Landtagswahl:München-Mitte ist der wohl spannendste Stimmkreis in Bayern

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Mit Ludwig Hartmann könnten die Grünen ihr erstes Direktmandat in Bayern holen. (Foto: Catherina Hess)

Bei der letzten Wahl gab es Stimmkreis 109 noch gar nicht. Hier könnte erstmals ein Grüner ein Direktmandat für den Landtag gewinnen.

Von Dominik Hutter

Manchmal spielt der künftige Wähler nicht so recht mit. "Pfütze", antwortet der Junge auf die Frage des Kandidaten, was sich denn aus Kindersicht noch verbessern könnte im Stadtteil Haidhausen. Ein kleiner Finger zeigt auf eine Wasserlache auf einem Weg über die Postwiese, es folgen die Worte: "Da kann man reinspringen". Ludwig Hartmann lächelt. Immerhin hat eines der vier Kinder etwas beigetragen zum Thema - leicht ist es nicht, bei strömendem Regen Interessenten für einen Stadtteilspaziergang zu finden. An der Tour nehmen vor allem örtliche Grüne mit ihren Kindern teil.

Eingepackt in wasserfeste Klamotten geht es vom Bordeauxplatz über Pariser Platz ("schön umgestaltet, aber es fehlen Fahrradständer") zur Postwiese. Dort ist vorzeitig Schluss, auch im Wahlkampf ist keine Komplett-Durchnässung erforderlich. Hartmann trägt es mit Humor. Politisch sieht es gut aus für den Senkrechtstarter, der 2008 erstmals in den Landtag kam, fünf Jahre später Fraktionsvorsitzender wurde und sich nun anschickt, erstmals für die Grünen ein bayerisches Direktmandat zu holen.

Diese Karriere ist zumindest im Wahlkampf Fluch und Segen zugleich. Positiv für Hartmann dürfte sich seine Bekanntheit und auch seine Professionalität bei Sachfragen auswirken. Weniger günstig ist der Spagat zwischen den landesweiten Verpflichtungen eines Spitzenkandidaten und der Präsenz im eigenen Stimmkreis. Hartmann hat extra Tage für Termine in München-Mitte geblockt. Er hat Liegestühle produzieren lassen, um den Münchnern ein eher gemütliches Angebot zur unkomplizierten Kontaktaufnahme zu bieten - das sommerliche Mobiliar taucht dann mitsamt dem Kandidaten auf, Anfang August etwa auf dem Weißenburger Platz. Es gibt das Format "Auf ein Eis mit Ludwig Hartmann". Niedrigschwellig soll es zugehen, sagt der 40-Jährige. Es gehe darum, ansprechbar zu sein. Einen klassischen Haustürwahlkampf will er auch noch starten, allerdings erst etwas später. Noch läuft der Wahlkampf eher verhalten ab, Hartmann ist überzeugt, dass sich viele Wähler erst auf den letzten Drücker entscheiden, bei wem sie ihr Kreuzchen machen.

Hartmann, bekannt geworden vor allem durch sein Engagement gegen die Olympiabewerbungen für 2018 und 2022, kandidiert in dem vermutlich spannendsten Stimmkreis des ganzen Landes. München-Mitte reicht vom Westend über die Isarvorstadt und Teile Sendlings bis nach Haidhausen. Der einzige klassische Innenstadtbezirk, alle anderen Stimmkreise reichen wie Tortenstücke bis an die Stadtgrenze. Bei der Landtagswahl 2013 gab es den Kreis mit der Nummer 109 noch gar nicht, der Bevölkerungszuwachs hat ihn erforderlich gemacht.

Dass er so zugeschnitten ist, wie ihn die Wähler heute vorfinden, hatte nach Einschätzung der Opposition den Zweck, das eher links-liberale Spektrum in einem Stimmkreis zusammenzufassen und so die Wahlchancen der CSU-Kandidaten in allen anderen Stimmkreisen zu verbessern. Ob das so kommt, wird sich erst am 14. Oktober zeigen. Rechnet man die Ergebnisse der Landtagswahl 2013 auf die neuen Grenzen um, liegt klar die SPD vorne.

Dass dies für heute noch repräsentativ ist, glaubt allerdings nicht einmal der örtliche SPD-Kandidat Michael Ott. Zu viel hat sich verändert im politischen Spektrum, die SPD ist schwächer, die Grünen sind stärker geworden. Dazu kommt noch der Aufstieg der AfD, die allerdings nach allen Vorhersagen in München-Mitte nicht auf allzu viel Zustimmung stoßen dürfte. Eines aber ist klar: Sollte Ludwig Hartmann ein Direktmandat erlangen, liegt das vor allem am Zuschnitt der neuen Stimmkreise. Den einst auch die Grünen heftig kritisiert haben.

Umso unkomfortabler ist die Situation für Hans Theiss. Glaubt man den Stimmen aus der CSU, hat es in ganz Bayern niemand so schwer wie der CSU-Stadtrat und Kardiologe - weite Teile der Partei haben München-Mitte bereits abgeschrieben. Theiss reagiert mit einem ungewöhnlichen Wahlkampf - auf seinen mit vielen Rottönen gestalteten Plakaten ist die Parteizugehörigkeit erst auf den zweiten Blick zu erkennen. Das Symbol des CSU-Politikers ist ein stilisiertes Herz, was nicht nur freundlich wirken soll, sondern natürlich auch auf den bürgerlichen Beruf des Kandidaten abzielt: Arzt. Das kommt immer gut im Wahlkampf, Theiss spielt damit. Auf einem seiner Plakate ist der Politiker mit Stethoskop abgebildet, der Spruch dazu betont die Bedeutung einer guten Diagnose auch für die Politik. "Politik beleben", lautet ein weiterer Slogan, der Assoziationen an weiße Ärztekittel erzeugt.

So hätte das Ergebnis wohl ausgesehen, wenn der Stimmkreis auch schon 2013 existiert hätte:

Hans Theiss (CSU), zeigt sich mit Ministerpräsident Markus Söder. (Foto: Robert Haas)

Theiss, der mit der früheren Weltmeisterin im Kickboxen verheiratet ist, gilt als liberaler CSU-Mann, als Vertreter des Großstadtflügels. Seine Veranstaltungen sind durchaus provokant aufgezogen - als Markus Söder zu Gast war, lautete das Thema "München versus Bayern?" (was man auch als Anspielung auf die Karriere seiner bekannten Frau Christine verstehen kann). Zu einem späteren Zeitpunkt will Theiss noch Jens Spahn einladen, einen reichlich polarisierenden Gast, der gleichzeitig bekennend schwul und erzkonservativ ist. Und Bundesgesundheitsminister, für Medizin zuständig also. Auch bei Theiss steht die heiße Wahlkampfphase erst bevor. Der 40-Jährige will noch zum Haustür- und zum Nachtwahlkampf losziehen; nach den Ferien geht es mit Infoständen los. Sollte es Theiss nicht in den Landtag schaffen, gilt er als heißer Anwärter für Höheres in der CSU-Stadtratsfraktion.

Anders als Hartmann und Theiss, ist Michael Ott neu in der aktiven Politik. Der Literaturprofessor, der sich gerne sportlich auf dem Fahrrad ablichten lässt, hat bei den Kandidatennominierungen den scharfzüngigen Langzeitkandidaten Roland Fischer aus dem SPD-Stadtvorstand ausgestochen und wagt sich für die SPD ins Rennen. Seine Sorge: Dass sich SPD und Grüne im Stadtzentrum gegenseitig die Stimmen abnehmen, obwohl sie doch auf vielen Themenfeldern gar nicht so weit auseinander sind. "Wir brauchen mehr Radverkehr", sagt der 54-Jährige bei einer Tour quer durch den Stimmkreis München-Mitte - vom Gollierplatz im Westend bis nach Haidhausen. Von Verkehrsthema zu Verkehrsthema, die Sendlinger Spange ist dabei, der Goetheplatz als Beispiel für das Münchner U-Bahnsystem und die Baustelle des Arnulfstegs. Vor allem Genossen radeln mit, die Tour wurde nicht groß plakatiert.

Michael Ott (SPD) radelt mit Genossen. (Foto: Catherina Hess)

Ott hat seinen Wahlkampf für autofrei erklärt, zumindest was die eigene Person angeht. Das hat ihm angesichts der kurzen Distanzen und der hervorragenden MVV-Versorgung Spott eingebracht, er selbst sieht die Aktion aber eher auch mit einem Augenzwinkern. Ruhig und sachlich erklärt er die Schwerpunkte der Münchner Verkehrsthemen - vieles davon, aber das ist bei allen Wahlkämpfern so, fällt nicht in die Kompetenz des Maximilianeums, sondern des Münchner Rathauses. Ott hat bereits mehrere thematische Stadtteilspaziergänge absolviert, teilweise 70 bis 80 Leute hätten teilgenommen, freut sich der Kandidat. Veranstaltungen sind unter anderem mit Sigmar Gabriel und Christian Ude geplant. "Es geht erst noch richtig los", sagt der SPD-Mann. Zwar sprechen die Prognosen derzeit nicht unbedingt für die SPD. In München-Mitte findet dennoch ein heißer Dreikampf um das Direktmandat statt, Ott hat keineswegs eine Außenseiterrolle. Denkbar ist alles im 109er: Auch dass der CSU-Kandidat der lachende Dritte ist, weil sich Grüne und SPD gegenseitig die Stimmen wegschnappen.

Mit im Rennen um München-Mitte sind auch zwei Stadträte und eine einst für die Grünen kandidierende Landtagsabgeordnete: Brigitte Wolf (Linke), Mario Schmidbauer (Bayernpartei) und die nun der Partei "mut" zugehörige und mit einer gewissen Prominenz ausgestattete Claudia Stamm. Die AfD schickt mit Bruno Fuchert einen Kandidaten ins Rennen, dessen ultrarechte Gesinnung aus nahezu jedem seiner hasserfüllten Facebook-Einträge spricht. Da ist von Ausbeutung und Untergang des deutschen Volkes die Rede, es geht um "Scharia-Vergewaltigungen" und afrikanische "Irrenhäuser", die angeblich ihre Tore Richtung Deutschland geöffnet haben. Ein Jargon, der typisch für sehr radikale Kreise weit außerhalb des bürgerlichen Spektrums ist. Fuchert sieht sich im Wahlkampf als Opfer der "Demokratie-Diktatur Deutschland" - offenbar wurden einige seiner Plakate überklebt.

© SZ vom 01.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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