SZ-Serie "Bericht aus Berlin":Kleine Zettel, große Momente

Lesezeit: 3 min

Ja, Nein oder Enthaltung? Am Ende stimmten nicht nur die Grünen (links Jamila Schäfer) mehrheitlich für Olaf Scholz. (Foto: privat)

Für Sebastian Roloff wird nicht nur die Kanzlerwahl zu einem unvergesslichen Erlebnis. Jamila Schäfer freut sich auf das Arbeiten und "Piesacken" in ihren Wunsch-Ausschüssen.

Von Heiner Effern und Anna Hoben

Sebastian Roloff ist doppelt geimpft und mittlerweile auch geboostert, trotzdem war er vergangene Woche in Sorge vor einer möglichen Corona-Ansteckung. Der Gedanke, dass er sich ausgerechnet vor der Kanzlerwahl infizieren und diese verpassen könnte, machte ihn nervös. Es ging alles gut - und Roloff, SPD-Bundestagsabgeordneter aus München, durfte am Mittwoch seinen Kanzler-Moment erleben.

Zur Sicherheit hatte er morgens eine S-Bahn früher genommen als sonst und war schon um kurz nach acht im Fraktionssaal der SPD, wo um halb neun alle Abgeordneten zum "Zählappell" anzutreten hatten, wie Roloff berichtet. Erster! Ein paar Stunden später war Olaf Scholz gewählt, der vierte sozialdemokratische Kanzler in der Geschichte der Bundesrepublik. Für Roloff "ein großer historischer Moment, das vergisst man im Leben nicht".

Auch Jamila Schäfer hatte seit Wochen auf diesen Tag hingearbeitet und hingefiebert. Denn auch für ihre Partei brachte der Mittwoch der Kanzlerwahl viel Freude, fünf Ministerinnen und Minister der Grünen wurden vereidigt. "Eine sehr spannende Woche" sei das gewesen, erzählt die Abgeordnete aus dem Münchner Süden, die persönlich erstmals und noch dazu überhaupt als erste Grüne ein Direktmandat in Bayern gewonnen hat. Im Hintergrund hört man am Telefon schon, wie sie und ihre Kollegen zur nächsten Abstimmung im Bundestag gerufen werden.

"Auf die Idee hätte eine deutsche Bundesregierung schon länger kommen können."

Doch das mit dem kleinen Stück Papier, mit dem man die Welt zumindest in Deutschland verändern kann, das kann und will sie schon noch erzählen. Oben stand der Name, Olaf Scholz, darunter die drei Optionen: Ja, Nein und Enthaltung. "Ich habe mit Ja gestimmt, damit wir gleich starten können", sagt Schäfer. In dem Moment habe sie es fast als "absurd" empfunden, dass diese kleinen Zettel darüber entscheiden, wer künftig die Bundesrepublik regiert. Am Ende überwog aber die Freude "über den sehr besonderen Moment".

Erster! Sebastian Roloff war am Tag der Kanzlerwahl schon um kurz nach acht Uhr im Fraktionssaal der SPD. (Foto: privat)

Einen solchen hatte der SPD-Kollege Roloff auch noch mal nach der Wahl. Da ging es in die Fraktion, zum Gratulieren. Auf dem Weg dorthin landete der Abgeordnete per Zufall im selben Aufzug wie Karl Lauterbach, Hubertus Heil - und Olaf Scholz. Mit dem sei er zwar schon öfter Aufzug gefahren, da war Scholz aber eben noch nicht Kanzler. Zwei Minister und der Kanzler, das wäre für den Selfie-Fan Roloff natürlich eine fantastische Gelegenheit gewesen. Er sei da ja eigentlich "schmerzfrei", räumt Roloff ein, "aber irgendwann wird's peinlich".

Mit seinen Tipps in Bezug auf das Kabinett habe er übrigens ganz gut gelegen. Auch wenn die jeweiligen Personen nun allesamt andere Aufgaben haben als er vermutet hätte. Unter den Mitarbeitern habe es sogar ein Tippspiel gegeben: "Einer meiner Mitarbeiter hat dabei ein Fass Bier gewonnen." Mit der Ressortverteilung und der Besetzung der SPD-Ministerposten zeigt sich Roloff zufrieden, er finde es "super", dass es zur Hälfte Frauen und zur Hälfte Männer sind. "Auf die Idee hätte eine deutsche Bundesregierung schon länger kommen können."

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

Jetzt würde er gern selber endlich mal inhaltlich loslegen. In welchen Ausschüssen er sitzen wird, weiß er immer noch nicht - bis Montag muss er sich noch gedulden. Wirtschaft und Recht, das sind die Themen, bei denen der Jurist sich einbringen möchte. Mit dem Bangen, ob sich die Wünsche für die künftige Arbeit im Bundestag erfüllen, ist Jamila Schäfer schon durch. Die Fraktionen bestimmen, welcher Abgeordnete sich in welchem Ausschuss betätigen darf, da muss es zwangsläufig auch Enttäuschte geben. Schäfer gehört nicht zu diesen, sie beendet die Arbeitswoche mit einem sehr geglückten persönlichen Freitag. Sie würde sehr gerne im Haushalts- und Europaausschuss mitwirken, sagt sie am Vormittag. Ein paar Stunden später dann die Nachricht per Handy nach der Entscheidung in der Fraktion: "Klappt."

Vorsätze für den Haushaltsausschuss: Aufmischen und piesacken

Für den mächtigen Haushaltsausschuss, der das Geld in der Politik verteilt, hat sie sich zwei Dinge vorgenommen: Zum einen habe sie Lust darauf, die Arbeit dort "mit einem feministischen Blick" anzugehen. Mit anderen Worten: das bisher sehr von Männern dominierte Gremium als junge Frau aufzumischen. Zum anderen will sie dort möglichst viel Geld für die ökologisch-soziale Wende locker machen, und dafür werde sie sehr gerne Finanzminister Christian Lindner von der vielleicht nicht so wendigen FDP "piesacken", kündigt sie an.

Für ihren Kollegen Roloff hielt die vergangene Woche auch Unerfreuliches bereit: Es wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft gegen ihn ermittelt. Als Personalleiter bei MAN soll er dem damaligen Betriebsratsvorsitzenden dauerhaft seinen Dienstwagen überlassen haben. Nun wird untersucht, ob das erlaubt war oder nicht. Roloff äußert sich wegen arbeitsvertraglicher Pflichten dazu nicht.

Dazu kam auch noch das Problem mit seiner Berliner Wohnung. Nachdem ihn ein schwedisches Möbelhaus wochenlang wegen Lieferschwierigkeiten hingehalten hatte, hat er die Bestellung nun abgesagt. Der Grund: eine "Eigenbedarfsthematik". Dass das irgendwann passieren könnte, sei zwar klar gewesen, sagt Roloff - aber so schnell hätte er nicht damit gerechnet. Er braucht also bald wieder eine neue Wohnung. Doch die gute Laune lässt er sich nicht vermiesen. Ein Bundestagsabgeordneter dürfte bei der Wohnungssuche immer noch recht privilegiert sein. Und eines bleibt ihm erspart: Er muss keine Möbel umziehen - weil er noch keine hatte.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ-Serie "Bericht aus Berlin"
:Wie zwei Münchner Politiker den Start in Berlin erleben

Die SZ begleitet Jamila Schäfer und Sebastian Roloff bei ihren ersten Schritten als Bundestagsabgeordnete. Alle Folgen der Serie.

Von Heiner Effern und Anna Hoben

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: