Die explodierenden Immobilienpreise nutzen der Mafia - und die nutzt den Boom, um schmutziges Geld zu waschen und legal zu investieren. Auch in München - davon ist Andrea Mörike überzeugt. Vergangenes Jahr hat die Münchnerin die Initiative ergriffen und zusammen mit einer Mitstreiterin eine Gruppe der Organisation "Mafia? Nein, danke!" gegründet, eines bundesweit agierenden Vereins, der über den Einfluss der italienischen organisierten Kriminalität (IOK) in Deutschland aufklären will.
"Die Mafia ist überall dort, wo es Geld zu verdienen gibt", sagt Sandro Mattioli, der Vorsitzende des Anti-Mafia-Vereins. In München sind vor allem die 'Ndrangheta und die Camorra aktiv. "Drogen und Geldwäsche sind die beiden großen Themen", sagt Mörike. Die Clans haben das Terrain untereinander abgesteckt: Die mal bis auf den Tod verfeindeten, dann wieder versippten 'Ndrangheta-Familien der Pelle-Vottari, der Romeo und der Strangio aus dem kalabrischen San Luca machen in München ebenso Geschäfte wie der Licciardi-Clan aus Neapel.
Italienische Mafia in Deutschland:Der Pate ist längst unter uns
In Deutschland scheint die Mafia weit weg zu sein. Dabei unterwandern ihre Strukturen die Gesellschaft bereits bis ins legale Wirtschaftsleben.
Verdienen also diese Clans an den steigenden Münchner Immobilienpreisen mit? Für das bayerische Innenministerium - das geht aus einer Antwort vom Dezember 2017 auf eine Anfrage der Münchner Abgeordneten Katharina Schulze (Grüne) hervor - steht zumindest fest, dass Mitglieder von Mafia-Organisationen "Bayern nicht nur als Ruhe- und Rückzugsraum, sondern auch zur Begehung von Straftaten und mutmaßlich zur Investition inkriminierter Gelder nutzen". Wie hoch genau das Immobilienvermögen der Mafia in Bayern ist, könne man "seriös" nicht schätzen, ergänzt die Staatsregierung.
Das Bundeskriminalamt (BKA) geht in einer Studie jedoch von einer "besondere(n) Gefährdung des Immobiliensektors durch Geldwäscheaktivitäten" aus und stellt fest: "Insbesondere bei Immobilienmaklern und Wohnungsbaugesellschaften wird den wirtschaftlichen Interessen gegenüber der Geldwäscheproblematik klarer Vorrang eingeräumt." Bei vielen Marktteilnehmern im Immobiliensektor sei nur eine "eingeschränkte Sensibilität" vorhanden. Aus Sorge um ihre Reputation verzichten Bauträger und -unternehmer laut BKA oft darauf, es den Behörden zu melden, wenn sich ein Verdacht auf Geldwäsche auftut.
"Was soll ich kaufen?", soll ein Mafioso in einem in Italien abgehörten Telefongespräch gefragt haben. "Kauf einfach, egal was", lautete die Antwort des Bosses. "Eine Wohnung?" - "Ja, egal, Hauptsache kaufen." In dem Gespräch ging es um Deutschland. Dem Bayerischen Fernsehen, das diesen Dialog im vergangenen Jahr veröffentlichte, sagte Burkhard Körner, Präsident des Landesamts für Verfassungsschutz: "Deutschland ist natürlich auch als Anlageort attraktiver als Italien."
Stabilere Verhältnisse, höhere Renditen - das wissen die Bosse der kalabrischen 'Ndrangheta, der neapolitanischen Camorra, der sizilianischen Cosa Nostra und der apulischen Sacra Corona Unita zu schätzen. Zwei Anti-Mafia-Razzien gab es vergangenes Jahr in München. Der Clan Pelle-Vottari stand im Dezember im Mittelpunkt der bislang größten europäisch koordinierten Durchsuchungs- und Festnahmeaktion. Eine Pizzeria und zwei Wohnungen wurden in Riem und Daglfing durchsucht. Festnahmen gab es in München nicht. Anders im Januar 2018: Da wurde ein 48 Jahre alter, mutmaßlicher Mafia-Logistiker verhaftet und an Italien ausgeliefert. Die Aktion lief unter dem Codenamen "Styx" - der antike Fluss der Unterwelt, dessen schlammiges Wasser ins Jenseits führt. Ein treffendes Bild.
"Wir beobachten verstärkte Aktivitäten, ja", sagt Sandro Mattioli über die 'Ndrangheta in München. Er verweist auf einen internen Bericht des Bundeskriminalamts aus dem Jahr 2008: Schon damals sei München mehrfach erwähnt worden, auch im Zusammenhang mit ranghohen Mafiosi. "Die Lage hat sich also keineswegs gebessert." Früher galten Städte wie München mit ihrer großen, historisch gewachsenen italienischen Gemeinde als bloßer Rückzugsraum der Mafia. Doch das Gegenteil sei zutreffend, sagt Mattioli: Mitglieder der Mafia-Familien kämen gezielt nach Deutschland, um hier aktiv zu sein - etwa im Drogen- und Waffenhandel. "Aber sie bringen auch ihr Geld aus kriminellen Geschäften hier her, um es zu investieren. Im Übrigen nicht nur in Immobilien, sondern auch in Unternehmen jeder Art."
"Die Mafia gefährdet unsere Demokratie und unsere Freiheit"
Sicherheitsbehörden wissen das. Doch was wissen und merken die Münchner von der Mafia in ihrer Stadt? "Wenn sich ein Mafioso nicht als solcher zu erkennen gibt, hat man als Normalmensch keine Chance, den kriminellen Hintergrund zu erkennen", sagt der Vorsitzende des Anti-Mafia-Vereins. Ist das, was die italienischen Clans in München treiben, ein Verbrechen ohne Opfer? Mattioli will das nicht gelten lassen. Die Opfer würden nur nicht auf den ersten Blick sichtbar. "Wenn die Mieten steigen, weil Mafiaclans in Immobilien investieren, betrifft das alle."
Und nicht allein das: Die organisierte Kriminalität greift auch nach den staatlichen Institutionen. 22 Fälle von Einflussnahme zählte das bayerische Landeskriminalamt im Jahr 2017, in sieben Fällen ging es um Amtspersonen, unter anderem um Polizisten, die dienstliche Informationen weitergeben sollten. Nach der Razzia gegen die 'Ndrangheta vom Dezember leiteten die Behörden in Nordrhein-Westfalen Ermittlungen wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen gegen fünf Beschuldigte ein, unter ihnen zwei Polizisten. "Die Mafia gefährdet unsere Demokratie und unsere Freiheit", sagt Andrea Mörike - und ist sich darin mit dem Verfassungsschutz einig.
Dann spricht die Münchner Mafia-Gegnerin noch über die Tomaten auf der Pizza: Für Mörike sind sie ein Beispiel für die "Wertschöpfungskette" der Mafia: Apulische Schleuser, die Migranten gegen Geld ins Land bringen; betrügerische Baufirmen, die windige, überteuerte Flüchtlingslager hinstellen; Agrarfirmen im Dienst der Mafia, die die Arbeitskraft der illegalen Migranten ausbeuten; Firmen, in denen die so produzierten Tomaten eingedost werden. "Und am Ende steht vor einer Münchner Pizzeria eine Palette dieser Tomatendosen", sagt Mörike. "Der Wirt zahlt kein Schutzgeld. Aber ihm wird klar gemacht, dass er als Landsmann künftig genau diese Tomaten zu kaufen hat und keine anderen."