Digitalanalog-Festival:Schaufenster der Popkultur

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Das Festival findet dieses Jahr komplett virtuell statt. (Foto: Stephan Rumpf)

Das Digitalanalog-Festival geht erstmals komplett im Internet über die Bühne. Aus fünf Räumen im Gasteig streamen die Musiker live - besonders viele Bands kommen aus der Region.

Von Michael Zirnstein

Wenn jemand "gewappnet dafür ist, sich den Herausforderungen der Zeit zu stellen, dann das Digitalanalog-Festival." So erklärt der Münchner Kulturreferent Anton Biebl in seinem Grußwort an jene Pop-Institution der Stadt, der der Wandel quasi "in die DNA geschrieben" stehe. Das spielt zuerst einmal auf die vielen Umzüge des 2002 gegründeten Festivals an. Und dessen Leiterin Claudia Holmeier erinnert sich besonders an einen, der im laufenden Betrieb stattfand. 2005 war man sich mit den Gastgebern in der Schrannenhalle uneins, die auf einmal Eintritt vom Publikum für den zweiten Saal verlangen wollten. Das aber war mit dem Grundgesetz dieser Gratis-Veranstaltung einfach nicht zu vereinbaren, und so machte Digitalanalog am zweiten Tag spontan im Club Rote Sonne weiter.

Nun trat im März 2020 erneut ein Raumproblem auf, ein Pandemie-bedingtes, aber durch die virologischen Plagegeister entstanden eben auf einmal auch ganz neue Orte: virtuelle. Sehr früh entschieden sich die Chefin und das fest in der Familie Holmeier verankerte Team dazu, erstens das Riesenfestival trotzdem zu machen, und es zweitens komplett und ausschließlich im Internet zu übertragen.

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Wenn bei vielen Musikfreunden auch längst eine Stream-Müdigkeit eingesetzt hat und im kleinen Rahmen wieder Präsenz-Konzerte erlaubt sind, hält Claudia Holmeier diesen Weg immer noch für den einzig praktikablen. "In den vergangenen Jahren kamen 12 000 Besucher zu uns, ein Kommen und Gehen. Wem sollen wir eine Karte geben? Wer darf rein, wenn einer den Gasteig verlässt? Das widerspräche unserem Konzept, die Kunst für jeden kostenlos erlebbar zu machen."

"Festival-Feeling" könne aber durchaus aufkommen, hofft Holmeier. Und zwar dadurch, dass zwei Abende lang jeweils fünf Konzerte parallel laufen in fünf Räumen. Die Internet-Gäste könnten über den Lageplan auf der Digitalanalog-Homepage vom einen zum anderen schalten zwischen den in den kryptisch mit F-COS, COS, KK, F-KK und BB betitelten Sälen, wie sie früher zwischen Carl-Orff-Saal, den Foyers und Blackbox auf der Suche nach Pop-Perlen unterwegs waren. Das Gewusel, das Plaudern, die Zufallsbegegnungen beim Pendeln und Anstehen, aber auch die am eigene Leib erlebbaren Kunstinstallationen - all das wird der Datenaustausch freilich nicht ersetzen können.

Die Künstler müssen auf den fünf Bühnen Abstand halten

So dürfen allein die Akteure in den Gasteig: die Organisatoren, die Moderatoren, die engagierten Fernsehfachleute fürs professionelle Filmen und Senden und die Künstler. Auch dies sind weit mehr als hunderte Menschen im ständigen Wechsel. Laufend muss die Organisation ihr Konzept an neue Anordnungen anpassen, vom versiegelten Catering bis zu den Belegzahlen.

Gerade musste der Synthesizer-Experte Herr Schneider seine Reise nach München absagen, weil das Hotel den Risiko-Berliner nicht aufnehmen wollte - seine verbraucherorientierten Einführungen in die Kunst elektronischer Klangerzeugung schickt er nun per vorab aufgezeichneter Lehrvideos. Die anwesenden Künstler müssen auf den fünf Bühnen Abstand halten, auch wenn sie im Probenraum sonst eng beisammen sind. "Was sie privat machen, ist ihr Ding", sagt Holmeier, "wir sind im öffentlichen Raum, da müssen wir nach den Regeln spielen."

Ansonsten ist bei Digitalanalog wieder alles erlaubt. Das heißt, bei den Darbietungen gibt es keine Grenzen im weiten Spektrum von handgemachter und computerisierter Musik "fern des massenmedientauglichen Mainstreams". Wer zu den experimentierfreudigen Formaten noch keinen rechten Zugang hat, der findet ihn vielleicht über die extra für das neue Format installierten Talkrunden - in einem eigenen Raum erklären die Künstler, was sie da eigentlich machen.

Im Programmheft gibt es keine Kategorisierung. Elektro-Avantgardisten wie der aus Moskau stammende Anton Mints oder das Berliner Techno-Duo Huellkurve stehen da in alphabetischer Reihe mit Songwriterinnen wie Gudrun Mittermeier und dem multikulturell musizierenden Paranorm al String Quartett von der Musikhochschule. Wegen der angespannten Reiselage kommen diesmal besonders viele Gruppen aus der Region, was einen guten Einblick in die aktuelle Abschlussklasse der Münchner Schule gibt: von den Post-Punks Endlich Rudern über die Hip-Hop-Funker Kidso, die Elegie-Experten Leonie singt, das Soul-Pop-Duo Sweetlemon oder die Klang-Bastelmeister The King of Cons.

Die Elektro-Fraktion fühlt sich eh zu Hause in Paralellwelten zwischen Sägezahn- und Sinus-Kurven, wie Dafalgan, die ihren "Sound-Trip" einfach klangmalerisch mit "mmtscxhack-dröhn-stötter-schwurbel-klick-boing" beschreiben. Oder Mario Schönhofer, der hier ohne sein berühmtes Analog-Synthie-Duo Ströme auftritt, dafür mit zwei spannenden neuen Projekten: einmal mit Franz Ferdinand-Gründer und Spaßvogel Nick McCarthy, dann mit Mathias Kettner in einem Modular-Jazz-Projekt.

Das Festival auf der Heimkino-Leinwand

Oft fließen digital und analog ineinander, wie im Indie-Elektro-Pop von Flor And The Sea oder im vertrackten Hip-Hop-Funk zwischen "echten Instrumenten" und "Effekttracks" von Kidso. Einige denken das Konzept Konzert selbst weiter, wie Superstrings, die theoretische Physik, Musik und eine 30-minütige Film-Collage vereinen, oder Fox & Grapes, die melancholische Sounds stets mit hypnotischen Visuals kombinieren.

Alle anderen Musiker werden wieder live von Videokünstlern aus der Clubszene wie dem Dreschwerk-Kollektiv in ein Bildermeer getaucht. Natürlich wirkt das auf dem Bildschirm nicht so horizonterweiternd wie live und groß im Gasteig. Aber Stammgäste haben Claudia Holmeier schon geschrieben, sie würden sich daheim corona-konform zum Digitalanalog schauen mit Beamer auf der Heimkino-Leinwand treffen. Man muss sich derzeit nur anpassen können.

Digitalanalog , Fr./Sa., 16./17. Okt., 19.30 Uhr, Stream unter digitalanalog.org

© SZ vom 16.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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