Konzert:Wissen, wo es langgeht

Lesezeit: 4 min

Auf ihrer Tour will Leslie Clio in etlichen deutschen Städten die Hallen füllen, zum Beispiel im Münchner Feierwerk. (Foto: Sarah Köster)

Die Singer-Songwriterin Leslie Clio, die auch ein eigenes Plattenlabel leitet, stellt ihr neues Album "Brave New Woman" auf Tour vor.

Von Michael Zirnstein

Mit welchem Ort soll man bei Leslie Clio anfangen? Mit Nashville, wo sie am liebsten Lieder schreibt, weil das dort alle machen - das war ihr "Wow"-Effekt dort: "Jeder ist da Singer-Songwriter. In Deutschland weiß doch keiner, was mein Beruf ist." Oder London, da war sie auch mal eine Weile zum Schreiben? Sie vermisse es sehr. Für eine deutsche Soul-Pop-Eigenbrötlerin kommt Leslie Clio ganz schön herum in der Welt. Nach Hawaii war sie einmal geflüchtet, hatte alles verkauft zu Hause, jede Gabel, jeden Löffel, der ihr etwas bedeutete, hatte allen Menschen tschüss gesagt und war in einer vegetarischen Selbsterzeuger-Kommune untergetaucht, eine Phase der Selbstaufgabe, aus der das düstere dritte Album "Purple" resultierte.

Oder doch Südafrika? Da traf sie 2018 Kollegen wie Mark Forster und Ray Garvey zur "Tauschkonzert"-Sendereihe "Sing meinen Song". Aber für sie hieß das eher nicht "geil, ich darf nach Südafrika", sagt sie, sondern eher "geil, ich darf da zeigen, dass ich Musik der anderen interpretieren kann". Sie produzierte für ihre Auftritte, "was die anderen da gar nicht machen", ihre eigenen Sound-Ideen zu Hause vor, etwa ein wüstes "Arizona Man" von Mary Roos. Ein Faible für das Covern von Songs weckte das bei ihr, sie nahm umgehend ein ganzes Album auf, brachte davon allerdings nur eine "Repeat" betitelte Mini-Version heraus. Also, was ist geblieben von der guten Zeit in der Grotboos Safari Lodge? Dankbar sei sie für ihre Freundschaft mit der Kollegin Judith Holofernes, "friends for life", sagt sie, die beiden "Hundemamas" treffen sich jetzt oft zum Gassigehen in ihrer "Hood" in Berlin.

Leslie Clio hat als Chefin eines eigenen Plattenlabels ein weibliches Team um sich herum angeheuert, weil Frauen im Business "krass unterrepräsentiert sind", wie sie sagt. (Foto: Sarah Köster)

In Berlin fing das ja einmal an bei ihr. Nach dem Aufwachsen in Hamburg - die "Leslie Clio Story" berichtete auf Vox von einer "schwierigen Kindheit", aber Clio will das gar nicht aufbauschen, so wie sie Privates gerne im Geheimen belässt ("Ich bin halt früh von zu Hause weg") - kam sie in die Hauptstadt. Ihr Blue-Eyed-Soul kam da an, und die Sängerin mit Dutt und Flip-Flops "kellnerte sich den Arsch ab" (sagte sie mal), um gemeinsam mit dem Tomte-Gitarristen Nikolai Potthoff ihr Debütalbum "Gladys" produzieren zu können.

Es zahlte sich aus: Darauf war die Hit-Single "I Couldn't Care Less", die der damals 24-Jährigen eine "Echo"-Nominierung als "Beste Deutsche Pop-Künstlerin" einbrachte und die heute noch oft in den Radios läuft und die Konzertbesucher etwa bei der bis dato letzten "Night of the proms"-Tournee 2019 natürlich von ihr einfordern. "Selbst Celine Dion darf nicht ohne ,My Heart Will Go On' von der Bühne. Es ist doch geil, wenn du einen Hit hast, dem bist du ein Leben lang verpflichtet", sagt sie.

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Und um ihre aktuellen Songs zu präsentieren, dafür gebe es ja die Solo-Tourneen, die sie nun wieder in viele Städte des Landes bringen. Vor der obligatorischen "Hitrutsche" am Ende der Konzerte hat sie viel Neues zu bieten. Wieder mal eine neue Leslie Clio, die sie wie ihr Album eine "Brave New Woman" nennt. Vor fast vier Jahren nun, am Tag vor ihrem 30. Geburtstag, hatte sie das Master-Band von "Purple" abgegeben, nachts zündete sie in einem Ritual eine Kerze an, erzählt sie: "Ich sagte: Ich lasse das alles hinter mir, die Herzschmerz-Fragen, ,Liebt er mich', die man sich in seinen Zwanzigern mehrmals stellt, und die man gerade als Künstlerin gerne durchlebt, um Futter zu haben für die Songs." Jetzt sollte "der neue Akt" in ihrem Leben beginnen: "Die Frau Leslie Clio. Die Phase läuft jetzt, bis ich 60 bin. Jetzt kommt Ruhe rein."

Will man solche Ruhe auf einem Album hören? Nach dem wunderbar verschachtelten, von Indie-Soundscapes durchzogenen "Purple", an dem sie gar mit dem Sinister-Sänger Drangsal arbeitete? Ja, man will, sie hat wieder mehr ihre starke Stimme in die Mitte gerückt von reduzierten, akustischeren Stücken wie "Tenderly" und der orchestralen Coverversion des Eighties-Balladenklassikers "Love Is A Shield" von Camouflage (von denen sie gar nicht wusste, dass es Deutsche waren). Aber auch gut, dass sie ihre abgründige Coming-of-Age-Periode im Eröffnungsstück "Girl With A Gun" noch einmal im Zeitraffer durchlebt: "sick", "gone", "lost" und "in the wrong line". Aber da steckt auch schon der Ausweg drin: Niemand erzählt dir, was du tun sollst, nur das Mädchen mit der Knarre.

Und das ist sie. "An seinen Waffen festhalten, und wenn das Leben dir Steine in den Weg schmeißt, dann bau was draus. Das ist meine Geschichte." Was genau da war, verschweigt sie. Und ebenso, wo sie gerne mal Ärger macht, das "Korsett der alten Handlungsmuster sprengt", wozu sie die Hörer in "Good Trouble" anstachelt. Das ist ein schmissiger Song, der inhaltlich (und klanglich) nicht zufällig an "Trouble" von Pink erinnert. "Gute Frau", findet Clio, "Pink ist eine der wenigen, die progressiv sind, sich etwas trauen. Wut ist ein wichtiges Thema, kommt aber zu selten vor. Es braucht mehr Diversität, mehr Facettenreichtum bei den Frauen in der Musik." Sie selbst sieht sich im deutschen Pop als "Mainstream-Outlaw".

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Leslie Clio redet aber nicht nur, sie hat gehandelt. Als DIY-Künstlerin produziert sie nun selbst, ohne Plattenfirmen-Vormund, hat ein eigenes Label gegründet und als Chefin ein weibliches Team um sich herum angeheuert, weil eben "Frauen im Business krass unterrepräsentiert sind, und was ist der Weg da raus? Dass man eben ganz einfach Frauen einstellt". An all den neuen Aufgaben sei sie gewachsen: "Im Leben geht es nur darum, weiterzukommen, schlauer zu werden, deshalb war klar: Ich kann das, ich mach das."

Alle seien so lange festgesessen, wegen Corona, aber auch im Leben, sagt sie, es sei Zeit, wieder rauszugehen, dafür soll "Brave New Woman" ein "Soundtrack der Motivation" sein. Die Erkenntnis reifte bei ihr schon 2018 und 2019, als sie "Purple" und "Repeat" aufnahm. Tatsächlich in München. Sie wohnte im "Hipsterviertel", drüben an der Baaderstraße, und das Studio war auf der anderen Seite der Isar, in der Au. Also schmiss sie sich jeden Tag in den Fluss, erzählt sie, und paddelte dann gegen die Strömung an. "Ein super Workout." Vielleicht kann man sagen, in München hat Leslie Clio sich freigeschwommen.

Leslie Clio, Fr., 1. April, 19.30 Uhr, Hansa 39 im Feierwerk

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