Alarm! Sie rufen nicht, sie singen. Alarm, weil so viele Menschen von Rechten ermordet werden, Alarm, weil so viel Hass ist im Land. Deshalb haben sie alle dieselbe Botschaft, es ist ein lautes Nein. 5500 Münchner sind auf den Platz vor der Oper gekommen, um gegen rechten Terror zu demonstrieren und, angesichts der Kommunalwahl in einer Woche, gegen die AfD. Diese Partei machen sie alle für eine Stimmung verantwortlich, aus der heraus Morde geschehen. "Just don't do it" - wählt nicht AfD, das ist die Botschaft aller Rednerinnen und Redner an diesem Freitag.
Unter ihnen ist auch einer, der noch vor einem Jahr niemals von einem so deutlich links orientierten gesellschaftlichen Bündnis wie dem um die Sozialgenossenschaft Bellevue di Monaco toleriert oder gar eingeladen worden wäre: Markus Söder. Jetzt aber steht der Ministerpräsident und CSU-Chef auf der Bühne. Es hat, so hört man, Diskussionen und Irritationen unter den Veranstaltern und Unterstützern der Demo gegeben: Muss man ausgerechnet den Mann einladen, der vor nicht allzu langer Zeit nicht nur mit dem Wort vom "Asyltourismus" die feindliche Stimmung gegen Flüchtlinge befeuert hat? Ja, haben die Leute um Organisator Till Hofmann entschieden, man wolle ein gemeinsames Zeichen der Demokraten setzen.
Eine sehr kleine Gruppe sehr linker Demonstranten versucht, Söders Rede zu stören. Sie halten ein Transparent hoch, das keine politische Botschaft enthält, sondern nur eine Beleidigung. Nach wenigen Sekunden wird es von anderen Demonstranten heruntergerissen. Wenn sich jemand freue über solche Szenen, dann ist es die AfD, sagt Söder. Er lässt keinen Zweifel daran, dass auch er inzwischen diese Partei als Bedrohung sieht: "Wir müssen aufpassen, dass das braune Gift nicht weiter sickert, ins demokratische Grundwasser kommt." Die AfD sei kein Stammtisch verirrter Konservativer. Der völkische Flügel von Björn Höcke wolle zurück in die 1930er-Jahre - das sei "eine neue NPD, nichts anderes". Demonstrativ stellen sich während Söders Rede Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, und Oberbürgermeister Dieter Reiter neben den Ministerpräsidenten.
Der OB von der SPD freut sich, mit seinem politischen Gegner Söder an diesem Tag für ein gemeinsames Ziel zu kämpfen. Es gelte, "allen Hetzern, allen Spaltern, allen Rassisten" entgegenzutreten. So sehr Reiter beim Blick auf die Menge seine Münchner lobt - er ist noch nicht zufrieden: Noch mehr müssten sie tun, jeder einzelne. Reiter ruft dazu auf, im Alltag einzutreten für die Menschen, die angefeindet und angegriffen werden. "Deutlich ausbaufähig" sei diese demokratische Wehrhaftigkeit, sagt Reiter. Es gelte, den Hetzern zu widersprechen. Als er auch zur Solidarität mit jenen aufruft, die aus Syrien fliehen, die an der türkisch-griechischen Grenze festsitzen oder auf den griechischen Inseln hausen, ist der Applaus besonders laut. Vor sich hat der OB Tausende Münchner, die offenbar bereit wären, wieder zu helfen, wie damals, 2015.
Auch Claudia Roth von den Grünen, die Bundestagsvizepräsidentin, wird bejubelt, weil sie so engagiert spricht, wie es wenige andere tun. Sie habe, berichtet sie, vor ein paar Tagen in Hanau den Großvater eines jungen Mannes getroffen, der von dem rechten Rassisten ermordet worden war. Der alte Mann habe ihr versichert, dass er 45 Jahre lang in Deutschland gearbeitet habe. Das habe sie erschüttert, sagt Roth, weil dieser Großvater, inmitten seiner tiefster Trauer geglaubt habe, sich rechtfertigen zu müssen, dass er frei von Gewalt leben wolle. "Wir wollen nicht in einem Land leben, wo Menschen Angst haben", ruft Roth der Menge zu.
Ganz am Rand dieser Menge stehen zwei stadtbekannte Rechtsextremisten, sie bleiben nicht lange unentdeckt. Aktivisten der Satirepartei "Die Partei" gesellen sich zu ihnen, rahmen sie ein mit ihren "Partei"-Schildern: "Nazis töten." Es ist eine Feststellung im Deutschland des Jahres 2020. Die Stimmung an diesem Nachmittag schwankt zwischen Wut und Mut, zwischen Entsetzten und Selbstbewusstsein. Und als La Brass Banda auf die Bühne kommt, diese Hochgeschwindigkeits-Blaskapelle, da verbreiten die Musiker Alarmstimmung. "Alarm!" singen sie, immer wieder: "Alarm, Alarm!" Aber es klingt gar nicht ängstlich. Es klingt laut und energisch.
Hinweis: In einer früheren Fassung haben wir von mehr als 7500 Teilnehmern geschrieben. Diese Angabe war falsch, wir haben den Fehler korrigiert.