Buchbranche:Ideen, die Geschichte werden

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Am Anfang war das Wohnzimmer, am Ende des Blumenbar-Verlags steht nun das Archiv. (Foto: Coco Lang für Blumenbar)

Die Monacensia hat das Archiv des Blumenbar-Verlags erworben, der vor 20 Jahren in München entstand und ein Jahrzehnt lang die Szene aufmischte.

Von Antje Weber

Für das Cover des allerersten Buchs des Blumenbar-Verlags zeichnete der Autor FX Karl eine Waschmaschine - und faxte das Bild an die Gestalterin. Das war 2002. Und allein dieses Beispiel zeigt: 20 Jahre mögen einerseits eine kurze Zeit sein, andererseits hat sich die (Buch-)Welt in dieser Spanne doch etwas verändert. So betrachtet, wirkt es weniger überraschend, dass der Blumenbar-Verlag jetzt offiziell historisch wird - nur 20 Jahre nach seiner Gründung und zehn Jahre nach seinem Ende.

Das Literaturarchiv Monacensia hat soeben das Archiv des einstigen Münchner Independent-Verlags erworben, um gemäß der von Leiterin Anke Buettner betriebenen Neuausrichtung Archiv- und Gedächtnislücken zu schließen: "Wir bewegen uns einfach in die Gegenwart." Nicht mehr nur das Werk von Schriftstellerinnen und Schriftstellern will man in den Blick und ins Lager nehmen, sondern den "gesamten literarischen Kosmos in seiner Zeitschicht fassen", so Archivleiter Thomas Schütte. Dazu gehört neben Bühnen, Festivals oder Netzwerken eben auch ein stilprägender Verlag und Veranstalter wie Blumenbar.

Auch wenn dessen Gründer Wolfgang (heute Wolf) Farkas einen USB-Stick mit 50 GB zückt - Herzstück der Sammlung sind 25 Kartons mit 72 Aktenordnern, Büchern, Audiokassetten, Filmnegativen und Schallplatten. Woran sich gut erkennen lässt, dass die Nullerjahre eine Übergangszeit vom Analogen ins Digitale waren, wie Farkas sagt. Aus einem Koffer zieht er weitere Erinnerungsstücke: neben einer Erstausgabe FX Karls oder einem "Zigarettenroman" auch ein ärmelloses T-Shirt, eine Krawatte Wolf Wondratscheks oder einen Clubanhänger. Denn der Verlag entstand ja aus einer Szene heraus, die von 1997 an in der Blumenstraße 3 feierte, in einer Privatwohnung von Farkas und Co-Gründer Lars Birken-Bertsch. Von Business-Plan keine Spur: "Wir hatten eigentlich nur die Wohnung und uns selber", erinnert sich Farkas.

"Wir hatten eigentlich nur die Wohnung und uns selber", sagt Verlagsgründer Wolf Farkas (rechts) über die Anfänge, hier mit Co-Gründer Lars Birken-Bertsch im Bild. (Foto: Alescha Birkenholz für Blumenbar)

Aus den Salon-Abenden und immer größeren Literaturevents entwickelte sich die Idee eines "solitären Buchs" (Birken-Bertsch). Es wurden immer mehr Bücher, am Ende gar 65, von Anne Zielke bis Leonard Cohen. Nicht nur etliche Werke, sondern auch Veranstaltungen sorgten für Aufsehen - zum Beispiel ließen die Neuverleger auf ihrer ersten Frankfurter Buchmesse in einer Waschmaschine Bücher schleudern. Sie waren einfallsreich und konnten "einige Zeichen setzen", wie Farkas sagt. Zum Beispiel versuchten Verlage heute ja verstärkt die Leser zu binden, indem sie Communities in den sozialen Medien bilden: "Das haben wir damals schon gelebt."

Doch es ist schwierig, einen kleinen Verlag ohne jede Förderung wachsen zu lassen, wie Birken-Bertsch erklärt: "Wir mussten noch ohne Verlagspreis auskommen." Die Kosten stiegen, der Umsatz weniger, man verschätzte sich mit einem Kapitalgeber. Schließlich wurde der finanzielle Druck so stark, dass die zwischenzeitlich teils gen Berlin gezogenen Verleger die Marke Blumenbar an den Aufbau-Verlag verkauften, wo sie mit anderer Leitung und Ausrichtung weiterexistiert. "Es war ein trauriges Ende", sagt Farkas, und musste erst verarbeitet werden; nach einem Fest im Münchner Kunstverein in diesem Sommer sei nun mit der Archivübergabe "der Endpunkt des Loslassens" erreicht. Bald kann also die Forschung beginnen, zum Beispiel zur Frage: Was hat Wondratscheks Krawatte im Verlagskoffer zu bedeuten? Denn nun ist endgültig klar: Dieser Rest ist Geschichte.

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