Malteser Migranten Medizin:Diese Ärzte behandeln Menschen ohne Versicherung

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Hans-Detlef Neumann (links) und Fridolin Clemens Volk helfen den Menschen gerne. Sie merken aber auch eine gestiegene Erwartungshaltung: "Man kann schon fast von Medizintourismus sprechen." (Foto: Florian Peljak)
  • Für Menschen ohne Papiere hat sich in München eine medizinische Parallelversorgung etabliert.
  • Meist betreuen pensionierte Ärzte die Menschen, die keine Krankenversicherung haben.
  • Doch nicht nur Flüchtlinge und Migranten sind Patienten, sondern auch Selbständige.

Von Katharina Blum

Schillerstraße 25 also, direkt neben dem Arbeiterstrich. Ein kurzer Blick in die Patientenakte mit der Adresse genügt und der Arzt weiß, wer als Nächstes ins Behandlungszimmer kommt. Wieder einer, der Tag für Tag im Bahnhofsviertel steht, dort, wo die Transporter rechts ranfahren, die Fahrer die Fensterscheiben runterkurbeln und nach billigen Arbeitskräften suchen. "Das ist inzwischen unsere typische Klientel", sagt der Mediziner Fridolin Clemens Volk, während er sich aufmerksam seinen Patienten anschaut, der wie so viele die Adresse der Migrationsberatung als Postadresse angibt, wahrscheinlich aber Nacht für Nacht im Auto haust.

Radu D. deutet auf sein Auge und sagt ein paar Sätze auf Rumänisch. "Er hat seit zwei Tagen starken Juckreiz, die Augen tränen und morgens sind sie wie zugeklebt", übersetzt die Dolmetscherin, die ihn begleitet. Seit drei Wochen ist der Rumäne in der Stadt. Bis jetzt: viel Warten, bloß ein kleiner Job. Ein paar Euro hat Radu D. trotzdem noch übrig für die Augentropfen, die ihm Volk verschrieben hat. Auf einem Privatrezept, denn krankenversichert ist der Mann nicht.

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So wie Radu D. finden bei den Ärzten der Malteser Migranten Medizin seit mehr als zehn Jahren all diejenigen Hilfe, die sich in keiner gewöhnlichen Arztpraxis behandeln lassen können. Fast jede Woche kommen Tagelöhner, Wanderarbeiter und Menschen ohne Papiere in das Haus an der Streitfeldstraße 1, nur wenige Schritte von der S-Bahn-Station Leuchtenbergring entfernt. Und das nicht nur jetzt im Sommer. "Früher war das vor allem ein Sommerproblem, inzwischen kommen die Tagelöhner das ganze Jahr über", sagt Volk.

Der Arzt arbeitet mit gut zehn Kollegen zusammen, seit Jahren behandeln sie eine steigende Zahl von Patienten ohne Krankenversicherung - das kostenlose Angebot wird immer bekannter. Im Durchschnitt sind es mittlerweile sieben bis zehn Fälle pro Sprechstunde, macht etwa 1000 im Jahr. Etwa 30 Prozent der Patienten stammen aus Rumänien oder Bulgarien, viele kamen 2016 auch aus Afrika. Der Name Migranten Medizin ist insofern missverständlich, als dass längst auch Deutsche, denen das Geld für eine Krankenversicherung fehlt, die Sprechstunde besuchen. Oft sind es Selbständige.

Wie viele Menschen sich in München illegal und ohne Versicherungsschutz aufhalten, weiß niemand genau. Wer alles, was mit Behördengängen, Papierkram und Kontrollen zu tun hat, so gut es geht meidet, lässt sich auch nicht gerne zählen. Fest steht nur: Es müssen so viele Personen sein, dass sich in der Stadt inzwischen eine medizinische Parallelversorgung etablieren konnte - und das nicht nur bei den Maltesern.

Viele Ärzte sind schon im Ruhestand

Im Café 104 in der Görresstraße 43 etwa beraten Ehrenamtliche in Kooperation mit "Ärzte der Welt" Migranten ohne Aufenthaltsstatus und vermitteln medizinische Hilfe. Ärzte der Münchner Straßenambulanz fahren mit ihrer mobilen Praxis zu den Treffpunkten der Wohnungslosen, um ihnen medizinische Hilfe anzubieten. Die Malteser bieten ihre Erwachsenensprechstunden zweimal pro Woche an, parallel dazu auch Zahnsprechstunden sowie separate Kinder- und Frauentermine. Hinzu kommt das Angebot von Sozialberatungen.

Für Fridolin Clemens Volk und seinen Kollegen Hans-Detlef Neumann hat der Tag heute vergleichsweise stressfrei begonnen. Das Wartezimmer ist zwar gut gefüllt, doch fast alle wollen zum Zahnarzt nebenan. Inzwischen betreuen die Ärzte in ihren Sprechstunden die Patienten fast immer zu zweit. Als alles begonnen hat in den Räumen am Romanplatz, gab es nur eine Ärztin. Damals sei das Angebot auch nicht so akzeptiert gewesen, da stand schon mal die Polizei vor der Praxis und nahm die Patienten anschließend mit.

Volk führte 23 Jahre lang als Hausarzt eine Praxis in Neuhausen. Seit sieben Jahren ist er pensioniert, wie die meisten seiner Kollegen hier. Nach der Übergabe seiner Praxis hat er etwas gesucht, "das noch Erfüllung gibt", wie er sagt: "Ein Arzt gibt seine Praxis nicht auf und ist dann plötzlich nicht mehr Arzt. Arzt bleibt man ein Leben lang."

Die Praxis ist keine Komfortzone mehr

Ärzte sind sie alle geblieben, doch für die meisten war der Wechsel von der eigenen Praxis oder aus einer modernen Klinik mit einem Verlust der früheren Komfortzone verbunden. Keine Arzthelferin mehr, die sich um die Bestellungen der Medikamente kümmert oder bei den Behandlungen assistiert. In dem kahlen Behandlungszimmer stehen lediglich eine Liege, ein Tisch, ein Schrank mit Arzneien und ein Ultraschallgerät, gespendet, wie fast alles hier. "Es erinnert manchmal eher an ein Lazarett", sagt Neumann.

Trotzdem werden hier nicht nur Bagatellen behandelt. Einmal kam ein Mann, der an Kehlkopfkrebs litt, kaum mehr sprechen konnte und fast erstickt wäre. In solchen Fällen organisieren sie dann ein Bett in einem der Krankenhäuser, die sie unterstützen. "Es ergeben sich zum Glück immer irgendwelche Möglichkeiten", sagt Neumann. Doch manchmal sind die Möglichkeiten auch erschöpft, was einige Patienten nicht nachvollziehen können oder wollen.

"Die gestiegene Erwartungshaltung ist schon ein Problem, man kann schon fast von Medizintourismus sprechen", erklärt Neumann. Es würden Verwandte mit Brusttumoren für eine Bestrahlung oder Chemotherapie aus Afrika geholt werden. "Das reiche Deutschland kann sicherlich helfen. Da müssen wir dann auch abwägen." Hin und wieder gab es deshalb auch schon Randale im Behandlungszimmer. Seit einem Jahr befindet sich unter dem Schreibtisch ein Notfallknopf. Gedrückt haben ihn beide Ärzte jedoch noch nicht.

© SZ vom 04.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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