Ortsentwicklung:Taufkirchner Wachstumsschmerzen

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Mit dem Bürgerbegehren "Kein Allgemeines Wohngebiet am Hachinger Bach" soll ein neues Quartier nordöstlich des Wolfschneiderhofs verhindert werden. (Foto: Katrin Schöber/privat)

Anwohner starten gleich zwei Bürgerbegehren gegen neue Baugebiete im Ort. Die Initiatoren argumentieren mit dem Erhalt von Grünflächen und warnen vor zusätzlichem Verkehr. Bürgermeister Sander spricht dagegen von Einzelinteressen und dem Sankt-Florians-Prinzip.

Von Patrik Stäbler, Taufkirchen

Wachstumsschmerzen sind ein Phänomen, das vor allem kleine Kinder betrifft - und ihnen sowie ihren Eltern mitunter nachts den Schlaf raubt. Zur Linderung empfiehlt die Deutsche Schmerzgesellschaft Wärme oder Kälte, sanfte Massagen sowie "tröstendes, gutes Zureden". Dass beschwichtigende Worte auch jenen Menschen in Taufkirchen helfen, die dieser Tage ebenfalls unter Wachstumsschmerzen leiden, darf indes bezweifelt werden. Denn ihre Pein ist nicht körperlich, sondern betrifft den Ort, der nach den Plänen des Gemeinderats an mehreren Stellen durch neue Baugebiete erweitert werden soll.

Hiergegen regt sich nun Widerstand in Form zweier Bürgerbegehren, für die aktuell Unterschriften gesammelt werden. Zum einen geht es um das geplante Quartier nordöstlich des Wolfschneiderhofs, wo neben einem Seniorenheim und Häusern für betreutes Wohnen auch gewöhnliche Wohnhäuser entstehen sollen. Letztere wollen die Initiatorinnen des Bürgerbegehrens "Kein Allgemeines Wohngebiet am Hachinger Bach" abwenden. Zum anderen nehmen sie die Fläche weiter östlich zwischen Dorfstraße und Postweg ins Visier. Dort soll laut dem Bürgerbegehren "Grünlandfläche an der Dorfstraße erhalten" das geplante Wohngebiet verhindert werden.

"Die Bürgerbegehren sind die letzte Chance, die wir haben", sagt Kathrin Schöber, die zu den vier Vertreterinnen zählt, die als Initiatoren auf den Unterschriftenzetteln genannt sind. Diese habe man über Ostern an sämtliche Haushalte im Ort verteilt, sagt sie. Binnen weniger Tage seien 200 Unterschriften zusammengekommen. "Die Resonanz ist extrem positiv", berichtet Schöber. Nun wolle man alsbald die nötigen gut 1600 Unterschriften sammeln, um die Bürgerbegehren im Rathaus einzureichen. An beiden Stellen gehe es darum, wichtige Grünflächen und die Frischluftschneise zu erhalten sowie eine Verkehrszunahme zu verhindern, sagt Schöber, die selbst in der Siedlung Am Heimgarten wohnt. Im Falle des dortigen Seniorenquartiers kämen der Hochwasserschutz und die Rolle des Geländes als Erholungsgebiet hinzu, während die Freifläche an der Dorfstraße auch aufgrund ihrer Lage "besonders schützenswert" sei.

Im Taufkirchner Rathaus hat man von den angestrebten Bürgerbegehren bereits gehört. Bürgermeister Ullrich Sander (parteilos) will diese aber nach eigener Aussage nicht kommentieren, "solange nichts auf dem Tisch liegt". Er betont jedoch mit Blick auf Anwohnerproteste gegen Bauvorhaben: "Ich mache das Spielchen jetzt seit 40 Jahren mit, und es ist immer das gleiche: Überall dort, wo gebaut wird, melden sich Menschen nach dem Sankt-Florians-Prinzip und sagen: Gerne woanders, aber nicht bei mir." Dies sei nicht zuletzt der "Angst vor Veränderung" geschuldet, sagt der von der CSU getragene Rathauschef. "Aber der Gemeinderat hat bei seinen Entscheidungen nicht nur Einzelinteressen von dort lebenden Personen zu berücksichtigen, sondern er muss das Gemeinwohl und den ganzen Ort betrachten."

Senioreneinrichtungen allein sind laut Sander "nicht realistisch"

Beim geplanten Quartier am Hachinger Bach komme hinzu, dass eine Bebauung bloß mit Senioreneinrichtungen "nicht realistisch" sei, sagt Sander. Schließlich gehöre das 30 000 Quadratmeter große Areal zwischen Winninger Weg und der Straße Am Heimgarten nicht allein der Gemeinde. Um hier ein Seniorenheim zu errichten, müsse die Kommune den übrigen Grundstückseignern entgegenkommen, indem eine Wohnbebauung ermöglicht werde, so der Bürgermeister. Er betont jedoch, dass dort vornehmlich zweigeschossige Ein- und Zweifamilienhäuser geplant seien, die sich an die Umgebung anpassen sollen. Die Details dazu werden im Bebauungsplan festgelegt, für den die Gemeinde aktuell noch Gutachten einholt, etwa zu Verkehr und Grundwasser.

Unter dem Motto "Grünlandfläche an der Dorfstraße erhalten" soll ein in der Planung weit gediehenes Wohngebiet gestoppt werden. (Foto: Katrin Schöber/privat)

Schon weiter gediehen ist das Verfahren für das Wohngebiet westlich der Dorfstraße. Hier läuft laut Sander nach einer abermaligen Änderung des Bebauungsplans derzeit eine Öffentlichkeitsbeteiligung, ehe der endgültige Satzungsbeschluss folgen soll. Prinzipiell sei die Bebauung der Fläche östlich des Entenbachs als Bestandteil einer größeren Entwicklung im Gebiet zwischen Münchner Straße und Tegernseer Landstraße zu sehen, deren Grundzüge der Gemeinderat schon vor Jahren beschlossen habe, sagt Sander. Überdies sei die Errichtung eines Wohngebiets an der Stelle auch wirtschaftlich sinnvoll, "weil man zunächst dort bauen sollte, wo bereits Straßen vorhanden sind". Und nicht zuletzt hat das Rathaus die Pläne bereits vertraglich mit dem Grundstückseigner fixiert. Demnach kann die Gemeinde jenes Areal am Winninger Weg erwerben, sobald der Bebauungsplan beschlossen ist.

Noch ganz am Anfang steht dagegen ein weiteres Wohnbauprojekt - und zwar auf dem Grundstück der alten Grundschule am Wald, das die Gemeinde an einen Investor verkaufen will. Bis hier die Bagger anrollen, wird es jedoch noch einige Jahre dauern, schließlich wird das alte Schulhaus zunächst als Interimsquartier für die Mittelschule benötigt, der ebenfalls ein Abriss samt Neubau bevorsteht. Und doch regt sich auch hier schon Kritik aus der Nachbarschaft. So erschien in der jüngsten Gemeinderatssitzung eine Gruppe von Anwohnerinnen und Anwohnern, um vor einer Bebauung des Areals mit drei zwölfstöckigen Hochhäusern zu warnen. Und auch in diesem Fall dürfte "tröstendes Zureden" kaum ausreichen, um die Wachstumsschmerzen zu lindern.

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