Handwerk:Bauchpinsel gefällig?

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Die Geschwister Stephanie Strobl und Florian Fackler führen den Laden am Viktualienmarkt und den Online-Handel. (Foto: Mark Siaulys Pfeiffer)

Holz-Leute am Viktualienmarkt feiert 150-jähriges Bestehen. Die Inhaber Stephanie Strobl und Florian Fackler setzen auf Handwerkskunst, bei Messern, Spielen - und Bürsten für alle Lebenslagen.

Von Martina Scherf

Badebürste, Maßkrugbürste, Hutbürste, Tischbesen, Staubwedel, Bücherpinsel, Nackenpinsel, Kosmetikpinsel, und, nicht zu vergessen, der Bauchpinsel. Der ist aus Buchenholz, mit weichem Rosshaar besetzt und nur dazu da, den eigenen Bauch oder den des Partners beziehungsweise der Partnerin zu verwöhnen. Es gibt viele schöne Dinge bei Holz-Leute am Münchner Viktualienmarkt. Aber die Bürstenabteilung, die ist wohl einzigartig. "Und die Bürsten werden gekauft", sagt Geschäftsführerin Stephanie Strobl.

Zusammen mit ihrem Bruder Florian Fackler führt die 54-Jährige das Traditionsgeschäft, das wohl jeder Münchner kennt, denn es hat einen der prominentesten Plätze der Stadt, an der Ecke zwischen Markt und Marienplatz. Gleich daneben beginnt die Metzgerzeile. Auch für die Metzger, Fischverkäufer oder Gemüsehändler auf dem Markt oder deren Kundinnen und Kunden gibt es bei Holz-Leute das passende Werkzeug: Messer in allen möglichen Ausführungen, von bayerisch mit Hirschhorngriff bis japanisch. Die Preise reichen von 24 bis 1400 Euro. Darunter sind viele Einzel- und Sammlerstücke von renommierten Herstellern. Etwa die Messer aus der Schmiede Laguiole en Aubrac in Frankreich. Mit dem Inhaber sind Fackler und Strobl seit vielen Jahren befreundet. Zum Firmenjubiläum - Holz-Leute gibt es seit 150 Jahren - hat er für sie eine Jubiläumsedition hergestellt. "So ein Taschenmesser", sagt Strobl, "bedeutet für einen Mann so viel wie ein Schmuckstück für die Frau."

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Die Geschwister setzen auf Handwerkskunst, der Großteil ihrer Produkte stammt aus deutscher oder europäischer Produktion. Die Bürsten aus dem Schwarzwald, der Stahl aus Solingen. Wer vor den Bürsten mit handeingezogenen Borsten oder den Damast-Messern steht, lernt eine Menge über Buche, Ahorn und Nussbaum, Ziegen-, Ross- oder Schweinehaar und 300fach gefalteten Stahl - und auch, dass so ein Messer auf keinen Fall in die Spülmaschine gehört. Jetzt, da alle Welt von Nachhaltigkeit redet, erleben Handwerk und Naturprodukte eine Renaissance. "Wir waren aber schon immer nachhaltig", sagt Strobl und lacht.

Es sind Stammkunden und Touristen, die zu Holz-Leute am Viktualienmarkt kommen. Das war schon 1873 so, als der Drechslermeister Josef Leitl im damaligen Tal 1, an der Stelle der heutigen Stadtsparkasse, seinen Laden eröffnete. Der Historiker Karl Gattinger schreibt in der Festschrift zum Firmenjubiläum, schon damals habe es 150 000 Touristen im Jahr in die Stadt gezogen.

Haarbürsten, Maßkrugbürsten, Bücherpinsel oder Bauchpinsel - für jeden Zweck gibt es die passende Bürste. (Foto: Mark Siaulys Pfeiffer)

Leitl verkaufte Schalen, Bretter, Löffel und Kellen, Leitern und auch Brettspiele, die er in seiner Werkstatt in der Rumfordstraße herstellte. Die Zeit nach der Reichsgründung brachte auch für München Wachstum, Fortschritt und Wohlstand. Die Stadt veränderte sich rasant, das neue Rathaus wurde gebaut, der Viktualienmarkt vergrößert. Um mehr Platz für Marktstände zu schaffen, wurde der "Weiberbau" des Spitals an der Heilig-Geist-Kirche abgerissen.

Ursprünglich befand sich der Laden am Tal 1. (Foto: privat)

Leitl heißt auf Hochdeutsch Leute - und wie es der Zufall wollte, heiratete die Leitl-Tochter einen Herrn Leute. Dieser Carl Leute verlegte das Geschäft unter die Arkaden am Alten Rathaus. Im Zweiten Weltkrieg brannten der Verkaufsraum, die Werkstätten in der Rumfordstraße und das Holzlager in der Kohlstraße nach einem Luftangriff komplett aus. Die Familie baute das Geschäft wieder auf und führte es bis 1975 weiter. Der Nachfolger zog dann vom Rathaus an den heutigen Platz am Viktualienmarkt um. 1992 übernahm Christine Fackler, die Mutter der beiden jetzigen Inhaber, das Geschäft.

Für das Jubiläumsjahr haben sie ein Mensch-ärgere-dich-nicht aus Nussbaum designt

Während die Tochter erzählt, kommt Christine Fackler in die kleine Küche im Untergeschoss. Sie hat das Geschäft längst an ihre Kinder übergeben, aber mit ihren 84 Jahren steht sie noch immer täglich im Laden und hat alles im Blick. Die Auszeichnung der Handbürsten stimme nicht, sagt sie. "Ja, Mama, ich kümmere mich gleich drum", entgegnet die Tochter.

Designobjekte wie Vasen und Schalen hat Stephanie Strobl selbst entworfen. (Foto: Mark Siaulys Pfeiffer)

Stephanie Strobl ist gelernte Schreinerin, hat aber zunächst in Berlin Architektur studiert und unter anderem bei Frank Gehry in Los Angeles gearbeitet. Doch nach sieben Jahren im Ausland zog es sie zurück in die Heimat, erzählt sie. Sie gründete ihre eigene Designmarke "Sarah Finn" und entwarf Vasen, Schalen, Leuchter, Tischaccessoires aus Holz. Dann stieg sie in den Familienbetrieb ein, den Bruder und Mutter bis dahin zusammen führten. "Ich finde das angenehm, alles zu dritt zu entscheiden", sagt sie. Streit gebe es selten, "und wenn, dann ist man beim eigenen Bruder ja nicht nachtragend."

Der Renner ist nach wie vor Schach. Erst recht seit der Corona-Zeit

Florian Fackler hat die kaufmännische Geschäftsführung und betreibt mit Hingabe den Laden. Vor allem die Messer und das Schach sind seine Leidenschaft. Stephanie Strobl kümmert sich um den Online-Handel, den sie in Valley bei München betreibt, um Sortiment und Marketing. Daneben entwirft sie weiterhin Objekte. Für das Jubiläumsjahr hat sie ein Mensch-ärgere-dich-nicht aus Nussbaum designt, das jetzt zwischen all den anderen Brettspielen, Mühle, Dame, Backgammon, Bao, Zoom oder Puzzles, im Ladenregal steht und mit seinen dezenten Farben und klassischen Formen fast ebenso sehr Schmuckstück ist wie Spiel.

Der Renner ist nach wie vor Schach. Erst recht seit der Corona-Zeit. "Als dann auch noch der Netflix-Film ,Damen-Gambit' herauskam, konnten wir kaum noch so viele Spiele liefern, wie bestellt wurden", erzählt Strobl. Weltweit seien die Figuren ausverkauft gewesen. Und selbst junge Leute legten heute noch Wert auf ein schönes Brett und Figuren aus Holz. "Die kommen dafür auch in den Laden."

Manche kaufen gleich 30 Bauchpinsel als Mitbringsel, denn: "It's so German"

Der Laden ist gut besucht an diesem Spätsommertag. Ein Amerikaner lässt sich gerade die feinen Unterschiede der Taschenmesser erläutern. Eine Kundin lernt, warum eine Haarbürste, die dem Kopf gut tut, nur aus Wildschweinborsten sein sollte, und zwar vom ersten Borstenschnitt. "Die Zusammensetzung des Schweinehaars ist dem des Menschen am ähnlichsten", erklärt Strobl. Über solche Feinheiten und so viel Wertschätzung für das Handwerk staunen Touristen immer wieder, sagt sie. Manche kauften dann gleich 30 Bauchpinsel auf einmal, als Mitbringsel, denn: "It's so German."

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