Literatur:Der alltägliche Katzenjammer

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Die neue Ausgabe der "Krachkultur": ein Magazin für die Helden der Arbeit. (Foto: Krachkultur / Yanko Tsvetkov)

Die Münchner Literaturzeitschrift "Krachkultur" widmet sich in ihrer neuen, bisher dicksten Ausgabe dem Thema "Arbeit".

Von Jürgen Moises, München

Es heißt ja, Arbeit sei das halbe Leben. Da stellt man sich doch gerne mal die Frage, was die andere Hälfte ist. Zumindest macht das der Münchner Autor und Philosoph Lukas Hammerstein in seinem Essay "Don't work - cry", der in der aktuellen Ausgabe der Krachkultur zu lesen ist. Das Münchner Literaturmagazin widmet sich darin dem Thema "Arbeit", das in den vergangenen Corona-Monaten verstärkt und zum Teil auf neue Art ins Zentrum gerückt ist. Während sich die einen als unfreiwillige Scheinselbständige im vertrauten, unvertrauten Home-Office wiederfanden, "hockten andere an der Kasse im vollen Supermarkt oder am Lenkrad eines Lkws im Stau", wie Hammerstein schreibt. Und sie wurden dafür kurze Zeit als "Helden der Arbeit" gefeiert. Wer da nun Gewinner oder Verlierer ist, lässt sich auf längere Sicht schwer sagen. Denn haben nicht gerade die Heim- oder Kurzarbeiter durch ihr Zu-Hause-Bleiben bewiesen, dass sie fürs System relativ entbehrlich sind? Das sind nur ein paar Gedanken aus Hammersteins Essay, in dem es etwa auch um die eigene Schreibarbeit geht. Auch das ein aktuelles Thema, sind mit Carolin Amlingers soziologischer Abhandlung "Schreiben" und dem Sammelband "Brotjobs & Literatur" vor Kurzem doch gleich zwei lesenswerte Bücher zum Thema Schreiben und/als Arbeit erschienen. In der mit 272 Seiten so dick wie nie geratenen Ausgabe Nr. 22 der Krachkultur gibt es wie immer ebenfalls viel Lesenswertes, aufgefächert in Essays, Poesie und vor allem Prosa. Ein Highlight stellen dabei gleich zu Beginn die Prosaminiaturen von Garielle (ehemals Gary) Lutz dar. Die haben in den USA eine begeisterte Leserschaft, wegen angeblicher Unübersetzbarkeit lag davon aber bisher nichts auf Deutsch vor. Zu Unrecht, denn Christophe Fricker hat Lutz' virtuose Satzverrenkungen und originäre Wortneuschöpfungen beeindruckend übersetzt. Inhaltlich geht es um Außenseiter mit öden Bürojobs, was aber wenig von Belang ist, denn das eigentliche Ereignis ist die Sprache.

Vom Schriftsteller zum Brummifahrer

Sogar eine Weltpremiere stellt der Text "Lone Star" von Mary Miller dar. Die amerikanische Autorin erzählt darin mit wunderbarem Sarkasmus von ihrer Begegnung mit einem deutschen Filmteam, das in ihr vielleicht ein "Genie" oder auch nur eine "ignorante Amerikanerin in Cowboystiefeln" sieht. Ebenfalls bisher unveröffentlicht waren bisher zwei der drei Briefe von Jörg Fauser, in denen der deutsche Bukowski (oder wahlweise Chandler) von seinem Hin-und-hergerissen-Sein zwischen Brotjobs, etwa als Nachtwächter, und seiner eigentlichen Schreibarbeit berichtet. Was dabei real oder nur Pose ist, ist unklar. Mit Bukowski wurde zeitweise auch Rudolf Proske verglichen, bevor er Mitte der Neunziger zum Brummifahrer mutierte. In zwei alten, herausgekramten Prosatexten erzählt er vom Malochen in einer Lackiererei und Brauerei. Und in neuen Gedichten löst er seinen alltäglichen Arbeiterblues und Katzenjammer in Bier und Zigarettenqualm auf.

"Bettdecken" werden die Arbeitslosen in der dystopischen Erzählung "Feierabend" genannt

Eine gelungene Kafka-Paraphrase stellt die Büro-Erzählung "Das Loch" von Daniel Krauser dar. Sara Klatt bringt in "B wie Widerstand" geschickt die geforderte Verkehrswende und das Holocaust-Gedenken zusammen und der Südkoreaner Cheon Myeong-kwan erzählt in "Feierabend" von einer dystopischen Zukunft voller Arbeitsloser, genannt "Bettdecken". Romanauszüge gibt es auch wieder, etwa aus "36 Stunden" von Jörg Martin Dauscher, einer noch etwas unausgegoren wirkenden Alkoholschmuggel-Geschichte. Julian Witzels Schilderung eines deutschen Teenie-Popstar-Daseins in "Brüder" liest sich doch eher fad. Und im Auszug aus Katja Kulins autofiktionalem Roman "Halbe Heimat" berichtet eine Tochter recht einfühlsam vom toten Vater, einem Lkw-Fahrer. Als Kind war er für sie ein Held. Erst später erkannte sie in ihm den schlecht bezahlten Gastarbeiter. Also einen von denen, die unter Corona vielfach unter den von uns beklatschten Helden waren.

Krachkultur Nr. 22/2021, "Das Arbeitsheft" , Krachkultur Verlag, 272 S., 15 Euro

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