Verschwundene Orte:Der kurze Hype ums Schwabylon

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Von außen erinnerte das Schwabylon an eine Stufenpyramide. (Foto: Timeline Images)

Für 156 Millionen D-Mark wurde 1973 ein Ort geschaffen, den einige mutig, andere schrecklich fanden. Der Science-Fiction-taugliche Bau stand nur sechs Jahre - und ist bis heute legendär.

Von Anna Hoben

Wie ein Ufo vom Planeten der Hippies liegt es da. Ein Objekt aus einer fremden Welt, in den Farben einer Bonbontüte von "Nimm Zwei". Am einen Ende des Baus, der an eine Stufenpyramide erinnert, geht eine riesige Sonne auf. Doch bis zum Untergang dauerte es nicht lang, die Lebensdauer war kurz: 1973 eröffnet, 1979 schon wieder abgerissen. Gerade mal sechs Jahre existierte das Schwabylon an der Leopoldstraße, benannt nach Schwabing und Babylon, der legendären Stadt des Altertums. Darunter machten es die Macher nicht. Heute kann man das Schwabylon nur noch auf Fotos bewundern. Man kann den Ort besuchen, an dem es gestanden hat und an dem sich heute das schicke, cleane Stadtquartier Schwabinger Tor befindet. Man kann vor allem staunen, über diese aus heutiger Sicht unglaubliche Münchner Geschichte.

"Hier ging es los", sagt Max Zeidler und zeigt auf das rückversetzte Apartmenthaus - das einzige Element des Komplexes, das aus der Zeit noch geblieben ist. Davor stand das eigentliche Schwabylon; heute ist da ein Gebäude mit sogenannten Serviced Apartments für Menschen, die zu lange in München sind, um im Hotel zu wohnen, und zu kurz, um eine Wohnung zu mieten. Zeidler kramt nun in seiner Tasche und zieht Briefe, Verträge, Fotos und Bücher hervor. Er hat eine besondere Beziehung zum Schwabylon, auch wenn er, Jahrgang 1975, sich nicht mehr daran erinnern kann. Sein Vater, der ebenfalls Max Zeidler hieß, war mit seiner Agentur Intervox mit der Öffentlichkeitsarbeit betraut. Von ihm übernahm Max Zeidler junior die Agentur im Jahr 2002 - mitsamt dem Archiv zum Schwabylon, das sich in seinem Regal über ungefähr einen Meter erstreckt.

Das Schwabylon war die Idee des Augsburger Landmaschinenhändlers Otto Schnitzenbaumer. Im Januar 1971 stellte er seine Pläne vor, um die triste Gegend in Schwabing aufzuwerten: Auf 40 000 Quadratmetern sollte eine Wohn-, Geschäfts- und Freizeitstadt entstehen, mit Restaurants, Läden, Galerien und einem Wohncenter mit 660 Apartments. Mit Biergarten, Spielcasinos, einer Eislaufhalle und einem römischen Bad. Zentrum sollte ein Marktplatz nach Art einer griechischen Agora sein, zum Sehen und Gesehenwerden. Die Krönung war der "Turmbau von Schwabylon", so nannte Michael Graeter, der Kolumnist der Abendzeitung, das Hotel Holiday Inn. Gesamtkosten des Megaprojekts: 156 Millionen D-Mark. Für die Finanzierung überzeugte der Bauherr die Hessische Landesbank, die dafür eigens einen Immobilienfonds anlegte.

Mit der Architektur für das Herzstück beauftragte Schnitzenbaumer den Schweizer Justus Dahinden, der auch das 1971 eröffnete Gourmetrestaurant Tantris entworfen hatte. Am Tag vor der Eröffnung des Schwabylon am 8. November 1973 erschien eine ganzseitige Anzeige in der Süddeutschen Zeitung. Superlative wurden aufgezählt, etwa dass die Fassade aus emaillierten Metallplatten 5000 Quadratmeter umfasse. Auch der Architekt kam zu Wort: "Schwabylon soll eine klassenlose Gesellschaft ansprechen", schrieb er.

Das Schwabylon ist von Anfang an vielbeachtet

Das Jahr 1973: Willy Brandt ist Bundeskanzler, Georg Kronawitter Oberbürgermeister von München und der FC Bayern Deutscher Meister. Die USA und Nordvietnam haben ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet. Die Menschen tragen Schlaghosen in knalligen Farben, auf Platz 1 der Singlecharts in Deutschland steht Anfang November das schnulzige "I'd love you to want me" des US-amerikanischen Musikers Lobo, und in München wird das Schwabylon eröffnet. Es erhält zu Beginn seines kurzen Daseins viel Aufmerksamkeit. Architektonisch macht der futuristische, fensterlose Bau Furore. Im Inneren, von dem nur wenige Aufnahmen erhalten sind, hat er keine Treppen, nur Rampen. Doch es gibt auch Verrisse. Der Architekturkritiker Manfred Sack macht sich in der Zeit über das Vokabular des Architekten lustig, der sein Gebäude mit "Sprachqualm eingenebelt" habe. Sack kritisiert, dass es an diesem Ort vor allem um Kommerz gehe - und fragt, ob Dahinden sich schäme, dass sein Gebäude gar nicht der Freizeit diene, "sondern hervorragend dazu benutzt werden kann, seine Besucher auszuplündern, natürlich legal?"

Max Zeidler besitzt jede Menge Archivmaterial zum Schwabylon. (Foto: Florian Peljak)

Max Zeidler glaubt heute, dass es dem Bauherren damals nicht schnell genug gehen konnte. Dass vieles entschieden wurde, ohne Dahinden einzubeziehen und seine Pläne zu berücksichtigen. Briefe aus der Zeit deuten an, dass der Architekt mit der Umsetzung selbst nicht ganz glücklich war. Und dann? Dem "urbano-sozialen Experiment", wie Justus Dahinden es nannte, war in München kein Erfolg beschieden. Die Leute gingen nicht hin. Zum Jahresende 1974 wurde den verbliebenen sechs von anfänglich 86 Ladenmietern gekündigt. Nach nur 14 Monaten wurde das Schwabylon dicht gemacht, 1979 rollten dann die Bagger für den Abriss an. Die Überreste: ein Schuttberg, 100 000 Kubikmeter Beton, Glas und Metall. Es gab nur Verlierer: ein Unternehmer, der sich heftig verkalkuliert hatte, eine blamierte Hessische Landesbank und 5500 Anleger, die ihre Anteile mit herben Verlusten zurückgaben. Das Megaprojekt Schwabylon hatte sich als gewaltige Fehlinvestition erwiesen.

Konkurrenz durch den Onlinehandel gab es damals noch nicht. Woran lag es, dass das so außergewöhnliche Schwabylon nicht ankam in München? Den Bauherren kann man nicht mehr fragen, Otto Schnitzenbaumer starb 2012 mit 90 Jahren. Man kann aber den Architekten Justus Dahinden fragen, er ist heute 94 Jahre alt. Sein Sohn Ivo, ebenfalls Architekt, antwortet per Mail für ihn - seinem Vater sei dies nicht mehr möglich. Sein Vater glaube, dass das Haus daran gescheitert sei, "dass kein Ladenmix, sondern vor allem teure Boutiquen dort eingemietet waren und die Mietpreise halt doch auch sehr hoch waren. Wahrscheinlich war es noch zu früh und nicht am richtigen Ort der Stadt." Tatsächlich lag das Schwabylon damals ganz schön weit draußen; öffentlich war es nur per Bus zu erreichen.

Architekt Justus Dahinden (links) und Bauherr Otto Schnitzenbaumer (Mitte) 1973 bei der Eröffnung des Schwabylon in München. (Foto: Marlies Schnetzer)

Erst 1977 fand sich ein Käufer für das Areal: die Schweizer Versicherung Winterthur baute ein Verwaltungsgebäude. Das Holiday Inn ging an den Investor des Quartiers Schwabinger Tor über, den Immobilienunternehmer Jost Hurler. Max Zeidler junior setzte sich 2011 noch für den Erhalt des Flachbaus auf dem Areal ein, in dem sich einst der legendäre Nachtclub Yellow Submarine befunden hatte. Die Tanzfläche war von einem Aquarium umgeben, in dem in den Siebzigern als Attraktion drei Dutzend Haie schwammen. Der Bürgerprotest verlief erfolglos - 2013 wurde der Bau samt dem Holiday Inn abgerissen.

Einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat das Schwabylon trotz allem; in Filmen und Serien aus der Zeit taucht es immer wieder als Schauplatz auf. In einer Folge von Helmut Dietls Münchner Geschichten etwa drehen die Protagonisten Runden auf der Eislaufbahn. Was, wenn es das Schwabylon noch gäbe? Es hätte "eine immense Ausstrahlung", glaubt Ivo Dahinden, und wäre "eine Popikone geworden". Wer weiß, vielleicht stünde es unter Denkmalschutz. Heute, da in München gern über mangelnden Mut von Architekten geklagt wird. Das Schwabylon war nicht nur ein Vorläufer der modernen Malls mit ihrem Unterhaltungsangebot, es war auch architektonisch mutig. Für sein Buch "Form und Emotion" (2014) hat Justus Dahinden es als Titelbild gewählt - ausgerechnet ein Gebäude, das nicht mehr existiert. An die Idee der Freizeitstadt glaubt er immer noch. Vor ein paar Jahren habe er sich mit ihm unterhalten, erzählt Max Zeidler. "Schwabylon?", sagte Dahinden zu ihm, "das muss immer noch gebaut werden."

© SZ vom 22.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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