Corona-Pandemie:Hausärzte in München werden überrannt

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Eine Patientin wird gegen das Coronavirus geimpft. (Foto: Catherina Hess)

Immer mehr Impfstoff und die Aussicht auf mehr Freiheiten: In vielen Praxen herrscht aktuell Ausnahmezustand - ein Vorstoß des Bundesgesundheitsministers könnte nun helfen, die Lage zu entzerren.

Von Ekaterina Kel

Neulich hat Georg-Eike Böhme eine Beschwerde von einem Patienten erhalten: Seine Praxis sei telefonisch so schlecht zu erreichen. Da kann Böhme nur noch lachen. Drei Mitarbeiter hat er extra dafür eingeplant, den ganzen Tag das Telefon anzunehmen und Mails zu beantworten - an die 100 pro Tag. Sein Appell an die Menschen: "Seid friedlich." Nach der langen Corona-Zeit sei der Geduldsfaden bei vielen sehr viel dünner geworden, sagt er.

So wie Böhme in seiner Praxis im Lehel geht es gerade den meisten Hausärzten in München. Das Telefon klingelt unaufhörlich, die Mailflut wird immer größer. Immer mehr Menschen kennen in ihrem Umfeld welche, die zumindest schon eine Corona-Impfung erhalten haben - immerhin ist mittlerweile fast jeder dritte Münchner geimpft. Die anderen fragen sich nun, wann sie an die Reihe kommen und versuchen ihr Glück, notfalls auch bei mehreren Ärzten. Angeheizt wird die Stimmung durch das konkret gewordene Versprechen von Freiheit. Denn für vollständig Geimpfte gelten zum Beispiel keine Kontaktbeschränkungen oder Ausgangssperren mehr. Auch die Freigabe von Astra Zeneca für alle trägt zur starken Nachfrage bei. Theoretisch kann nun jeder und jede an eine Impfung kommen. Doch die Lieferumfänge sind weiterhin begrenzt. Wie funktioniert die Verteilung also in der Praxis?

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Und ist ein Sommerurlaub realistisch? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der Münchner Stadtrat. Der Leiter des Corona-Krisenstabs hält ab Mai 400 000 Immunisierungen pro Monat für möglich. Aber dann gibt es da noch das Problem mit der siebten Dosis.

Von Ekaterina Kel

Dazu muss man wissen, dass München genau genommen längst nicht mehr nur ein Impfzentrum hat. Seit April sind Hunderte mehr dazugekommen. Seit die Hausärzte die Impfkampagne gegen das Coronavirus unterstützen, geht das Impfen in der Stadt spürbar schneller voran. Auch, weil die Liefermengen von Woche zu Woche zunehmen. Obwohl die Praxen erst drei Monate später eingestiegen sind, liegt der Anteil der Impfungen in München, die bei ihnen verabreicht wurden, mittlerweile bei mehr als 22 Prozent. Allein in dieser Woche waren es mehr als 34 000 Impfungen in den Praxen. Die Impfteams der Stadt schafften in derselben Zeit gut 23 000. Ein Grund dafür ist auch, dass der Impfstoff von Astra Zeneca nur von den Hausärzten verabreicht wird und alle, die ohne Prioritätsanspruch jetzt schon eine Impfung haben wollen, nur schnell genug sein müssen, um sie zu ergattern.

Die Praxen organisieren, genauso wie es vorher nur das Impfzentrum gemacht hat, eine sogenannte Impfstraße für ihre Patienten: anmelden, Papierkram erledigen, Arm freimachen, Impfdosis erhalten, Viertelstunde im Warteraum sitzen und Reaktionen abwarten, Impfpass ausgehändigt bekommen. Das alles mit den nötigen Hygienevorschriften. Und das ist nur der Ablauf während der Impfung selbst. Danach wird alles dokumentiert, wie alt, welcher Impfstoff, welche Charge. Anschließend geht die größte Arbeit von allen, die Terminvergabe, wieder von vorne los.

So erzählt es Philipp Gross. Der Allgemeinmediziner ist Inhaber einer großen Praxis mit zwei Filialen im Glockenbachviertel. In einer davon finden eigentlich nur noch Corona-Impfungen statt, einen Arzt und zwei Medizinische Fachangestellte hat er eigens dafür eingeplant. Im Moment seien dort etwa 50 Impfungen am Tag möglich. Nachdem Astra Zeneca für alle freigegeben wurde, hätten sie in großen Mengen bestellt, sagt Gross. Man gebe sich Mühe, möglichst viele zu impfen. Und könnte noch mehr stemmen. Doch die Lieferungen seien weiterhin limitiert.

Weil sich so viele Menschen bei ihnen in der Praxis meldeten, um an Impfstoff zu kommen, gibt die Homepage Auskunft. Dort steht detailliert, wie bei welchem Impfstoff zu verfahren ist und wer sich anmelden kann. Es gibt eine Onlinevergabe für Termine - die sind die meiste Zeit über ausgebucht. Aktuell steht dort: "Alle planbaren Dosen sind bis Ende Mai vergeben." Und: "Wir bedauern genauso wie Sie die schlechte Impfstoffversorgung. Bitte sehen Sie von Nachfragen ab, wir können keine weiteren Informationen hierzu geben."

Die Praxen seien "am Rand der Erreichbarkeit", sagt Wolfgang Ritter vom Bayerischen Hausärzteverband. Auch er ist niedergelassener Allgemeinmediziner in einer großen Praxis im Münchner Süden, wo etwa 500 Corona-Impfungen pro Woche stattfinden. Damit liegt die Praxis im oberen Bereich, die meisten schafften durchschnittlich maximal 100, wie eine Umfrage des Verbands ergab. Die Corona-Impfungen seien "sehr aufwendig und wahnsinnig personalintensiv" berichtet Ritter. Vor allem, weil man Woche für Woche neu kalkulieren und bestellen müsse. Bei Astra Zeneca komme noch hinzu, dass man die Impfwilligen je nach Alter und Geschlecht unterschiedlich beraten müsse, weil das Risiko für Hirnvenenthrombosen besonders bei jüngeren Frauen eine Rolle spielt.

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"Ich werde zwei Dosen Astra in zwei Tagen nicht los"

Jetzt, da vollständig Geimpften Erleichterungen im Alltag versprochen werden, "wollen noch viel mehr Leute Biontech haben", weiß Ritter. Die zweite Impfung erhält man bei diesem Impfstoff bereits nach sechs Wochen, bei Astra Zeneca erst nach drei Monaten. Ein Grund mehr, warum Astra Zeneca schlechter weggeht, teilweise gar liegen bleibt. Georg-Eike Böhme beschreibt das Problem so: "Ich werde zwei Dosen Astra in zwei Tagen nicht los. Bei Biontech habe ich in zehn Minuten zwanzig Leute zusammen." Erleichterung könnte hier der jüngste Vorstoß des Bundesgesundheitsministers schaffen, das Intervall bei Astra Zeneca zu verkürzen. Mediziner weisen gleichzeitig darauf hin, dass der Impfschutz bei längerem Abstand länger hält.

Das Gesundheitsreferat betont, dass vereinbarte Termine für Astra Zeneca-Zweitimpfungen im Impfzentrum nur in medizinisch begründeten Ausnahmefällen verschoben werden können. Und was macht man, wenn man keinen Hausarzt hat? Ein typisches "Großstadtphänomen" sei das, sagt Ritter, dass besonders junge Menschen, die erst seit ein paar Jahren in der Stadt sind, keinen festen Hausarzt hätten. Die müssten sich noch etwas gedulden, erst mal gebe es immer noch viele Ältere und chronisch Kranke, die man versorgen müsste, so der Hausarzt. Seine Einschätzung klingt optimistisch: In etwa einem Monat werde sich die Aufregung legen. Dann seien die vulnerablen Gruppen durch.

© SZ vom 08.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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