Volkstrauertag in München:"Rasender Judenhass, wie wir ihn seit dem Holocaust nicht mehr gesehen haben"

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Auf dem Neuen Israelitischen Friedhof wurde am Volkstrauertag der gefallenen jüdischen Soldaten des Ersten Weltkriegs gedacht. (Foto: Robert Haas)

Ein Tag der Erinnerung, ein Tag der Sorge: Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, spricht beim Gedenkakt für im Ersten Weltkrieg gefallene jüdische Soldaten eine deutliche Warnung aus.

Von Andrea Schlaier

"Wieder" war an diesem frühen Sonntagnachmittag auf dem Neuen Israelitischen Friedhof an der Garchinger Straße für Charlotte Knobloch der Begriff der Stunde. Es gebe einen inneren Zusammenhang zwischen den gefallenen jüdischen Soldaten des Ersten Weltkriegs und "dem Heute", sagte die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG), am Volkstrauertag beim Gedenken an die zwischen 1914 und 1918 umgekommenen jüdischen Soldaten. Deshalb schließe sie in das gemeinsame Erinnern auch die Opfer und Geiseln des "fürchterlichen Pogroms, das die Hamas am 7. Oktober angerichtet hat" mit ein.

In Anwesenheit zahlreicher Vertreter von Freistaat, Stadt und Gemeinde wurde auch in diesem Jahr mit militärischem Zeremoniell der im Ersten Weltkrieg gefallenen jüdischen Soldaten aus München und Umgebung gedacht. Ihnen zu Ehren steht im weiten Gelände des Friedhofs ein Mahnmal, an dem die prominenten Gäste Kränze niederlegten.

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Knobloch erinnerte an die 100 000 jüdischen Soldaten, die wie ihre nicht jüdischen Altersgenossen in den Krieg gezogen waren, und von denen 12 000 nicht mehr zurückgekehrt sind. Die, die zurückgekehrt waren, "mussten sich in einer Welt zurechtfinden, die nicht mehr dieselbe war": Ihr "Dienst am Vaterland" sei verleugnet worden, und der Aufbruch in die demokratische Moderne der sogenannten Goldenen Zwanzigerjahre sei ein trügerischer gewesen: "Die neuen gesellschaftlichen Freiheiten und die einzigartige künstlerische Vielfalt waren begleitet von einem unaufhaltsamen Erstarken der völkischen Feinde von allem, was demokratisch - und jüdisch war. Der offene aggressive Judenhass versprach und brachte Erfolg."

Heute verstehe man sich als einen selbstverständlichen Teil der Gesellschaft dieses Landes, das sich nach 1945 zu einer starken, stabilen Demokratie entwickelt habe - dies sei der Traum der jüdischen Vorfahren gewesen. Doch "in diesem Jahr fällt es mir schwer, das so zu formulieren", sagte Knobloch. Antisemitismus sei nicht nur nie weg gewesen, sondern habe in den vergangenen Jahren spürbar zugenommen und die jüdische Gemeinschaft zunehmend verunsichert.

Seit dem 7. Oktober nun gebe es ein "Wieder". Wieder habe "rasender Judenhass zugeschlagen, wie wir ihn seit dem Holocaust nicht mehr gesehen haben". Wieder müssten deshalb heute jüdische Familien gefallene Soldaten beklagen. "Wieder ist infolge dieses Pogroms Judenhass mit einer Wucht und Gewaltbereitschaft auch in unsere Gesellschaft und auf unsere Straßen zurückgekehrt und hat jüdischen Menschen in diesem Land eben jenes Gefühl genommen, selbstverständlich dazuzugehören."

"Es gibt kein christliches, muslimisches, jüdisches Blut, nur menschliches."

Auch die übrigen Redner verurteilten scharf den Überfall der Hamas auf das israelische Volk und das Wiedererstarken des Antisemitismus auch in Deutschland. Diejenigen, so Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU), der in Vertretung von Ministerpräsident Markus Söder sprach, die diese Terrorakte gutheißen, "denen sagen wir ganz deutlich: Wer die Existenz Israels infrage stellt, wird bei uns keine Heimat finden". An diesem Volkstrauertag gehe es um das Gedenken an die gefallenen jüdischen Soldaten, "aber auch um ein starkes Signal gegen die aktuelle Welle des Antisemitismus" auch in Bayern.

Herrmann erinnerte bei der Gelegenheit daran, dass die Nationalsozialisten alles getan haben, um die Erinnerung an die jüdischen Soldaten auszulöschen, indem sie diese systematisch aus den Listen der Gefallenen tilgten. Von 1914 bis 1918 dienten fast 10 000 von ihnen beim bayerischen Heer. Aus München nahmen 1500 jüdische Soldaten am Krieg teil. 180, so Herrmann, sind gefallen.

CSU-Stadtrat Michael Dzeba, der in Vertretung von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) gekommen war, bezeichnete diesen Volkstrauertag "nicht mehr als einen Tag der Erinnerung, sondern einen Tag der aktuellen Sorge". Sorge um die israelischen Soldatinnen und Soldaten, die um ihr Land kämpften, um die Opfer und Angehörigen der Angriffe und das ganze israelische Volk.

Für die Bundeswehr warb Brigadegeneral Thomas Hambach dafür, den Blick auf "das Gemeinsame, nicht das Trennende" zu richten. Der Kommandeur des Landeskommandos Bayern, das Hilfseinsätze der Bundeswehr unter anderem auch bei Terroranschlägen koordiniert und dabei in engem Kontakt steht mit dem bayerischen Innenministerium, zitierte die 102-jährige Margot Friedländer. Sie überlebte als einzige ihrer Familie den Holocaust: "Es gibt kein christliches, muslimisches, jüdisches Blut, nur menschliches. Seid Menschen! Das ist es, was ich zu sagen habe."

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