Demonstration:"Ich will sagen können, es gibt in München keinen Platz für Antisemitismus"

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Regenschirme trotz strahlendem Sonnenschein: Auch die Aktivistinnen der "Omas gegen Rechts" folgten am Freitag dem Demonstrationsaufruf. (Foto: Catherina Hess)

200 Menschen demonstrieren auf dem Marienplatz gegen Antisemitismus. In seiner Rede unterstreicht Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) die Bedeutung des Kampfes gegen Judenhass.

Von Jakob Wetzel

Auf die Straße zu gehen sei nötig, sagt Jutta Voigt, "mehr denn je". Voigt gehört zum Verein Lichterkette, der sich seit 1992 unter anderem gegen Judenhass einsetzt. Doch der nehme zu, sagt sie: Populisten scheuten nicht vor antisemitischen Klischees zurück; Judenhass sei bei Querdenkern sichtbar geworden, in Parteien und auch zuletzt während des Gaza-Krieges. "Es ist mir unerträglich, dass jemand vor einer Synagoge in Deutschland schreit: Juden raus", wie zuletzt in Wuppertal, sagt Voigt. Deshalb stehe sie nun hier.

Voigt ist eine von etwa 200 Münchnerinnen und Münchnern, die am Freitagnachmittag auf dem Marienplatz gegen Judenhass demonstriert haben. Der Verein "München ist bunt" hatte dazu aufgerufen. Die Kundgebung sei überfällig und bei sinkender Inzidenz nun auch wieder möglich, hatte die Vereinsvorsitzende Micky Wenngatz erklärt. Auf dem Marienplatz standen die Demonstranten dann mit Abstand und Masken in brütender Hitze, Schatten spendeten allenfalls Transparente und mitgebrachte Sonnenschirme.

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Es gebe aber "keinen Grund, hier heute nicht zu stehen", sagte Oberbürgermeister Dieter Reiter. Judenfeindliche Angriffe hätten auch in München zugenommen, zuletzt vor dem Hintergrund der Eskalation im Nahost-Konflikt. Israels Generalkonsulin Sandra Simovich sprach später von Hunderten Hassnachrichten, die sie erreicht hätten. "Ich will sagen können, es gibt in München keinen Platz für Antisemitismus", sagte Reiter. Doch dazu müssten alle mittun. Wegschauen sei nicht länger erlaubt.

Nach Reiter sprachen der Berliner Rapper Ben Salomo und der Kabarettist Christian Springer. Er wolle nie mehr in einer Polizeimeldung lesen müssen, Passanten hätten bei einem antisemitischen Vorfall nicht eingegriffen, sagte Springer. "Wann ist Antisemitismus von einer geächteten Hass-Ideologie wieder zu einer von der Meinungsfreiheit geschützten Meinung geworden?", fragte Salomo. Wenn laut Studien jeder vierte Deutsche antisemitische Gedanken habe, müsse man jeden ersten, zweiten und dritten ansprechen. "Die Stille und die Gleichgültigkeit der Vielen machen Antisemiten erst so selbstbewusst."

Die Zeiten, in denen die breite Bevölkerung klar Stellung bezogen habe, seien leider vorbei, hatte Charlotte Knobloch, die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde, zuvor gesagt. Während des Sechs-Tage-Krieges 1967 hätten Zehntausende Solidarität mit Israel demonstriert. Heute sei man froh, wenn anti-israelische Demos nicht im Chaos enden und dann "die Juden" verantwortlich gemacht würden. Knobloch hatte 2012 in der SZ gefragt: "Wollt ihr uns Juden noch?" - und diese Frage bejaht. "Heute stelle ich sie lieber nicht", sagte sie am Freitag. Trotzdem bleibe sie Optimistin. "Hass darf nicht das letzte Wort sein!", rief sie unter dem Beifall der Zuhörer. "Wir vertrauen auf die Münchnerinnen und Münchner, wir wollen auf sie vertrauen." Und: "Wir gehören zu dieser Stadt, ohne Wenn und Aber. Wir sind hier, und wir bleiben hier!"

Unter den Zuhörern ist auch Ludwig Spaenle, der Beauftragte der bayerischen Staatsregierung gegen Antisemitismus. Herzukommen sei ein Bekenntnis, aber das reiche nicht: "Wir müssen noch mehr tun", sagt er. "Der Schutz des jüdischen Lebens und der Kampf gegen Antisemitismus müssen in die bayerische Verfassung und ins Grundgesetz."

© SZ vom 19.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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