Coronavirus in München:"Der Erreger ist nach wie vor da"

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Noch längst ist in München nicht alles so, wie es vor Corona war. (Foto: dpa)

Am Dienstag lagen vier Corona-Patienten im Klinikum, die Stadt meldete 29 Neuinfektionen. Infektiologen mahnen aber trotz der momentan niedrigen Zahlen in München zur Vorsicht.

Von Ekaterina Kel

Den beeindruckendsten Tiefstand gab es am Freitag, 12. Juni. Da meldete der tägliche Corona-Ticker der Stadt München einen einzigen neu registrierten Fall innerhalb eines ganzen Tages. Es war der bisher geringste Anstieg dieser von so vielen Augen beobachteten Zahl - der Zahl der Neuinfizierten. Seitdem ist sie wieder etwas hochgegangen, sie hat sich seit Mitte Mai im niedrigen zweistelligen Bereich eingependelt. Am vergangenen Dienstag meldete die Stadt beispielsweise 29 Neuinfektionen. Je weiter die Coronavirus-Pandemie fortschreitet, desto mehr verschiedene Wege gibt es, sich über die Verbreitung des Virus zu informieren. Man kann sich die täglich gemeldeten Zahlen anschauen, an der Sieben-Tage-Inzidenz (zurzeit 6,80 in München) und an der Reproduktionszahl (1,08) Trends ablesen, sich Genesenen-Zahlen in Erinnerung rufen. Dann gewinnt man den Eindruck, das Schlimmste hinter sich zu haben.

Muss man sich überhaupt noch um Corona sorgen? Tatsächlich sagt auch Christoph Spinner, der als Oberarzt in der Infektiologie des Klinikums rechts der Isar täglich mit Covid-19-Patienten zu tun hat und auch die ganz heiße Phase zu Genüge kennt: "Generell hat sich die Situation sehr gut stabilisiert", und "im Grunde hat es sich entspannt". Im Vergleich zu "Spitzenzeiten" im April, wo etwa 80 Covid-19-Patienten am Tag versorgt werden mussten und bei vielen mit Vorerkrankungen oder im hohen Alter das bittere Einsehen kam, dass man ihnen nicht mehr helfen konnte, lagen am Dienstag beispielsweise nur noch vier Corona-Patienten im Klinikum, erzählt Spinner. Es seien jetzt auch mehr unkomplizierte Fälle zu beobachten, die schneller wieder entlassen werden können und die auch nicht mehr so häufig beatmet werden müssen. Jetzt haben sich viele Kollegen endlich wieder frei nehmen können, nach einer langen Zeit, in der wirklich jede helfende Hand gebraucht wurde. "Wir animieren die Kollegen, sich jetzt zu erholen, auch angesichts einer möglichen zweiten Welle", so Spinner.

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Der Infektiologe mahnt trotz des momentanen Ruhegefühls zur Vorsicht. "Der Erreger ist nach wie vor da", sagt er. Zu unserem "alten Leben", wie wir es vor der Pandemie kannten, würden wir nicht so schnell wieder zurückkehren. Den Krisenstab am Klinikum habe man jedenfalls nicht aufgelöst. Und Spinner ist auch nach wie vor der offizielle Pandemiebeauftragte des Hauses. "Wir sind durchaus weit weg vom Regelbetrieb", sagt der Infektiologe.

Auch der Gedanke, das Infektionsgeschehen spiele sich hauptsächlich in Altenheimen ab, führt laut Spinner in die Irre. Gerade dort würden die Schutzmaßnahmen sehr ernst genommen, deshalb seien gar nicht viele Ältere auf Station bei ihm. Im Gegenteil: "Vom Koch bis zur Migrantin sehen wir hier eine breite Palette von Patienten mittleren Alters", sagt der Oberarzt.

Laut dem Referat für Gesundheit und Umwelt (RGU) ist zurzeit in ganz München ein einziger Bewohner eines Alten- und Pflegeheims mit Corona infiziert. "Die umfangreichen Schutz- und Vorsorgemaßnahmen haben große Wirksamkeit entfaltet", so das RGU. Allerdings wütete das Virus vergleichsweise heftig in den Einrichtungen: 112 von insgesamt 220 Todesfällen kamen aus solchen Heimen. In Flüchtlingsunterkünften seien aktuell 33 Bewohnerinnen und Bewohner positiv - von mehr als 7000 Flüchtlingen, die in der Stadt leben. Man arbeite daran, Kontakte so gut und so schnell es geht zu identifizieren. 356 Vollzeitstellen im RGU seien nur mit Mitarbeitern vom Contact-Tracing-Team besetzt.

Orte mit besonders starkem Infektionsgeschehen nennt die Behörde nicht. "Generell ist das Risiko, sich zu infizieren überall dort erhöht, wo sich viele Menschen auf engem Raum treffen", heißt es. Große Menschenansammlungen sollten gemieden werden. Spinner wird etwas spezifischer: Vor allem kalte, feuchte Luft, geschlossene Räume, laut sprechende oder singende Menschen seien Risikofaktoren.

Der Infektiologe sagt auch, man müsse das Geschehen "regelmäßig und sehr aufmerksam" beobachten. "Da muss nur ein Fall durchrutschen." Und falls es noch mal kritisch wird? Dann gäbe es ja die erprobten Pandemiepläne, hält er entgegen. Am RGU trifft sich auch weiterhin virtuell, mittlerweile allerdings nur alle zwei Wochen, ein runder Tisch aus Verantwortlichen der meisten Krankenhäuser, um sich über die Situation auszutauschen. Und auch der Stab für Außergewöhnliche Ereignisse tage weiter, heißt es vom Presseamt.

Die Krisen-Strukturen bleiben erhalten, um so schnell wie möglich reagieren zu können. So könne auch Spinner einer zweiten Welle "deutlich geruhter" entgegen blicken. "Wir haben gezeigt, dass wir schnell hochfahren können, wenn nötig."

© SZ vom 02.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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