Ausstellung:Der Riese mit den magischen Steinen

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Mit einem Känguru fing die Sammlertätigkeit Gerd Plewigs an - die Rindenmalerei stammt von Dick Nguleingulei Murrumurru (ca. 1920-1988). (Foto: Nicolai Kästner)

Ein Münchner Ehepaar hat dem Museum Fünf Kontinente seine beeindruckende Sammlung von australischen Rindenmalereien geschenkt. In einer Ausstellung sind die Bilder nun zu sehen.

Von Jürgen Moises, München

Mit einem Känguru hat alles angefangen. Also mit keinem echten, sondern einem, das Dick Nguleingulei Murrumurru auf ein Stück Eukalyptusrinde gemalt hat. Gerd Plewig hat das Bild 1969 bei einem Streifzug durch das nächtliche Sydney hinter einem Schaufenster entdeckt. Dort gelandet war er auf einer zweimonatigen Reise, die er an sein Medizinstudium in den USA anschloss. "Das hat mich dermaßen betroffen oder aufgekratzt, dass ich mehr wissen wollte", erzählt der pensionierte Münchner Dermatologe. "Ich bin am nächsten Tag wieder hingegangen. Eine alte Dame war da, die im Auftrag der Kunstgesellschaft, die die Aborigines betreute, diese Sachen verkaufen wollte. Und ich sagte: Das möchte ich gerne haben. Ich hatte aber längst nicht so viel Geld dabei. Und da sagte sie: Nehmen Sie es. Geben Sie mir, was Sie haben. Und schicken Sie mir den Rest, wenn Sie wieder zuhause sind."

Dieser Zufall war der Grundstein für eine beeindruckende Sammlung von nordaustralischen Rindenmalereien. Und es war der Beginn einer Faszination, die Gerd Plewig bis heute nicht loslässt. Was er dagegen loslässt, das sind seine Bilder. Denn Plewig hat seine 170 Rindenbilder 2018 dem Museum Fünf Kontinente vermacht. Und genau dort sind nun 114 davon in der Ausstellung "Inspiriert vom Land. Rindenmalerei aus Nordaustralien. Die Sammlung Gerd und Helga Plewig" zu sehen. "Das ist die schönste Kollektion von Rindenmalereien, die es außerhalb von Australien gibt", sagt Tim Klingender über die Bilder. Der australische Experte für Aboriginal Art hat die Plewigs 25 Jahre lang beim Sammlungsaufbau unterstützt und war - genauso wie das Ehepaar - bei der Eröffnung anwesend.

Faszinierend sind die Bilder jedenfalls. Und oft sehr rätselhaft. Aber, so versichert Gerd Plewig: "Je länger man sich damit befasst, desto mehr lernt man aus den Objekten." Lernen kann man auch viel durch die Ausstellung oder den profunden Katalog, wo etwa Bezüge zur Felsenmalerei, zu Schutzhütten aus Rinde, zur rituellen Körperbemalung oder zu Landkarten hergestellt werden. Mit alldem ist die Kunst der Rindenmalerei verbunden, die man erst seit der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts als Kunst im westlichen Sinne wahrnimmt. Davor hatten die Bilder eine rituelle, soziale und auch politische Funktion. Denn was sie darstellen, das sind Verwandtschaftsbeziehungen, Zeremonien, das Land, die Leute, Vergangenheit und Gegenwart, Geschichten über Geister oder den Tod. Was sie als "Landkarten" aber auch zeigen, ist: Dieses Land gehört zu uns, gehörte unseren Ahnen. Und tatsächlich haben Rindenbilder eine wichtige Rolle beim Kampf der Aborigines um ihre Land-Rechte gespielt.

Yirrwala, der "Picasso von Arnhem"

Mit Land sind die Territorien verschiedener Clans gemeint, die im Falle der Ausstellung aus dem Arnhem Land und dem Kimberley-Gebiet in Nordaustralien stammen. Nach geografischen Regionen ist ein großer Teil der Schau gegliedert. Aber auch nach Künstlern, zu denen etwa Yirrwala (ca. 1897-1976), der "Picasso von Arnhem", gehört. "Der kann völlig abstrahiert, mit feinen Strichen, wenig Bewegung eine Geschichte erzählen", so Plewig. Wie die von "Frosch und Schildkröte", die auf dem gleichnamigen Bild für die Ankunft der Regenzeit singen und tanzen. Oder die von "Lumah Lumah the Big Maraian Cult Hero", einem Riesen, der in Schöpfungsgeschichten im westlichen Arnhem Land eine wichtige Rolle spielt. Man sieht ihn auf der Jagd mit kleinen Taschen an seinen Schultern, Armen, Hüften. Sie enthalten "magische Steine", mit denen er Stürme erzeugt.

"Three Mimih Spirits" von Yirrwala (ca. 1897-1976). (Foto: Nicolai Kästner)

Bobby Barrdjaray Nganjmirra (1915-1992) erzählt in einer Bilder-Serie ebenfalls die "Legende von Luma Luma". Mit der großen Nase und den runden Gliedern sieht er "menschlicher" aus als bei Yirrwala, dessen origineller Riese an eine Marionette erinnert. Auch sonst haben Nganjmirra und Yirrwala einen erkennbar eigenen Stil. Was wiederum bei beiden typisch "Arnhem Land" ist, das ist die Kreuzschraffur. Eine weitere Arnhem'sche Besonderheit: Der "Röntgen-Stil", bei dem man etwa Skelette und Organe von Menschen und Tieren sieht. Viele mythische oder Geisterwesen sind ebenfalls höchst originell. Gemalt wurden sie mit Erdfarben auf Eukalyptusrinde, die man in der Regenzeit von den Bäumen zog. Als Bindemittel wurde oft Orchideen-Saft verwendet.

Geschaffen wurden fast alle Bilder in den 1950er bis 1970er Jahren, und ausschließlich von Männern. Weil die Rindenmalerei lange den spirituellen Clan-Führern vorbehalten war. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich das geändert. Zudem wird in den für Aborigine-Künstler sehr wichtigen "Art Centers" heute neben Malerei auch Medienkunst oder Hip-Hop produziert. Viele Rindenmalereien entstanden in den letzten Jahrzehnten extra für Touristen. Um Geld zu verdienen, aber auch um diese etwas über die eigene Kultur und Traditionen zu lehren. Wobei die Künstler geheime Weisheiten oder Symbole ihrer Clans dabei meist weglassen.

Gerd Plewig hat fast alle Bilder über Sotheby's erstanden. Und sie stammen aus einer für Sammler "goldenen Zeit", in der die Aborigine-Kunst noch nicht florierte. Diese Meisterwerke an ein Museum zu geben und öffentlich zugänglich zu machen: Das war, sagt Plewig, von Anfang an sein Plan. Und er versteht seine Schenkung als "Hommage" an eine mehr als 60000 Jahre alte Kultur. Schmerzen tue ihn das Weggeben nicht, vielmehr sei es für ihn eine Freude. Für das Museum Fünf Kontinente, wo es bisher keine vergleichbaren Werke gab, ist es das gewiss.

Inspiriert vom Land. Rindenmalereien aus Nordaustralien. Die Sammlung Gerd und Helga Plewig, bis 18. Sep., Museum Fünf Kontinente, Maximilianstr. 42

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