach den Regularien des erzbischöflichen Bauressorts wäre seine heimatliche Pfarrgemeinde mit der Innenrenovierung der eigenen St. Martin-Kirche an der Untermenzinger Eversbuschstraße erst in 15 oder 20 Jahren dran gewesen - obwohl, wie sich bei Untersuchungen herausgestellt hatte, die Gewölberippen nicht mehr fest auf dem Mauerwerk saßen. "Wenn von den 50 Zentimeter dicken Terracotta-Teilen was runterkommt, kann einen das erschlagen."

Werner Attenberger hat durchgesetzt, dass die Kirche St. Martin in Untermenzing schneller als geplant renoviert wurde - und auch mit geringeren Kosten. (Foto: Friedrich Bungert)

Attenberger jedenfalls hatte zusammen mit seiner Frau Anne, ihres Zeichens Kirchenpflegerin, 2019 angestoßen, Bauleitung und Koordinierung selbst in die Hand zu nehmen; der Rentner, der 37 Jahre im Baureferat der Landeshauptstadt verantwortlich arbeitete, war jeden zweiten Tag auf der Baustelle. Die Gemeinde stemmte das Projekt in Eigenfinanzierung sowohl über Eigenmittel, Hilfe einiger örtlicher Sponsoren und einer Finanzspritze des Bezirks Oberbayern. Statt der vom Ordinariat ursprünglich errechneten Baukosten von 750 000 Euro sei man mit 308 000 Euro ausgekommen. Schlagzeilen machte aber etwas anderes: Bei der Renovierung der Seitenaltäre entdeckten die Restaurateure das Signet von Hans Georg Asam, Vater und Lehrmeister der wichtigsten Vertreter des Spätbarocks, Cosmas Damian und Egid Quirin Asam. Ein sensationeller Fund. Die Attenbergers sind für dieses Engagement gerade mit dem Denkmalpreis des Bezirks Oberbayern ausgezeichnet worden.

Ist es realistisch, wie die Attenbergers von sich auf andere zu schließen? Und dass die verbliebenen Ehrenamtlichen, viele längst ergraut, Bauprojekte der gesamten Pfarrgemeinde für immer weniger Mitglieder weitgehend in Eigenregie schultern? "Man kann als Pfarrstiftung nur noch das dringend Notwendige machen", findet Werner Attenberger. "Mit guter Kommunikation ist so ein Projekt stemmbar für eine Gemeinde. Ich bin immer wieder überrascht, wie viele Leute helfen und auch spenden."

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