Es ist ein ungewöhnliches Bild, das da fein säuberlich eingerahmt über der Bar prangt. Schräg rechts über der übergroßen Asbach-Uralt-Flasche, die kopfüber an der Wand hängt, als wäre sie ein Wasser- und kein Weinbrandspender. Das Bild, es zeigt die Wirtin, Irmgard Jörg, die hier in ihrem "Bierschuppen" aber alle nur "Irmi" nennen. Und es zeigt sie im Cockpit eines kleinen Flugzeugs, lachend und mit Funkhörern auf den Ohren, während die Maschine gerade über Südostbayern dahinbrettert.
Den Flug hat man ihr vor drei Jahren zum Geburtstag geschenkt, einmal um den Chiemsee herum und - vermutlich noch viel wichtiger - einmal den Bierschuppen von oben sehen. Der Bierschuppen, das ist Jörgs Stüberl im Dreimühlenviertel. Ein einziger kleiner holzvertäfelter Raum - eine Bar, eine Eckbank samt Tischchen, ein halbes Dutzend Barhocker -, den man so gar nicht hinter der schweren Milchglastür vermutet. Für viele im Viertel ist das Stüberl so etwas wie ihr zweites Wohnzimmer. Oder viel eher: das Wohnzimmer ihrer Mutter oder gar Großmutter. Unprätentiös, warm, herzlich. Die Wirtin selbst würde wohl sagen: "Hier ist alles, wie es immer schon war."
Seit fast 40 Jahren betreibt "Irmi" Jörg den Bierschuppen, eine wahre Ewigkeit in Bar-Jahren. Schweiger-Bräu, das das Stüberl verpachtet, hat ihr 2012 eine Urkunde zum 25-Jährigen ausgestellt, die im Bierschuppen aushängt. Auch das ist nun schon eine Weile her. Der Bierschuppen, das ist inzwischen ein Mythos, wurde aufgenommen ins Boazn-Quartett, von dieser Zeitung zur Bastion gegen die Gentrifizierung stilisiert und seine Wirtin gefeiert.
"Irmi" Jörg ist eine kleine, bestimmte Frau, die auch im fortgeschrittenen Alter noch ganz genau weiß, wie sie mit Besoffenen umgehen muss. Bald feiert sie ihren 82. Geburtstag. Ein Stammgast, der seit etwa 20 Jahren den Bierschuppen besucht, organisiert ihr zur Feier des Tages seit Jahren schon einen Blumenkranz. Dafür ist auch sein Geburtstag im Kalender hinter der Bar eingetragen - genau wie die der vielen anderen Stammgäste.
Das mag nun etwas einschüchternd klingen, so eine eingeschworene Gemeinschaft, die sich lange kennt und noch länger miteinander Helles trinkt - die Halbe für vermutlich unschlagbare 2,80 Euro, die Weißweinschorle, halber Liter, für 4,50 Euro. Einer, der schon lange hierherkommt, sagt, er hat Jahre gebraucht, um wirklich anzukommen. Und klar, die Magneten und Postkarten, die Stammgäste der Wirtin aus aller Welt schicken, aus Paris, Dublin und von der Nordsee, stehen vor allem für eins: dass man sich im Bierschuppen kennt, aneinander denkt, dass man sich mag.
Doch auch wenn man auf absehbare Zeit seinen eigenen Geburtstag nicht im Kalender hinter der Bar finden wird, tun die Stammgäste und allen voran die Wirtin einiges, dass man sich wohlfühlt. Eine Freundin aus Übersee, die sehr mit dem Granteln ihrer älteren Mitmünchnerinnen und -münchner hadert, sagt: "Das hier ist die coole Münchner Oma, die ich nie hatte." Fürsorglich, unterhaltsam, aber im Zweifel konsequent - dann nämlich, wenn man sein eigenes Limit nicht kennt.
Über der Tür zur Küche und zum Vorratsraum, direkt neben dem Bild, das "Irmi" Jörg beim Fliegen zeigt, hängt eine Uhr. Sie geht leicht vor, seit Langem schon. Damit niemand hier seinen Bus verpasst und jeder sicher nach Hause kommt.
Bierschuppen, Reifenstuelstraße 9, 80469 München, Telefon: 089/7256718, Öffnungszeiten: Montag bis Samstag, 15 bis 22 Uhr.