Pop:Angst komm raus

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Er macht sich "nackig", sagt er. Moritz Franke stellt sich in seinen Songs seinem Leben. (Foto: Louis Zeno Kuhn)

Auf seinem Debütalbum "Willkommen im Freak" singt Mensch Moritz über Drogenabsturz und Neustart und schafft erstaunlich zeitgeistigen Pop

Von Christian Jooß-Bernau, München

In das Ding mit dem Album ist er so reingestolpert. Weil eigentlich wollte er nur mal drei Songs aufnehmen. Bei Bente Faust in Hamburg. Und dann gab es da diesen Förderantrag der Innitiative Musik. Er füllte ihn aus ... und der Antrag wurde bewilligt. "Ich glaube ich könnte gut ein Management vertragen", sagt Moritz Franke an diesem Sommerabend bei einem Freiluftpils in Haidhausen. 43 Jahre ist er jetzt, wenn er lacht ist er noch jung, aber die Haare werden schon grau. Mensch Moritz ist sein neuer Künstlername. Ursprünglich hatte er überlegt, sich Ach Moritz zu nennen, weil das seine Mutter immer seufzte, wenn er sich mal wieder die Haare färbte.

Wer sein Album "Willkommen im Freak" hört, ahnt, dass die Mutter auch in den letzten Jahren wohl immer mal wieder geseufzt hat, denn was sich in den zehn Songs ausbreitet, ist ein Soundmosaik eines auseinandergefallenen Lebens, das hier im Gipskorsett des Beat wiederersteht. "Junkie Heaven" ist der erste programmatische Song. Der schrappende Rhythmus einer akustischen Gitarre, Handclaps: "Ich bin / ich bin fast da/ wo ich mir endlich selbst vergebe / glücklich wieder auferstehe". Das ist nicht selbstmitleidig, das hat den Flow und biegt ein in den Refrain, dem das Cello ein wenig metaphysische Wärme mitgibt: "Junkie Heaven, Junkie-Zeit / mehr Schub Richtung Unendlichkeit."

Die Drogen waren ihm "wohlige Heimat"

Das Mensch-Moritz-Leben im Schnelldurchlauf: geboren in Kiel, gelebt in Schwaben, Baden, in Hessen und im Saarland. Auf sieben Schulen gewesen. Geschichte und Philosophie in Berlin studiert, Zuviel gekifft. In München dann VWL. Eine Tochter. In Hamburg Werbetexter in diversen Agenturen. Sehr ehrgeizig, sehr gefrustet. Drogen als "wohlige Heimat". Bisschen MDMA und viel Koks. Zusammenbruch. Tagesklinik auf St. Pauli. Dass er dort dann mit Songschreiben angefangen hat, ist geschwindelt, klingt aber gut - und sehr förderwürdig.

Allerdings ist Mensch Moritz nicht der klassische Songwriter, so einer, der seinen Text zur Gitarre gnadenlos durchzieht. Schlimmstes Beispiel: Wolf Biermann. Den findet er "echt scheiße". Ein "mega Egomane". Gut, in seinen Texten geht es auch um ihn, und ein Egomane ist er auch, sagt er. Aber glücklicherweise ist Moritz Franke einer, der im Privaten noch genug Allgemeines findet, bevor es peinlich wird. Nicht, dass ihm nicht doch mal was entgleitet. Im Video zu "Junkie Heaven" sieht man ihn an einen Stuhl gefesselt, dann windet er sich gut verschnürt auf dem Boden. Und in der Doppelung von Bild und Botschaft ist das natürlich Kitsch. "Absolut beschissen", findet er das Video heute mit Ehrlichkeit ohne Koketterie. Und auch ein Song wie "Doof arbeiten" ist auf dem Album, dessen Text eben nicht über die recht niedrig liegende Latte des Titels springt.

Sehr zeitgeistig und chic ist der Rückgriff auf alte Maschinen

Aber Mensch Moritz war gemeinsam mit Bente Faust, der seinerseits schon für Die Ärzte oder Samy Deluxe gearbeitet hat, auch zu anderem fähig. Zu "Notfall" beispielsweise, einer Nummer mit tollem, funky Bass. In den man sich gerade eingeschwungen hat - und dann überrascht einen der Refrain und macht aus dem Stück einen Beziehungsendesong mit "ciao" und "gute Reise" und ein bisschen Seemannswehmut in der Melodie - und einem Beat der rollt wie die Wellen bei steifer Brise. Bei "Findet nicht mich, findet euch selbst" ist der Text dann deutlich lässiger als der Lebensratgebertitel. Wichtiger noch aber ist hier der pockernde Beat der alten Roland-Drummachine. Der wird auch in "Freak ist los" als Defibrillator genutzt. Sehr zeitgeistig und chic ist der Rückgriff auf alte Maschinen. Futuristische Nostalgie. So, wie der Retrosynthie in "SOS da draußen".

Einer der sich, wie Franke sagt, "nackig" macht, das ist das eine. Das andere ist die schlaue Reflexion der ästhetischen Mittel. Die wirkt wie ein schützender Glaskasten ums Innenleben. Und das ist dringend notwendig: Nicht nur in "Die Angst und ich" bohrt der Sänger in seinem Lebensthema, dem Trio aus ich, die Angst, die Sucht. Existenzängste hat er schon immer gehabt, sagt er. Vielleicht, weil da immer eine Erwartungshaltung war an ihn: Abitur, möglichst Medizinstudium. Eine "Garderobe der Ängste" hat er mal gebastelt, einen Schuhkarton, in den man seine Ängste in Briefchen versiegelt werfen und sie so abgeben kann, wie einen Mantel. "Angst hindert ja einen so zu leben, wie man eigentlich will", sagt er.

Moritz Franke lacht oft. Und oft, wenn er sich an etwas erinnert, das weggelacht werden will. Er hat zwei Bücher in der Schublade liegen, eins über die Angst und einen Roman, inspiriert von seinem Leben. Mit dem wilden Drang, über sich hinauszuwachsen hat er jetzt ein Album aufgenommen, das die Angst zum Pop macht. Als Stream und im Download ist das schon zu hören und demnächst auch als Coloured-Vinyl-Ausgabe. Auf die Bühne will sich Mensch Moritz mit einem Laptop stellen und die Show zum Backing-Track durchziehen. Auch das ist mutig.

Mensch Moritz, 14.September, 19 Uhr, Alte Utting, 22.Oktober, 19 Uhr, Gans am Wasser

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