SZ-Adventskalender unterstützt Seniorenhilfe:Die Türöffner

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Sie sind einsam, verwahrlosen und sehnen sich nach dem Ende: Viele Ältere brauchen jemanden, der ihnen zur Hand geht oder sie aus einer belastenden Lage befreit. Der Sozialpsychiatrische Dienst München-Land geht auf diese Menschen zu.

Von Laura Zwerger, Ottobrunn

Die letzten Lebensjahre werden für viele Menschen zu einer schweren Prüfung. Sie leiden unter Einsamkeit und verwahrlosen. Sie sind unterernährt und von Krankheiten zermürbt. "Der Wunsch, nicht mehr zu leben, ist bei unseren Klienten hoch", erzählt Britta Depkat.

Sie betreut zusammen mit drei Kollegen im Sozialpsychiatrischen Dienst München-Land mit Sitz in Ottobrunn etwa 160 Senioren jenseits des 60. Lebensjahrs, die unter psychischen Problemen leiden.

Dabei handelt es sich nicht immer um ärztlich diagnostizierte Krankheiten. "Es geht meist mit Einsamkeit los, wenn der Partner verstorben oder die Familie nicht mehr greifbar ist", erzählt die 36-jährige Diplom-Sozialpädagogin und stellvertretende Leiterin des Dienstes. Bei ihr melden sich Senioren, wenn sie alleine nicht mehr weiter wissen; weitaus öfter aber Angehörige oder Nachbarn, die auf das besorgniserregende Verhalten einer Person aufmerksam machen wollen. "Das kann sein, wenn der Briefkasten seit Tagen überquillt oder es aus der Wohnung komisch riecht", sagt Depkat.

Verschlossene Türen und in sich gekehrte Menschen

Wird der Sozialpsychiatrische Dienst verständigt, dann versucht Depkat oder ein Kollege Kontakt mit der Person aufzunehmen. Oft stoßen sie dabei vorerst auf verschlossene Türen und in sich gekehrte Menschen. "Bei Senioren dauert es länger, bis sie sich öffnen", erzählt Depkat. "Sie haben häufig ein Problem damit, Hilfe anzunehmen - schließlich seien sie ja bisher auch so zurechtgekommen." Hat Depkat das Vertrauen gewonnen, versucht sie die Lage einzuschätzen. "Ein leerer Kühlschrank ist beispielsweise ein Warnzeichen", sagt sie. Dann stelle sich die Frage, ob die Person selbst für sich sorgen kann oder jemanden hat, der nach ihr sieht. Wenn notwendig, wird der Fall an Einrichtungen weitervermittelt, die etwa den Einkauf übernehmen oder im Haushalt Hilfe leisten. Dann sind die Klienten zumindest von einigen alltäglichen Sorgen befreit.

Herbert Kalus und Britta Depkat stehen oft vor verschlossenen Türen und in sich gekehrten Menschen. (Foto: Angelika Bardehle)

Doch oft gehen die Probleme über solche Schwierigkeiten im Alltag weit hinaus, denn ein Großteil der Senioren leidet an psychischen Erkrankungen. "Viele unserer Klienten sind depressiv ", sagt Herbert Kalus, Leiter der Dienststelle in Ottobrunn. "Suizid ist bei älteren Menschen ein großes Thema." Dazu zähle auch bereits die Entscheidung, das Leben bewusst zu beenden, indem man nichts mehr esse oder verwahrlose. "Das merkt man oft gar nicht", sagt Kalus. Auch Depkat hört von ihren Klienten häufig den gleichen Wunsch: "In der Früh nicht mehr aufzuwachen."

Um den Menschen wieder andere Perspektiven zu öffnen, bietet der Sozialpsychiatrische Dienst vor allem eines an: jemanden zum Reden. In Einzel- oder Gruppengesprächen können die Senioren dann ihre Last teilen und den Umgang mit ihrer Krankheit lernen. "Dabei geht es unter anderem auch darum, wie man noch Lebensfreude haben kann", sagt Depkat. "Man muss mit über 75-Jahren nicht zwangsläufig mit Depressionen leben."

Aber es gibt auch viele andere Erkrankungen, die die Menschen belasten, darunter etwa Wahnvorstellungen. Diesen Klienten einen Ausweg aufzuzeigen, ist besonders schwer. Depkat sagt, "Depressionen sind eine anerkannte Krankheit, da schämt man sich nicht mehr so. Schwierig wird es allerdings bei Krankheiten wie wahnhaftes Verhalten - da setzt man sich nicht in eine Gruppe, schließlich spinnen ja die Anderen." Bei psychischen Problemen ist der erste Schritt, organische Ursachen durch einen Facharzt ausschließen zu lassen. Eine Demenzerkrankung kann sich anfangs in Klagen andeuten, dass angeblich alles geklaut wird, obwohl es nur verlegt oder vergessen wurde.

Wenn jemand Sachen aus dem Fenster wirft

Leiden die Klienten auch unter Ängsten, verkompliziert dies die Lage aber oft zusätzlich: "Die Leute trauen sich dann nicht mehr vor die Türe, denken, andere schauen sie böse an", sagt Depkat. Besonders Menschen aus der Kriegsgeneration sähen sich wieder mit Gefühlen aus der Vergangenheit konfrontiert. Oft finden sich dann Personen beim sozialpsychiatrischen Dienst wieder, "die sonst durchs Raster fallen, nicht gruppenfähig sind oder die keiner versteht". Depkat und ihr Team betreuen Klienten soweit es ihnen möglich ist, stoßen sie mit ihren Kompetenzen jedoch an Grenzen, vermittelt Depkat weiter an Fachärzte oder andere Einrichtungen. Sind sie gar machtlos, weil sich ein Klient beispielsweise ihrer Angebote verweigert, dann versuchen sie zumindest, den Betroffenen im Umfeld zu helfen: "Wenn jemand in der Nacht oft schreit und Sachen aus dem Fenster wirft, dann beraten wir beispielsweise die Nachbarn darin, wie sie das besser aushalten können."

Doch auch wenn die Hilfe der Sozialpädagogen angenommen wird, können sie nicht immer rechtzeitig etwas tun - manchmal haben die eigene Abschottung oder sonstigen Schwierigkeiten, die sich aufgehäuft haben, bereits solche Ausmaße angenommen, dass fatale Konsequenzen entstehen: "Teils finden wir in einer Wohnung gelbe Briefe, die sich bereits stapeln", sagt Depkat. "Das kann dann bis zur Zwangsräumung gehen." Vor die Tür gesetzte Personen können sich bei der Gemeinde als wohnungslos melden und bekommen einen Platz in einer Sozialeinrichtung zugewiesen; allerdings sind die Kapazitäten in den Gemeinden oft erschöpft und die Senioren müssen aus ihrem gewohnten Umfeld in die Stadt ziehen. Ein Schritt, der viele aus der Bahn wirft.

Bei solch drastischen Situationen wird auch eine andere Komponente deutlich, die Senioren immer stärker betrifft: die Altersarmut. Reicht die Rente kaum für Miete und Essen, ist die Teilhabe am sozialen Leben erschwert und Betroffene ziehen sich noch mehr zurück. Hier bietet der Sozialpsychiatrische Dienst eine Möglichkeit an, sich dennoch wieder als Teil einer Gemeinschaft zu fühlen, ohne dafür zahlen zu müssen: In der Tagesstätte im Innenhof des Dienstes können Personen jeden Alters mittags gemeinsam kochen und essen, weiter gibt es Trommelrunden, Schachspiele oder Gedächtnistraining.

Zwar soll die Tagesstätte keine Pflegeeinrichtung für ältere Menschen sein und ist für jede Altersklasse offen, die Nachfrage bei Senioren ist aber besonders hoch. Der Kontakt mit den Pädagogen des Dienstes und mit anderen Menschen in ähnlicher Lebenslage bietet einen Ausweg für viele ältere Menschen. Um dieses Angebot und die individuelle Betreuung der Klienten zu ermöglichen, ist der Sozialpsychiatrische Dienst auf Spendengelder angewiesen. Ein Weihnachtswunsch wäre, einen Gruppenraum einzurichten.

© SZ vom 03.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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