Literatur:Verstreut in alle Winde

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Freiheit und Verantwortung - und die Zwänge des Systems: Das sind die großen Themen von Leonardo Padura. (Foto: Ivan Gimenez)

Leonardo Padura liest im Literaturhaus aus seinem neuen Roman über Kubaner im Exil.

Von Martina Scherf, München

Acht Freunde, seit Studientagen vereint. Ein altes Haus am Stadtrand von Havanna ist ihr Zufluchtsort. Dort treffen sie sich, um zu essen, zu feiern, zu diskutieren. Und während Kuba, ihr Land, von einer Krise in die nächste schlittert, zerplatzen mit den Jahren ihre Träume. Am Ende sind alle gegangen, nach Miami, Puerto Rico, Madrid oder Rom. Verweht "Wie Staub im Wind". Nur Clara bleibt in ihrem Schneckenhaus zurück, mit ihren Fotos und Erinnerungen.

Leonardo Paduras neuer Roman, im Original "Como polvo en el viento" (deutsch im Unions-Verlag), handelt vom Exil. Der große kubanische Romancier, der jetzt nach München kommt, wurde einst mit seinem kriminalistischen "Havanna-Quartett" berühmt, schrieb sich später mit historischen Romanen wie "Der Mann, der die Hunde liebte" und "Ketzer" an die Spitze der Weltliteratur. Alle seine Bücher handeln von Freiheit und Verantwortung in einem System, das die Würde des Einzelnen der Idee vom angeblich gerechten Kollektiv opfert. Doch an die glaubt jetzt niemand mehr. Nicht einmal Clara, die in Havanna ausharrt. Ihr Ex-Mann hat sich als Chirurg in Barcelona ein neues Leben aufgebaut und will katalanischer als die Katalanen sein. Ihre Söhne leben in Toulouse und Miami.

Clara, Loreta, Adela, drei Frauen stehen im Zentrum dieses Romans. Loreta, die Kuba hasst, und ein Geheimnis birgt, das Padura erst auf den letzten der 500 Seiten lüftet. Adela, ihre in New York geborene Tochter, die ihre kubanischen Wurzeln sucht. In Rückblenden und Dialogen entwickelt sich die Geschichte, die über drei Jahrzehnte reicht, einen ganz eigenen Sog entwickelt und immer wieder um die Frage kreist: Warum, verdammt noch mal, müssen wir in alle Welt verstreut sein, wenn unsere Herzen doch in Kuba zuhause sind?

Glasnost ist in Kuba noch immer ein Fremdwort

Ja, warum? Weil im Land, das den besseren Menschen erschaffen wollte, ein Liter Speiseöl ein Monatsgehalt kostet. Weil ein Chirurg von seinem Einkommen nicht existieren kann. Weil man den Staat beklauen muss, um zu überleben - der Arbeiter stiehlt Schrauben und Rüben, der Parteikader lässt Kunstwerke und Devisen verschwinden. Und weil sich die Orwell-hafte Gesinnungsschnüffelei immer tiefer bis in die privatesten Beziehungen frisst.

Eine tiefe Melancholie schwingt in diesem Roman mit. Die lässt sich auch nicht dadurch verdrängen, dass sich seine Protagonisten improvisierten Festgelagen und in wechselnden Beziehungen der körperlichen Liebe hingeben. In den drei Jahrzehnten, seit Claras Clan die Universität verlassen hat, fiel in Europa die Mauer, war Obama in Havanna - doch Glasnost ist in Kuba noch immer ein Fremdwort. Wer kann, verlässt das Land.

Aber natürlich ist auch im Kapitalismus die Freiheit nicht grenzenlos. Padura wirft einen ironischen Blick auf die Exilkubaner mit ihrer Hassliebe zur Heimat. Und dann, ein Vierteljahrhundert später, treffen sich die Freunde wieder im alten Haus in Havanna. Sie besorgen Rum, Hühnchen, Reis und Bohnen. Sie essen, feiern und stellen sich, endlich, der Wahrheit. Alles kommt auf den Tisch. Wie ein reinigendes Gewitter. Als alle wieder abgereist sind, setzt sich Clara auf die Terrasse unter den großen Mangobaum und legt noch einmal die alte Platte auf: Kansas "Dust in the Wind".

Lesung mit Leonardo Padura (dt.-span.): Mi., 27. April, 20 Uhr, Literaturhaus München , Bibliothek

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