Nachruf auf Justus Dahinden:Der Architekt des Schwabylon ist tot

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Das Schwabylon, das Schwabing an der Leopoldstraße zum Babylon, möglicherweise aber auch zum sehnsuchtssündigen Babel umdeuten sollte, stand ab 1973 nur für ein paar Jahre. (Foto: Architekturbüro Prof. Dr. J. Dahinden)

Justus Dahindens bekanntester Bau stand nur wenige Jahre und erzählte dennoch vom Zusammensein. Nun ist der Schweizer, der auch das Tantris entwarf, mit 94 Jahren gestorben.

Nachruf von Gerhard Matzig

Man sieht das behäbige Hofbräuhaus oder das feine Gespinst des Olympiastadions - und denkt, na klar, an München. Aber die meisten Sehenswürdigkeiten hatten viel Zeit, um zu identifikatorischen Merkorten heranzureifen. Umso verblüffender ist es, dass man auch an Schwabing denkt - und schon sieht man das legendäre "Schwabylon" vor sich. So, wie es sich der im Alter von 94 Jahren nun gestorbene Schweizer Architekt Justus Dahinden einst ausgedacht hat. Als sozialräumliche und architektonische Utopie.

Allerdings hatte dieser charmant anmaßende, herrlich bizarre Bau gar keine Zeit, um sich einzuprägen. Das Schwabylon, das Schwabing an der Leopoldstraße zum Babylon, möglicherweise aber auch zum sehnsuchtssündigen Babel umdeuten sollte, stand ab 1973 nur für ein paar Jahre. Dann wurde der Bau als titanische Fehlinvestition der Münchner Nachkriegsmoderne abgerissen. Außer Bauschutt blieb auch noch ein Foto übrig, das eine damals noch nicht ganz so bekannte Band namens Queen im Schwabylon zeigt. Mit Schlaghosen und Frisuren, die wie träge Langhaardackel auf den Schultern ruhen.

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Für 156 Millionen D-Mark wurde 1973 ein Ort geschaffen, den einige mutig, andere schrecklich fanden. Der Science-Fiction-taugliche Bau stand nur sechs Jahre - und ist bis heute legendär.

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Das pompös inszenierte Ladenzentrum im Schwabylon, zu dem auch Hotel, Büros und Wohnungen gehörten, dazu Galerien, Restaurants und ein Biergarten, dazu Spielhalle, Kino, römische Therme und Kunsteisbahn, stand schon nach nur 14 Monaten wieder leer. Etwas länger hielt sich der popbunt ausgemalte und wie ein U-Boot ausgestaltete Nachtclub "Yellow Submarine". Dort konnte man tanzen, während einem 30 Haie dabei zusahen - aus ihren von Meerwasser gefluteten Aquarien.

Das Schwabylon, eine Stufenpyramide, nahezu fensterlos und statt über Treppen nur auf futuristischen Rampen erkundbar, war eine Mischung aus Bond-Filmset, Mall und Reventlow'schem Wahnmoching-Gefühl. Es musste untergehen, wenn auch nicht als U-Boot, sondern finanziell. Die Leute kamen, um zu staunen (über den Utopismus) und zu meckern (über die Architektur) - nicht aber, um Geld auszugeben. Wenn sich das Schwabylon dennoch dem kollektiven Gedächtnis eingebrannt hat wie eine Sehenswürdigkeit, dann liegt es daran, dass die Sehenswürdigkeit vor allem eine Denkwürdigkeit war.

Als man einmal Justus Dahinden am Telefon hatte, fragte man ihn, ob es ihn nicht gewaltig nerve, dass sein bekanntester Bau ein gescheitertes Projekt sei. Dahinden sagte: "Ach, wissen Sie, Experimente scheitern nicht, sie erzeugen Wissen." Sein architekturtheoretisches Wissen war so groß wie das baupraktische Können. Bevor er in München das Schwabylon und das "Tantris" baute, eines der sinnlich-schönsten Restaurants weltweit, das heute unter Denkmalschutz steht, war er in der Schweiz für seine Versammlungsräume und für seine expressiven Geometrien schon längst bekannt. Er hat auch etliche Kirchen von großer Anmut und räumlicher Strahlkraft geschaffen. Seine Räume waren und sind immer gedacht als Räume, die vom Zusammensein erzählen. Und manchmal vom Gewesensein.

© SZ vom 17.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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