Negativ-Preis:"Die Tiere werden präpariert, als wären sie keine Lebewesen"

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Sind Experimente mit Mäusen unerlässlich für den medizinischen Fortschritt? Oder doch eher verzichtbar? (Foto: imago stock&people/imago/Westend61)

Der Verein "Ärzte gegen Tierversuche" zeichnet 2024 das absurdeste Experiment aus. Der LMU-Campus in Martinsried ist gleich zweimal nominiert, in den Fällen geht es um geköpfte Kaulquappen und Mäuse in virtuellen Räumen.

Von Celine Imensek, Planegg

In diesem Jahr vergibt der Verein "Ärzte gegen Tierversuche" zum ersten Mal einen Negativpreis für das absurdeste Experiment mit Tieren. Unter den fünf zur Auswahl stehenden Kandidaten finden sich gleich zwei vom Martinsrieder Campus der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). Bisher zeichnete der Verein Untersuchungen aus, die besonders grausam waren. Ab jetzt wolle man an abwegigen Beispielen zeigen, was hinter verschlossenen Labortüren geschieht, so der Verein in einer Pressemeldung.

Gaby Neumann überrascht es nicht, dass mehr als einer der Negativ-Kandidaten aus dem Raum München kommt, hinzu kommt ein Experiment aus Regensburg. "Leider ist Bayern eine Hochburg für Tierlabore und solche Versuche", konstatiert die Tiermedizinerin und Pressesprecherin von "Ärzte gegen Tierversuche". In der Datenbank, in welcher der Verein beispielhaft Fälle dokumentiert, ist München mit 312 Versuchen Spitzenreiter. Momentan umfasst die Sammlung mehr als 5500 Einträge. Neumann sagt aber, dass in Deutschland jährlich mehrere tausende solcher Studien stattfinden. "Es gibt auch Tierversuche, bei denen die Intention der Forscher einigermaßen nachvollziehbar ist. Aber bei den fünf nominierten Experimenten fragt man sich, was das überhaupt soll", erklärt Neumann. Die LMU schreibt dazu in einer Stellungnahme, dass es ohne Versuche an Tiermodellen in der Grundlagenforschung oft keine Fortschritte in der Human- und Tiermedizin gäbe. Zudem lässt sie in Bezug auf die konkrete Nominierung erklären: "Wir verwahren uns gegen Begriffe wie ,sinnlos' und ,absurd'."

Tierexperimente nur mit Genehmigung

Die Fakultät für Biologie in Martinsried hing für einen ihrer Versuche Rennmäuse in einem Geschirr auf, sodass deren Beine eine Kugel berührten. Dann ließen die Wissenschaftler auf den Flächen um die Kugel einen virtuellen Gang projizieren. Die Tiere mussten durch diesen künstlich erzeugten Raum laufen und wurden dafür mit Futter belohnt. Mit diesem Versuch wollten die Forscher untersuchen, wie Nagetiere kurze Zeitspannen abschätzen können. Im Artikel zum Experiment beschreiben die beteiligten Wissenschaftler Nagetiere als "eine der wichtigsten Tierordnungen für Neurowissenschaften". Neumann sieht das anders: "Ergebnisse aus Tierversuchen lassen sich nicht auf Menschen übertragen", so die Ärztin. Es gebe Methoden, die besser geeignet seien, sinnvolle Erkenntnisse zu liefern. Auch eine in der Wissenschaft gängige Redewendung stößt in dieselbe Richtung: "Mice tell lies", zu deutsch: Mäuse lügen. Dazu lässt die LMU wissen, dass die zuständigen Behörden eine notwendige Genehmigung nur vergeben würden, wenn ein Versuch wissenschaftlich unerlässlich ist und nicht durch tierversuchsfreie Alternativen ersetzt werden kann.

Bei dem anderen Fall vom Campus Martinsried wird jedoch ein zweiter Kritikpunkt deutlich. Um die Umsetzung visueller Reize zu untersuchen, köpfte man Kaulquappen, öffnete deren Schädel und entfernte das Vorderhirn. Die Forscher fixierten die "semi-intakten Präparationen" und ließen um sie herum ein Streifenmuster projizieren. Die Augen der Kaulquappen-Köpfe verfolgten die schwarz-weiße Abfolge. "Die Tiere werden präpariert, als wären sie keine Lebewesen und dann nach Gebrauch weggeworfen", kritisiert Tierärztin Neumann. Das Institut begründet seinen Versuchsaufbau mit dem "besonders guten Zugang zu den neuronalen Schaltkreisen der Blickstabilisierung". Das Ergebnis der Studie habe zudem eine Relevanz, um krankhafte Störungen der Sensomotorik, zum Beispiel bei Erkrankungen des Kleinhirns, zu verstehen.

Der Verein "Ärzte gegen Tierversuche" hat laut Vereinswebsite mehr als 3930 Mitglieder, rund ein Viertel setzt sich zusammen aus medizinisch-wissenschaftlichen Mitgliedern, drei Viertel machen Fördermitglieder anderer Berufe aus. Seit 1979 setzt er sich für tierversuchsfreie Forschung ein.

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