Literatur:Zorn und Zartheit

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Ein großes Herz für Randexistenzen und Liebe zur Rockmusik: Ludwig Fels, fotografiert im Oktober 1980. (Foto: Brigitte Friedrich/SZ Photo)

Ludwig Fels war Träumer und Rebell - und ein Enfant terrible für seine Heimatstadt Treuchtlingen. Dort will nun ein Verein an das Lebenswerk des vor zwei Jahren gestorbenen Schriftstellers erinnern.

Von Florian Welle, Treuchtlingen

Die alte Jukebox mit Songs von Creedence Clearwater Revival, Hawkwind und den Beatles, die Friedrich Kugler in seinem Treuchtlinger Schallplattencafé "Vinylla Fudge" stehen hat, hätte Ludwig Fels sicher gefallen. Schließlich spielte Musik eine zentrale Rolle im Leben wie in der Literatur des am 11. Januar auf den Tag genau vor zwei Jahren überraschend im Alter von 74 Jahren gestorbenen Schriftstellers.

"Oh, hallo, all ihr Toten! / Oh, hallo, all ihr Songs, ihr traurigen / wegen denen ich weinte und heulte / und raste in meinem Kopf, verfolgt / von all den Gespenstern / die auf der Rückseite des Herzens starben" heißt es in einem seiner vielen waidwunden Gedichte. In einem anderen träumt sein lyrisches Ich von einem lässigen Roadtrip durch große Städte, Musik im Kopf, Gitarren im Kofferraum, um dann aufzuwachen und ernüchtert festzustellen, dass es nicht einmal um das eigene Herz herumgekommen ist.

Ludwig Fels, Träumer und Rebell: Als der gebürtige Treuchtlinger mit seiner Frau Rosy 1983 der ungeliebten mittelfränkischen Heimat den Rücken kehrte und sich gen Wien davonmachte, wollte er dort zunächst einen Plattenladen eröffnen. Um dann doch lieber weiter auf seine Schreibmaschine einzuhacken, die der ohne Vater aufgewachsene Autodidakt aus einfachen und prekären Verhältnissen zehn Jahre zuvor zu einer "Axt" umgebaut hatte.

So erzählt es sein "Poetensong" aus dem ersten Gedichtband "Anläufe" von 1973. Dazu hörte er, der nach eigener Aussage von Musik mehr verstand als von Literatur, meistens laut Rock und Blues, Alternative und Americana, dabei "immer auf der Suche nach dem besten, dem letzten, dem ultimativen Song".

Friedrich Kugler hat zum Gespräch über Ludwig Fels und die im vergangenen Sommer gegründete Ludwig-Fels-Gesellschaft in sein liebevoll eingerichtetes House of Sound eingeladen, mit dem sich der leidenschaftliche Sammler und ausgewiesene Musikliebhaber nach seiner Emeritierung als Professor für Wirtschaftswissenschaft einen Lebenstraum erfüllt hat. Seit Ende 2019 gibt es den Laden, halb Café, halb Schallplatten-Eldorado, in einem der ältesten Häuser Treuchtlingens, von dessen Wänden Bob Dylan, die Fab Four und Jim Morrison grüßen. Der späte Elvis steht als stattliche Figur in einer Nische, weißer Pailletten-Anzug, aufgestellter Kragen. Wenn man auf einem der ausrangierten Kinosessel oder an einem der Nierentische Platz nimmt, scheint der King einen direkt anzuschmachten.

Friedrich Kugler in seinem "Vinylla Fudge", halb Café halb Schallplattenladen. (Foto: Florian Welle)

Alles war arrangiert, damit Ludwig Fels hier aus seinem jüngsten Roman "Mondbeben" hätte lesen können. Doch dann schlug die Pandemie zu, und plötzlich war es zu spät. Friedrich Kugler, sieben Jahre jünger als der 1946 geborene Fels, wollte nach dessen Tod aber erst recht etwas über den berühmt-berüchtigten Sohn der Stadt machen. Schon als Jugendlicher war er dem "Lugg" immer mal wieder über den Weg gelaufen in den Wirtshäusern und Diskotheken der Gegend, wo dieser irgendwo zwischen Musikbox und Kegelbahn seine Zeit totschlug, soff. Ein langhaariges Enfant terrible, argwöhnisch beäugt in der Kleinstadt Treuchtlingen, deren Häuser er später einmal "bewohnte Grabsteine" nannte.

"Rockʼn FELS" hieß der Abend, mit dem Kugler nach Rücksprache mit Rosy Fels den Schriftsteller im Mai 2022 in seinem Café schließlich ehrte. Unterstützung holte er sich dabei unter anderem von Felsʼ Jugendfreund Eugeniusz Bratkowski sowie dem Zweiten Bürgermeister von Gunzenhausen, Peter Schnell. In einer Mischung aus Lesung, Gespräch und Plattenauflegen präsentierte man dem zahlreich erschienenen Publikum den ganzen Fels.

Von dessen Anfängen als proletarischem Underdog, der sich nach einer abgebrochenen Malerlehre zunächst als Hilfsarbeiter und später als Packer in einer Nürnberger Halbleiterfabrik durchschlug, ehe er seinem aufgestauten Zorn über die gesellschaftlichen Verhältnisse in einer wort- und bildgewaltigen Sprache Luft machte - die Beat-Poeten um Jack Kerouac und Allen Ginsberg standen Pate. "Die Sünden der Armut" lautete 1975 der Titel seines ersten Romans.

Zwei seiner Romane aus den Achtzigerjahren wurden verfilmt

In den Achtzigerjahren dann die Zeit seiner größten Erfolge, als Fels zahlreiche renommierte Preise erhielt und zwei seiner Romane verfilmt wurden. Das schwertraurige Buch "Ein Unding der Liebe" über den übergewichtigen Untergeher Georg Bleistein, das mit dem Satz "Die Erde war der fernste Stern" endet; sowie das Nick Cave und den Indie-Rockern von Crime & the City Solution gewidmete Buch "Rosen für Afrika".

Schließlich der gereifte Schriftsteller, der zwar immer noch mordsmäßig wüten, aber eben auch in "Die Parks von Palilula" (2009) ungemein liebevoll über seine Rolle als Ersatz-Opa für ein nigerianisches Baby schreiben konnte. Hier liest man Sätze wie: "Ich glaube an Gott, und das, ich weiß, klingt leicht dahingesagt. Aber ich glaube an ihn, schon deswegen, weil wir uns sonst totträumen müssten." Welchʼ eine Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit in einer fremden, entfremdeten Welt verbirgt sich dahinter.

Der ganze Fels: Das ist die herzzerfetzende Verbindung von drastisch-expressiven Schilderungen, analytisch-kaltem Scharfblick und lyrischer Zartheit. "Einsamkeit ist nur ein Wort für Einsamkeit / und das Ende einer Liebe / ist nie das Ende einer Liebe / nur das Ende einer / Liebe zu zweit", lautet die erste Strophe des Gedichts "Einsamkeit ist nur ein Wort für Einsamkeit", vielleicht eines seiner schönsten.

Der Tagebuchroman "Die Parks von Palilula" ist neben der Lyrik Friedrich Kuglers liebstes Werk. Weil man hier der Person Ludwig Fels so nahe wie nie kommt. "Wer es liest", erzählt er, "weiß, wie er dachte, lebte, welche Vorlieben er hatte". Fels schrieb es in seiner spartanisch eingerichteten Wiener Wohnung mit der Musik des nigerianischen Musikers Fela Kuti im Hintergrund. DJ Kugler legte den Begründer des Afrobeats auch am "Rockʼn FELS"-Abend neben den Doors, den Stones, Nick Cave und Otis Taylor auf.

Der große Erfolg jenes Abends im vergangenen Mai bewog die Veranstalter schließlich endgültig, ihre Verehrung für das umfangreiche Schaffen von Ludwig Fels, die neun Theaterstücke, 13 Lyrik-Bände, 16 Erzählungen und Romane sowie mehr als zwanzig Hörspiele, zu institutionalisieren und die Ludwig-Fels-Gesellschaft ins Leben zu rufen.

Vor allem Jüngere könnte die Sprachmacht und Schonungslosigkeit des Schriftstellers ansprechen, hofft Kugler

Im Sommer fand im "Vinylla Fudge" unter den Augen von Elvis die Gründungsversammlung statt. Mittlerweile ist ein eingetragener Verein mit 30 Mitgliedern daraus entstanden, dessen erster Vorsitzender Friedrich Kugler ist. Ist erst mal die Homepage sowie die anvisierte Info- und Multi-Media-Ecke in der örtlichen Stadtbibliothek eingerichtet, sollen es viel mehr werden, die sich um die Pflege, Erforschung und Verbreitung von Ludwig Felsʼ künstlerischem Werk mit dem Ziel kümmern, ihm einen "angemessenen Platz in der Literaturgeschichte und in der Gesellschaft zu verschaffen". Kugler hofft darauf, dass sich vor allem Jüngere von der Sprachmacht und Schonungslosigkeit des Schriftstellers mit dem großen Herzen für Randexistenzen und gesellschaftlich Abgehängte begeistern lassen.

Noch zu Lebzeiten näherten sich Fels und seine eigentlich für ihn erledigte mittelfränkische Heimat langsam wieder an. Dazu trugen sicherlich der hochdotierte Literaturpreis der in Treuchtlingen ansässigen "Wilhelm und Christine Hirschmann-Stiftung" im Jahr 2009 und der Wolfram-von-Eschenbach-Preis des Bezirks Mittelfranken 2011 bei. Fels schien am Ende so etwas wie Frieden mit der Stadt seiner schweren Kindheit und Jugend gemacht zu haben, sein letzter Gedichtband "Dou di ned o" ist gar in Mundart verfasst.

Und Treuchtlingen und die Treuchtlinger? Zwar polarisiere der Name hier mitunter heute noch, sagt Kugler. Doch die Stadt selbst ist Ludwig Fels und der neugegründeten Gesellschaft gewogen. Man wird nach ihm allerdings keine Straße benennen, wie es die Gesellschaft gleich nach ihrer Gründung vorschlug. Dafür soll nun, unterstützt von der "Hirschmann-Stiftung", unweit des Bahnhofs ein kleiner Ludwig-Fels-Park inklusive Büste entstehen. Die Stadt selbst will an anderer Stelle ein weiteres Denkmal für den Dichter errichten, der 2021 posthum mit dem Sonderpreis zum Ansbacher August-Graf-von-Platen Literaturpreis für sein herausragendes Lebenswerk geehrt wurde.

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