Coronavirus:Geschäftsleute klagen gegen den Freistaat

Lesezeit: 2 min

Schauplatz des Prozess zwischen Geschäftsleuten und Freistaat - doch wie lange noch? Der Justizpalast in München. (Foto: lok)

Die Unternehmer wollen eine Entschädigung für Einbußen durch die Corona-Maßnahmen erstreiten. Rechtlich ist das verzwickt - deshalb könnten die Fälle bald in Karlsruhe landen.

Von Stephan Handel, München

Klagen vor den Verwaltungsgerichten, Klagen gegen Versicherungen, Klagen gegen Vermieter - auf vielfältigen gerichtlichen Wegen versuchen Geschäftsleute seit einem Jahr, die Schäden erstattet zu bekommen oder wenigstens zu minimieren, die ihnen durch die Corona-Maßnahmen entstanden sind. Eine neue Strategie nimmt derzeit am Landgericht München I ihren Anfang: Dort sind bereits mehr als zehn Klagen anhängig, die den Freistaat Bayern über das Enteignungsrecht in die Haftung zu nehmen versuchen. Am Mittwoch wurden die ersten beiden Fälle verhandelt.

Martin Kilger ist Musiker, Film- und Musikproduzent aus Pfronten im Allgäu. Mit seiner Band Buron hätte er im vergangenen Jahr von Mitte März bis Ende Mai 13 Auftritte gehabt - die aber alle ausfielen, weil Veranstaltungen nicht mehr erlaubt waren. Dadurch entgingen ihm Gagen von rund 16 000 Euro. Abzüglich der Soforthilfen, die er bekommen hat, klagt er nun auf gut 6000 Euro. In dieser Konstellation sah das Gericht einen "Reflex" auf die Verordnungen, weil ja nicht Kilgers Betrieb geschlossen wurde, sondern andere, etwa Gastronomien, und er deshalb nicht mehr auftreten konnte. Anders liegt es bei Jürgen Penno: Er ist Eigentümer einer Kart-Bahn in Franken, die in normalen Jahren 30 000 Besucher begrüßt. Im vergangenen März, so rechnet er vor, habe er nicht 14 000 Euro Gewinn gemacht wie ein Jahr zuvor - sondern 27 000 Euro Verlust. Im Rahmen einer Teilklage macht er davon zunächst gut 11 000 Euro geltend.

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

So einfach sich diese Sachverhalte darstellen - so kompliziert wird es sofort, als es um die juristische Einordnung der Angelegenheiten geht. Dem Vorsitzenden Richter Frank Tholl, seinen beiden Kolleginnen und den beiden Rechtsanwälten ist der Spaß an der verzwickten rechtlichen Lage anzumerken: Dafür haben sie ja mal studiert!

Also: Die Klagen interpretieren die Betriebsschließungen und die daraus resultierenden Umsatzeinbußen als "enteignungsgleichen Eingriff" - wie wenn der Staat einem Bauern ein Stück Land wegnimmt, um darauf eine Straße zu bauen, nur dass es nun nicht um ein paar Quadratmeter Acker geht, sondern gleich um Geld. Enteignungen stehen im Grundgesetz und sind grundsätzlich möglich - allerdings nur "durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes" und gegen eine angemessene Entschädigung.

Im Infektionsschutzgesetz sind zwar Entschädigungen vorgesehen - allerdings nicht für Betriebsschließungen; die Soforthilfen zählen nicht als Entschädigungen, sondern sind mehr oder weniger Geschenke, Zuschüsse. Die Kläger argumentieren weiter, dass die erlittenen Schäden für sie ein "Sonderopfer" darstellen - auch ein solches kann nur verlangt werden, wenn es dafür eine Kompensation gibt. Gibt es aber nicht, siehe oben. Der Anwalt des Freistaats hält in der Verhandlung dagegen, dass ein Opfer, das von allen verlangt werde, eben kein Sonderopfer sei, weil ihm das Besondere fehle.

Der nächste schöne juristische Begriff, der nun eine Rolle spielt, ist der der "planwidrigen Regelungslücke": Hat der Gesetzgeber im Infektionsschutzgesetz nur vergessen, die Entschädigungen für Betriebsschließungen zu regeln? Wenn ja, dann dürfte das Gericht die im Gesetz enthaltenen Regelungen sozusagen anlog anwenden und käme so zu einem Urteil.

Was aber wenn nicht? Wenn der Gesetzgeber diese Angelegenheit bewusst offen gelassen hätte? Dann wäre dem Gericht eine Entscheidung versagt. Das würde dann aber auch bedeuten - sofern man der These vom "enteignungsgleichen Eingriff" folgt -, dass ins Vermögen von Bürgern eingegriffen wird, ohne dass ein Gesetz existiert, das die Entschädigung dafür regelt. Das könnte verfassungswidrig sein, und die Kammer müsste den Fall dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorlegen. Vom Justizpalast direkt nach Karlsruhe - eine Entscheidung wird am 28. April verkündet.

© SZ vom 25.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

München und die Freischankflächen
:Knapp an der Willkür vorbei

Die Stadt muss sich auf eine Klagewelle der Wirte gefasst machen. Die Einordnung von Straßen in unterschiedliche Preisklassen bleibt auch den Richtern rätselhaft.

Kommentar von Franz Kotteder

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: