Lebensmittel:"Senf kauft man erst ab 40"

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Thomas Müller hat eine Ausbildung zum Senfsommelier, seine Berufsbezeichnung ist aber seit 20 Jahren "Senfmeister". (Foto: Claus Schunk)

Als Senfmeister ist Thomas Müller dafür verantwortlich, dass die Produkte der Firma Develey immer gleich schmecken - die Kunden wollen es so. Ab und zu darf er aber auch etwas Neues kreieren - für jüngere Leute, die als Zielgruppe noch viel Potenzial haben.

Von Iris Hilberth, Unterhaching

Wenn es um Essen und Genuss geht, sind Sommeliers meist nicht weit. Die Spezialisten in Lebensmittel-Fragen geben ihre Expertise längst nicht mehr nur bei Weinproben ab, sondern kennen sich - je nach Branche - auch richtig gut aus mit der Veredelung von Käse, der Wirkung der Brauweise auf den Biergeschmack oder können gar die Inhaltsstoffe einer Schokolade herausschmecken. Denn neben dem Mundschenk für edle Weine gibt es heutzutage auch Sommeliers für vieles, was auf den Tisch kommt, sogar für Mineralwasser, Reis und Gewürze. Aber gibt es auch solche Spezialisten für Senf?

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Beim Stichwort Senfsommelier muss Thomas Müller etwas schmunzeln. Tatsächlich hat er einen solchen Kurs absolviert. Aber eigentlich nennt sich der Experte für den optimalen Geschmack, die richtige Mischung und die passende Schärfe bei der Firma Develey "Senfmeister". Und das schon seit mehr als 20 Jahren. Müller hat an der Fachhochschule Weihenstephan in Freising Lebensmitteltechnik studiert, seit dem Jahr 2000 ist der heute 56-Jährige in dem Unterhachinger Unternehmen für den Senf verantwortlich. Keine kleine Aufgabe: Unter dem Dach des Familienunternehmens Develey versammeln sich mittlerweile vom Bautzener Senf über Löwensenf bis hin zu Reine de Dijon jede Menge Würzpasten bekannter Marken und allein bei Develey selbst kommen von scharf über mittelscharf bis zu verschiedenen süßen Geschmacksrichtungen allerlei Mixturen ins Glas und in die Tube. Jetzt, kurz vor Weihnachten, hat Müller noch eine zusätzliche Winteredition gemischt: Süßen Senf mit Apfel und Röstzwiebeln. Er hat ihn an diesem Vormittag am Hauptsitz des Unternehmens in Unterhaching zur Verkostung mitgebracht.

Bei der Senfverkostung werden auch ungewöhnliche Sorten aufgetischt. (Foto: Claus Schunk)

Wie oft Senfmeister Müller die neueste Kreation verkostet hat, bis sie so schmeckte wie sie jetzt auf dem Markt ist, kann er selbst auch nicht sagen. Das Unternehmen allerdings wirbt damit, dass ein Senf und die verwendeten Rohstoffe in seinem Hause durchschnittlich 43 Analysen und zwölf Verkostungen durchläuft, bevor er auf dem Tisch steht. Vor allem muss ein Senfmeister darauf achten, dass ein Senf immer genau so schmeckt, wie der Kunde erwartet, dass er schmecken muss. Zumindest bei den Klassikern wie dem Mittelscharfen oder dem Weißwurstsenf sind keine Experimente gewünscht.

"Die meisten kaufen den Senf, der schon bei den Eltern und meist auch bei den Großeltern gegessen wurde."

Denn beim Lebensmittel Senf setzen die Verbraucher auf Bekanntes. In dem Unterhachinger Unternehmen weiß man: "Die meisten kaufen den Senf, der schon bei den Eltern und meist auch bei den Großeltern gegessen wurde", sagt Carina Wanner, die Marketingleiterin. Das ist auch mit ein Grund, warum Develey bei der Übernahme regionaler Senfmarken stets den Namen und die Rezeptur beibehalten hat. Im Westen Deutschlands mögen die meisten gerne scharfen Senf, die Österreicher wollen ihren Senf in der Tube, in Ostdeutschland greift man nach Mittelscharfem im Becher und im Süden lieben die Leute süßen und mittelscharfen Senf im Glas.

Die verschiedenen Senfsaaten unterscheiden sich in Geschmack und Farbe. (Foto: Claus Schunk)

Dabei kommt es immer auf die richtige Mischung der Senfsaaten an. Die gelbe ist mild, würzig und verspricht bleibende Schärfe. Die braune beschreibt Müller als sehr scharf, stechend und von flüchtiger Schärfe. Dann gibt es noch die Orientalsenfsaat, die goldgelb bis bräunlich-gelb aussieht und ebenfalls sehr scharf und zudem würzig schmeckt. Develey bezieht seine Senfsaaten aus Kanada, Osteuropa und Deutschland. Und nicht immer schmecken sie gleich, selbst innerhalb einer Lieferung kann es Unterschiede geben. Firmenmitinhaber und Geschäftsführer Michael Durach testet selbst regelmäßig, ob der Geschmack stimmt, wie Müller berichtet. "Einmal habe ich ihm vier Kostproben vorgelegt und er sagte: sehr gut, sehr gut, sehr gut und bäh." Es hatte an der Saat gelegen, und Müller war das damals sehr peinlich.

Auf dem Feld verwechseln manche Senf gerne mal mit Raps. Tatsächlich sind die Pflanzen verwandt. (Foto: Christian Endt)

Was sonst noch reinkommt in die Würzpaste ist klar: Trinkwasser, Branntweinessig, Salz, Gewürze und, außer beim scharfen Senf, immer auch Karamellzuckersirup. So in etwa schätzten das Lebensmittel auch bereits die Römer, vermutlich schon 70 nach Christus. Sie sollen den Senf auch mit Honig vermischt haben. Als Würzmittel kannte man das Senfkorn aber schon viel früher in China. Es verbreitete sich über die Seidenstraße nach Indien und Arabien und wurde zunehmend als Heilmittel, geradezu als Allheilmittel verwendet. "Senf hat eine stimulierende Wirkung, die ätherischen Öle wirken anregend", erläutert Senfmeister Müller und berichtet von Fußbädern mit Senfmehl. Allerdings sollte man den Senf wohldosiert verwenden, da Senfmehl auf der Haut auch sehr aggressiv wirke.

Senföle haben eine gesundheitsfördernde Wirkung

Bekannt ist zudem die verdauungsunterstützende Wirkung von Senf. Vor einigen Jahren hat eine Studie an der Universität Freiburg sogar nachgewiesen, dass der Konsum von scharfem Senf vor krebserregenden Stoffen schützen kann. Wie Institutsleiter Volker Mersch-Sundermann damals erläuterte, schützten die Senföle vor den erbgutschädigenden Wirkungen der beim Grillen und Braten von Fleisch entstehenden polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen. Und je schärfer der Senf, desto besser die Wirkung. Senföle finden sich übrigens auch in Meerrettich, Radieschen und Kresse. Die Senfpflanze ist verwandt mit Raps, Kohl und Rettich.

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Allerdings weiß Thomas Müller auch, dass Senf ein "sehr lebendiges" Lebensmittel ist. Er verdirbt nicht, aber seine Schärfe lässt mit der Zeit nach. Die hängt auch von der Temperatur ab. Gekühlter Senf ist schärfer. So stellt das Unternehmen öfters mal im Winter fest, dass es Reklamationen gibt, weil der mittelscharfe Senf zu scharf sei. Denn nur bei hohen Temperaturen sind Senföle flüchtig. Ist also der Senf zu scharf: raus aus dem Kühlschrank. Und noch einen Tipp hat Müller parat, über den sich Kunden meist erst einmal wundern: Die Senftube unbedingt vor Gebrauch schütteln, weil sich bei der Lagerung die Flüssigkeiten absetzen.

An genügend Senfsaaten heranzukommen ist für viele Hersteller aktuell nicht so einfach. Insbesondere die braunen Körner sind rar, die Versorgungslage ist angespannt und die Preise sind hoch. "Sie sind um ein Vielfaches gestiegen", sagt Marketingleiterin Wanner und begründet damit auch den Preisanstieg für Senf im Supermarkt. Verantwortlich für den Engpass ist zum einen der russischen Krieg gegen die Ukraine, zum anderen eine Dürre in Kanada. Allerdings könne Develey aufgrund langer Lieferverträge weiterhin wie gewohnt produzieren, "die Silos sind voll", sagt Wanner.

"Außerhalb von Bayern wissen die meisten noch nicht einmal, wie man Develey ausspricht", sagt Marketing-Leiterin Carina Wanner. (Foto: Claus Schunk)

Pro Kopf wird in Deutschland im Jahr ein Kilo Senf gegessen. Das sind vier Gläser voll mit dieser gelben oder braunen Gewürz-Paste. Verglichen mit Ketchup ist das allerdings recht wenig, denn davon verbraucht jeder durchschnittlich etwa die sechsfache Menge. "Senf kauft man erst ab 40", sagt Marketingleiterin Wanner, die gerade eine Kampagne gestartet hat, um den Senf aus Unterhaching bekannter und attraktiver für jüngere Verbraucher zu machen, und zwar nicht nur zur Wurst, sondern auch als Würzmittel für allerlei Speisen. Dabei wird es auch um den Namen gehen. Denn sie hat festgestellt: "Außerhalb von Bayern wissen die meisten noch nicht einmal, wie man Develey ausspricht."

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