Kolumne "Das ist schön":Bücher als Nahrung

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Die Zensur in Russland hat mittlerweile auch die Bücher von Ljudmila Ulitzkaja erfasst. (Foto: imago stock&people)

Ljudmila Ulitzkaja über die teuerste Nabokov-Ausgabe der Welt, die daheim in Moskau auf sie wartet .

Von Jutta Czeguhn

Eine kleine Geschichte über den Nährwert von Büchern. Die russisch-jüdische Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja hat sie erzählt im vollbesetzten Saal des Münchner Literaturhauses: Moskau, Sowjetunion, wohl Anfang der Siebzigerjahre, alles ist Mangelware, und jeder ein Beschaffungskünstler. Studentin Ljudmila will sich einen Pullover kaufen, in der Wohnung der Schwarzhändlerin liegt neben den begehrten Kleidungsstücken ein Buch. "Die Gabe", Vladimir Nabokovs letzter auf Russisch geschriebener Roman, Ende der Dreißigerjahre in einer russischen Emigrantenzeitschrift in Paris erstmals veröffentlicht. Nicht eigentlich verbotene Literatur, aber unerreichbar für Ljudmila. Sie will dieses Buch, unbedingt. Doch Nachfrage erhöht den Preis auch im antikapitalistischen Sowjetreich. Auf keinen Fall zu verkaufen, sagt die Händlerin. Ljudmila bleibt stur, schließlich zieht sie den Brillantring ihrer Großmutter vom Finger - und macht das Buch damit zur teuersten Nabokov-Ausgabe der Welt.

Es sei diesen hohen Einsatz wert gewesen, sagt Ulitzkaja. Nabokovs Roman, der im russischen Migranten-Milieu im Berlin der Zwanzigerjahre spielt, habe ihr eine ganz neue Welt eröffnet. Ironie des Schicksals: Heute lebt die Achtzigjährige selbst im Exil in Berlin, das wieder Fluchtpunkt geworden ist für viele Russen, nicht nur wie sie Angehörige der Intelligenzia, die Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine öffentlich verurteilt haben.

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Die Zensur in Russland hat mittlerweile auch die Bücher der auch dort enorm populären Autorin erfasst. Ulitzkajas neuer Memoir-Band "Die Erinnerung nicht vergessen", den sie im Literaturhaus vorgestellt hat, ist bislang nur auf Deutsch erschienen (Münchner Hanser Verlag). Ob sie glaubt, dass nun wieder Exilverlage im Ausland entstehen werden, um den Lesehunger der unterdrückten Russen zu stillen? Ulitzkaja, die ihren Landsleuten einmal eine zunehmend aggressive Unbildung attestiert hat, sieht das realistisch. Wer ihre Bücher lesen möchte, habe es heute ungleich leichter, könne per Tastendruck im Internet alles bekommen.

Ob sie Hoffnung habe, ihre Wohnung je wieder zu sehen? An diesem Abend im Literaturhaus lässt Ljudmila Ulitzkaja diese Frage unbeantwortet, sie wolle, sagt sie, ihrem Publikum die Stimmung nicht verderben. Stille Tränen im Saal. Doch die Vorstellung, dass zu Hause in Moskau der zerfledderte Nabokov auf sie wartet, ist tröstend und schön.

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