Gerichtsverfahren:Der Einheimische und sein Schwager

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Die Gemeinde Unterföhring hat bereits drei Wohnungen aus dem Einheimischenmodell - hier ein Blick auf das Wohngebiet - wieder zurückgekauft, weil die Käufer vorzeitig ausgezogen sind. (Foto: Florian Peljak)

Ein Unterföhringer erwirbt eine verbilligte Wohnung von der Gemeinde und verpflichtet sich, darin 15 Jahre zu wohnen. Doch dann lässt er nach der Hälfte der Frist jemanden aus dem Familienkreis einziehen. Das Rathaus fordert die Rückabwicklung des Kaufs - doch so einfach ist die Sache nach Ansicht des Richters nicht.

Von Annette Jäger, Unterföhring

Das sogenannte Einheimischenmodell ist eine attraktive Möglichkeit, an Wohneigentum zu gelangen: Ortsansässige kaufen dabei ein Grundstück, ein Haus oder eine Wohnung zu vergünstigten Konditionen von der Gemeinde, dafür müssen sie sich an vertragliche Vereinbarungen halten. Die Gemeinden wollen mit dem Modell Einheimischen die Chance geben, trotz der hohen Immobilienpreise langfristig in der Kommune zu leben. Allerdings halten sich die Käufer nicht immer an die Klauseln im Vertrag. Das hat die Gemeinde Unterföhring in den vergangenen Jahren mit ihrem Einheimischenmodell erlebt. Ein Fall landete jetzt vor dem Oberlandesgericht München und zeigt: Sozialgebundenen Wohnraum langfristig sicherzustellen, ist kompliziert und voller Fallstricke.

Einen Mix aus Reihenhäusern und Wohnungen hat die Gemeinde Unterföhring vor mehr als 15 Jahren über ein Einheimischenmodell an Ortsansässige verkauft. Die Käufer gingen einen Vertrag mit der Gemeinde ein, der unter anderem vorsah, mindestens 15 Jahre lang selbst in der Immobilie zu wohnen, sie nicht zu vermieten oder zu verkaufen. Doch Lebensentwürfe ändern sich, in manchen Fällen sind die Bewohner vor Ablauf der 15-Jahres-Frist ausgezogen, manche haben die Wohnung dann vermietet. Wenn sich die Bewohner vertragswidrig verhalten, könne die Gemeinde die Wohnung wieder zurückkaufen, erläutert Bauamtsleiter Lothar Kapfenberger. In drei Fällen ist das laut Kapfenberger bereits erfolgt, zwei davon wurden vor Gericht verhandelt, in einem Fall hat man sich außergerichtlich geeinigt.

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In einem vierten Fall, der am Dienstag vor dem Oberlandesgericht verhandelt wurde, hatte sich die Gemeinde nun ein Grundsatzurteil erhofft. Für die Kommune geht es um die Frage, welche Bedeutung die vertraglichen Vereinbarungen haben. Wenn Eigentümer damit durchkommen, sich nicht an die Auflagen zu halten, könne man sich ein solches Einheimischenmodell "auch schenken", sagt Kapfenberger.

Doch ein Grundsatzurteil wollte der Vorsitzende Richter Gregor Vollkommer nicht sprechen. Für ihn ging es hier um einen Einzelfall und noch dazu einen "blöden", wie er es ausdrückte. Im vorliegenden Fall war der von der Gemeinde beklagte Wohnungseigentümer 2016 aus der Wohnung ausgezogen, etwa nach der Hälfte der 15-Jahres-Frist. Er überließ die Wohnung seinem Schwager gegen Zahlung der Nebenkosten. Der Schwager hatte gerade sein Studium beendet, verdiente rund 25 000 Euro im Jahr und fand keine Wohnung in München. Die Wohnungsüberlassung war in den Augen der Gemeinde Unterföhring nicht erlaubt, weshalb sie von ihrem Rückkaufsrecht Gebrauch machen möchte.

Doch so eindeutig ist die Sachlage für den Richter nicht. Beim Lesen der Vertragsklauseln kam er "ins Stutzen", wie er sagte. Für ihn erschienen sie zum Teil "komisch" - etwa, dass die Gemeinde die Mitbenutzung der Wohnung durch die Ehefrau gestatten müsse - und auch widersprüchlich, denn eine Klausel hebe eine andere wieder auf. Unklar war ihm auch, warum unter bestimmten Umständen eine Wohnung durchaus engen Familienmitgliedern überlassen werden könne, nicht aber dem Schwager. Die Regelungen seien "nicht sehr glücklich gefasst", sagte der Richter.

Im Raum steht ein Vergleich zwischen Gemeinde und Eigentümer

Mit Klauseln würden immer Unklarheiten einhergehen, räumte der Anwalt der Gemeinde ein. Im Kern gehe es doch darum, was damit erreicht werden sollte: nämlich zum Beispiel eine vergünstigte Wohnung nicht ganzen "Familienclans" zu überlassen, sondern Wohnraum zu sichern für jene, die "schutzbedürftig" seien und die die Wohnung möglicherweise "dringlicher" bräuchten. Auf der Liste der Gemeinde stünden 50 Anwärter.

Der Senat lud schließlich beide Parteien zu einer Vergleichslösung ein. "Individuelle Komponenten" seien dabei zu berücksichtigen, etwa dass die Nutzung durch den Schwager "nah dran an der erlaubten Nutzung" sei, und andererseits, dass die Gemeinde "großes politisches und gesellschaftliches Interesse" habe, bezahlbaren Wohnraum zu erhalten. Denkbar ist für den Senat ein Modell, bei dem die Gemeinde die Wohnung mietet und diese für weitere zehn Jahre belegen darf, plus eine Form von Ausgleichszahlung durch den Eigentümer. Über ein Vergleichsangebot muss jetzt der Unterföhringer Gemeinderat entscheiden, am 18. November treffen sich die Parteien wieder vor Gericht.

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