Literatur:Die Liebe zum Buch und zum gesprochenen Wort

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Zuhören, radeln, denken: Dank ihres Konzeptes ist die Unterhachinger Lesenacht potenziell gut für Geist und Körper - und das seit 20 Jahren. (Foto: Angelika Bardehle)

Dirk Liesemer, Martina Bogdahn und andere Autoren sind am Samstag bei der 20. Lesenacht in Unterhaching zu erleben. Wer alle hören will, muss zwischen mehreren Veranstaltungsorten pendeln.

Von Udo Watter, Unterhaching

Es gab eine Zeit, da wurde in den Kaffeehäusern die Welt neu erfunden, und zwar ganz ohne W-Lan und Laptops: Die Zeit der Belle Epoque an der Wende zwischen 19. und 20. Jahrhundert, als sich in den Cafés europäischer Metropolen junge Genies, Exzentriker und Großsprecher trafen, debattierten, beobachteten und schrieben. Der Journalist Dirk Liesemer beschreibt diese Kunstszene in seinem viel beachteten, im November 2023 erschienenen Buch "Café Größenwahn" - und bei der Unterhachinger Lesenacht wird er mithilfe ausgewählter Passagen diese vorstellen, in atmosphärischer Dichte das Bild einer untergegangenen Epoche nachzeichnen.

"Café Größenwahn" - so nannte man um die Jahrhundertwende die Kaffeehäuser "Griensteidl" in Wien, das Berliner "Café des Westens" und das in München beheimatete "Café Stefanie". Dort, in der bayerischen Landeshauptstadt, lebt heute auch Liesemer, der sein Buch so beginnen lässt: "Wer an der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert erfahren wollte, wohin sich die Welt bewegt, musste ins Kaffeehaus."

Wer nun in den Zwanzigerjahren des 21. Jahrhunderts erfahren will, wohin sich die Hautevolee der deutschen Literatur bewegt, der muss nicht zwingend am Samstag, 4. Mai, nach Unterhaching kommen - das wäre eine leicht größenwahnsinnige Behauptung - gleichwohl ist die Lesenacht für Freunde guter Sachbücher, anspruchsvoller Romane und Krimis eine schöne Gelegenheit, einen Abend lang der Liebe zum Buch und zum gesprochenen Wort zu frönen, dabei auch noch unterwegs zu sein und mutmaßlich gut unterhalten zu werden.

Dirk Liesemer wird in Unterhaching von einer Zeit erzählen, in der die Welt in den Kaffeehäusern neu erfunden wurde. (Foto: Andreas Unger)

Neben Liesemer kommen noch eine Reihe anderer Autoren und Autorinnen in den Münchner Süden und stellen ihre Werke an verschiedenen Schauplätzen im Unterhachinger Ortszentrum vor. Es ist die mittlerweile 20. Auflage der Veranstaltung, für die Christine Helming von der Buchhandlung Helming & Heuser federführend verantwortlich zeichnet - verlässlich unterstützt von ihrem Mann Gerhard. "Wir sind schon ein wenig stolz, vor allem aber glücklich darüber, die 20. Lesenacht veranstalten zu können", freut sich Christine Helming.

Das Konzept hat sich seit der Premiere 2005 gar nicht so sehr verändert. Es ist quasi ein bunt gemischter Autoren- und Leseabend, ein durchaus besonderes Format, das nicht zuletzt mehr Leben in die eher verschlafene Ortsmitte der 27 000 Einwohner-Gemeinde bringt. Etliche der Besucher nutzen das Fahrrad, um zwischen 19 und 23 Uhr von einem Leseort zum anderen zu fahren, dazu gehören unter anderem die Gemeindebücherei, das Heimatmuseum, die VHS oder der kleine Saal im Kubiz.

Das Programm ist auch heuer wieder vielfältig und das Niveau dem bewährten Konzept gemäß zwar anspruchsvoll, aber nicht zu abgehoben oder Gefahr laufend, intellektuell zu überfordern. Im Fokus steht das Entertainment, der unterhaltsame, abwechslungsreiche Charakter literarischer Genres. Und dazu gehört auch, dass die Protagonisten des Abends versiert vorzutragen wissen - gewöhnlich zweimal am Abend an verschiedenen Schauplätzen. "Die Autoren sollten das schon rüberbringen können", erklärt Christine Helming. Auch sie hat, so erzählt sie, schon in den vergangenen Jahren den ein oder anderen tollen Schreiber erlebt, der als Vorleser suboptimal agierte. Das war aber eher die Ausnahme, die Unterhachinger Lesenacht hat auch bereits zahlreiche (und prominente) Entertainer erlebt.

Heuer wird neben Liesemer unter anderem Martina Bogdan aus ihrem Erstlingswerk lesen: "Mühlensommer". Darin erzählt die in Mittelfranken geborene und in München lebende Autorin, die eigentlich Fotografin ist , warmherzig und humorvoll von einer Frau und ihrem Leben zwischen zwei Welten: von einer Jugend auf dem Land, einer Flucht in die Stadt und einer folgenreichen Rückkehr. "Man weiß nie, wo es hingeht im Leben, aber man weiß immer, wo man herkommt", ist die ideelle Erfahrung, die dem Buch innewohnt. "Sie wird ja gerade sehr gepusht", ist Helming auf Martina Bogdahn gespannt.

Erzählt in ihrem Buch "Mühlensommer" vom Leben zwischen zwei Welten: Martina Bogdahn. (Foto: Beppo Minx)

Das gilt auch für den Auftritt von Emran Feroz, der aus seinem Buch "Vom Westen nichts Neues - ein muslimisches Leben zwischen Alpen und Hindukusch" liest und dabei gefährliche Klischees des Westens über die muslimische Welt entschlüsseln will. "Das hört sich sehr gut an", meint Helming. Dazu gibt es am Samstagabend noch die Option, sich in zwei Krimis hineinzuhören: Guido Buettgens "Champagnergrab", der in Oberbayern spielt, und Anette Hinrichs "Tod in den Fluten", dessen Tatort das andere Ende Deutschlands, die Flensburger Förde, ist.

Ein Mathematiker und eine Kautrainerin sind unter den Autoren

Dazu lesen noch der Mathematiker Peter Gritzmann, aus seinem Buch "Plausibel, logisch, falsch", und Abnehmcoach und Kautrainerin Barbara Plaschka aus ihrem Werk "Kau dich schlank". Der eine zeigt auf, dass der gesunde Menschenverstand weit beschränkter und anfälliger für Täuschungen ist, als uns bewusst ist. Die andere will demonstrieren, dass statt Verbotsregeln und Kalorienzählerei "Kautraining die Wunderwaffe für die schlanke Linie" ist. Nicole Wellemin stellt überdies mit dem Roman "Späte Ernte" einen erstaunlichen Zusammenhang zwischen Schicksal, Schuld und dem Anbau alter Apfelsorten in Südtirol her. Zudem präsentiert die VHS Unterhaching die Ergebnisse eines kreativen Schreibworkshops und eines Workshops zum Thema "Ein Lied aus meiner Sprache". Wie immer dabei: Friedhelm Rensch, der zu später Stunde Weltliteratur vorstellt. Heuer steht der vor 100 Jahren verstorbene Franz Kafka im Mittelpunkt.

Die Veranstaltungen dauern jeweils knapp 45 Minuten, beginnend mit der vollen Stunde. So besteht genug Zeit, zwischen den Auftrittsorten zu wechseln. "Wir bieten an den einzelnen Leseorten keine Büchertische mehr an, da mit dem Verkauf oft zu viel Zeit verging. Wer gern ein Buch signieren lassen will, soll es sich bitte bereits vor der Lesenacht besorgen", erklärt Helming.

Karten im Vorverkauf gibt es in der Gemeindebücherei, der Buchhandlung Helming & Heuser sowie im Kulturamt im Kubiz und am Veranstaltungstag an allen Lese-Schauplätzen. Weitere Informationen gibt es unter www.unterhachinger-lesenacht.de

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