Wirtschaft:Zurück in die Zukunft

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Seit Jahrzehnten zieht es die Forscher von Ottobrunn und Taufkirchen aus in ferne Galaxien. (Foto: dpa)

1958 ließ sich der Luft- und Raumfahrtpionier Ludwig Bölkow in Ottobrunn nieder. Jahrzehntelang entwickelten dort MBB und später EADS Hubschrauber und Triebwerke, dann folgte der Niedergang. Jetzt soll es nach dem Willen der Staatsregierung wieder nach oben gehen

Von Stefan Galler, Ottobrunn/Taufkirchen

Sie nannten ihn einen Technosophen, was daher rührte, dass dieses Genie und Multitalent bei aller Progressivität zumindest im höheren Alter nie die Risiken und Folgen des technischen Fortschritts für die Menschheit außer Acht ließ: Der 2003 gestorbene Ludwig Bölkow, Ingenieur, Erfinder und Wegbereiter der deutschen Luft- und Raumfahrt, hätte sich bei allem Weitblick wohl nie träumen lassen, dass an seiner früheren Wirkungsstätte schon bald eine neue Fakultät für Luftfahrt, Raumfahrt und Geodäsie der Technischen Universität München (TUM) entstehen wird.

700 Millionen Euro will der Freistaat Bayern in den Luft- und Raumfahrtstandort Nummer eins in Deutschland auf dem Gebiet der Gemeinden Ottobrunn und Taufkirchen investieren. Genau dort, wo sich Ludwig Bölkow 1958 mit seiner Firma niederließ, die er bereits drei Jahre nach dem Krieg in Stuttgart gegründet hatte.

Es ist eine zukunftsweisende Entscheidung der Staatsregierung: Im Zuge ihres auf zehn Jahre angelegten Förderprogramms "Bavaria One", das auch die Entwicklung von Weltraumrobotern, Trägerraketen und eine Teststrecke für den Hyperloop beinhaltet, wird der Technik- und Innovationspark (Tip) mit dem Ludwig-Bölkow-Campus auf dem heutigen Airbus- und IABG-Gelände zu Europas größter Fakultät für Luft- und Raumfahrt ausgebaut.

Vorzeigeobjekt: Ludwig Bölkow (rechts) demonstriert dem damaligen Bundeskanzler Ludwig Erhard bei einem Besuch in Ottobrunn 1965 Deutschlands größte Vakuum-Erprobungskammer für Trägerraketen. (Foto: dpa)

Ein neues Zeitalter

Knapp 2000 Studienplätze sollen auf dem neuen Campus entstehen, zeitgleich plant der Landkreis München gemeinsam mit Airbus dort ein Gründerzentrum mit Schwerpunkt Luft- und Raumfahrt, Mobilität der Zukunft, Sicherheit und Industrie 4.0.

Ein neues Zeitalter beginnt auf dem Gelände, wo unter Bölkows Regie einst der Airbag entwickelt wurde, der heute zu den Sicherheitsstandards in allen Autos gehört. Nicht die einzige Innovation, die ihren Anfang hier nahm: Die ursprünglichen Pläne für die Magnetschwebebahn Transrapid entstanden ebenso auf dem Firmengelände wie Ideen für die ersten Elektroautos, die bereits 1972 während der Olympischen Sommerspiele in München als Begleitfahrzeuge unterwegs waren. Sie waren aus Kunststoff, hatten 60 PS und fuhren bis zu 80 Stundenkilometer schnell.

"Bavaria One"
:Mit neuem Schub ins All

Ottobrunn und Taufkirchen sollen zum Luft- und Raumfahrtstandort Nummer eins werden. Das bayerische Kabinett beschließt, in den kommenden Jahren 700 Millionen Euro in die dort geplante TU-Fakultät zu investieren.

Von Lars Brunckhorst

Der oftmals beschworene "Geist von Ottobrunn" habe all diese Innovationen möglich gemacht, sagen Techniker und Ingenieure, die damals dabei waren, bis heute. Und diese besondere, in die Zukunft gerichtete Produktivität war vor allem dem Chef geschuldet. Ludwig Bölkow, 1912 in Schwerin geboren, hatte schon als Kind Spaß an der Luftfahrt.

Sein Vater war Werkmeister bei Fokker, der kleine Ludwig durfte oft mit auf den Flugplatz und in den Maschinen herumklettern, wie Bölkow in seiner 1994 erschienen Biografie erzählt. Er studierte Flugzeugbau in Berlin, entwickelte während des Zweiten Weltkriegs bei der Messerschmitt AG das erste düsengetriebene Jagdflugzeug der Welt. Nach dem Krieg folgte die Gründung seines eigenen Unternehmens, dann der Umzug nach Ottobrunn, in eine Gemeinde, die selbst erst drei Jahre zuvor gegründet worden war. Am neuen Standort entstand in mehreren Fusionsschritten bis 1969 die Messerschmitt-Bölkow-Blohm GmbH (MBB).

Bis zum Ruhestand des Chefs war MBB zu einem der weltweit führenden Unternehmen in der Luft- und Raumfahrt aufgestiegen. In dieser Zeit hatte man etwa den Hubschrauber Bo 105 mit gelenklosem Rotorkopf entwickelt und die deutschen Beiträge zu multinationalen Projekten wie dem Tornado und Trägerraketen geleistet.

MBB ging Ende der Achtzigerjahre in der Daimler Benz Aerospace AG (Dasa) auf und wurde im Jahr 2000 zusammen mit französischen und spanischen Unternehmen Teil der European Aeronautic Defence and Space Company (EADS). Nicht zuletzt der Erfolg von Eurocopter, der Hubschrauber-Sparte der Dasa, führten zu einem wahren Höhenflug des Standorts Ottobrunn/Taufkirchen. Damals arbeiteten alleine 6000 Ingenieure und Facharbeiter auf dem Firmengelände am Haidgraben.

Es folgte die globale Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 und ein Auftragsrückgang für die Produktionsstätten vor den Toren Münchens um rund zwei Drittel. Arbeitsplätze wurden verlegt, alleine 2400 Stellen in der Militärluftfahrt nach Manching. Und das Unternehmen kam nicht zur Ruhe: Der Eurocopter-Geschäftsbereich zog nach Donauwörth, dagegen siedelten 1150 Mitarbeiter nach der Schließung der EADS-Rüstungstochter Cassidian von Unterschleißheim nach Ottobrunn um.

Ausbildung für Piloten und Ingenieure

Zum Jahreswechsel 2013/14 übernahm EADS den Namen der Tochterfirma Airbus - und während die Konzernleitung in der Folgezeit immer mehr Geschäftsbereiche nach Frankreich verlagerte, arbeitete die bayerische Politik längst daran, den Technologiestandort im Landkreis München zu retten.

2013 wurde auf dem Areal der Airbus Defence and Space der Ludwig-Bölkow-Campus aus der Taufe gehoben, der alleine in den ersten fünf Jahren mit 20 Millionen Euro an Fördergeldern unterstützt wurde. Hier arbeiten Forscher an innovativen Projekten wie hybriden und vollelektrischen Antrieben für Luftfahrzeuge oder der Idee, aus Mikroalgen Biokerosin zu gewinnen. Und seit 2015 bietet der Campus in Zusammenarbeit mit der Universität der Bundeswehr Neubiberg einen Bachelor-Studiengang "Aeronautical Engineering" an, also eine duale Ausbildung von Offiziersanwärtern zu Piloten und Luftfahrtingenieuren.

Nun also der nächste Schritt in eine womöglich glorreiche Zukunft des Innovationsstandorts: die Luft- und Raumfahrtfakultät. Es wird sich weiterhin viel bewegen an der Grenze zwischen Ottobrunn und Taufkirchen. Vor allem nach oben.

© SZ vom 06.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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