Lehrermangel:"Es sind Kinder, keine Bauklötze"

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Dieses Schuljahr werden 136 sogenannte "zusätzliche Lehrkräfte" beschäftigt, die keine abgeschlossene Ausbildung zum Pädagogen haben. (Foto: Sebastian Gollnow/picture alliance/dpa)

Haarer Eltern lancieren eine Petition gegen die Zusammenlegung von Klassen. Das Schulamt und Rektoren setzen beim Krisenmanagement massiv auf Aushilfskräfte.

Von Bernhard Lohr, Haar

Die Entscheidung, an der Grundschule im Jagdfeld wegen fehlenden Lehrpersonals die Klassen 2f und 4f zu schließen und die Schüler auf andere Klassen aufzuteilen, hat in Haar eine Welle der Empörung ausgelöst. Eltern haben eine Online-Petition gestartet, die bis Dienstagnachmittag 259 Personen unterzeichnet haben. Darunter ist auch Altbürgermeister Helmut Dworzak (SPD), der angesichts von Klagen über Bildungsdefizite die "Diskrepanz zwischen politischen Reden und schulischem Handeln" als "Skandal" bezeichnet. Andere Unterzeichner pochen auf das Recht auf Bildung, werfen der Politik vor, falsche Prioritäten zu setzen und beklagen, dass die in der Corona-Pandemie schon stark belasteten Schulkinder wieder mal die Leidtragenden seien.

Haar hat eine schöne, große, neue Grundschule am Jagdfeld. Platz ist da, um Schüler gut zu unterrichten. Lehrer sind aber Mangelware. (Foto: Claus Schunk)

Schulamtsdirektorin Ursula Löwe will die Misere nicht schönreden, die der Fall in Haar und ein ähnlicher in Oberschleißheim offenbaren. Viele Lücken hätten sich erst kurzfristig aufgetan. Die Realschulen und Gymnasien hätten Lehrpersonal, das an Grund- und Mittelschulen geparkt gewesen sei, zurückgefordert. Schwangere Lehrerinnen hätten wegen Corona keinen Präsenzunterricht mehr leisten dürfen, eine Regelung, die der Ministerrat am Dienstag zurückgenommen hat. 30 Absagen habe sie auf dem Tisch, sagt Löwe, was alleine 840 Wochenstunden ausmache. Viele junge aus Nordbayern zugeteilte Lehrkräfte träten ihren Dienst nicht an, weil die Anfahrt zu weit und bezahlbarer Wohnraum nicht zu finden sei.

Die Probleme sind nicht neu, doch diesen Winter spitzen sie sich zu

Die Probleme sind nicht neu. Aber sie spitzen sich zu. Weiter kommen zu wenige ausgebildete Pädagogen von den Universitäten, die Zahl der Schüler steigt und viele mit Besoldungsgruppe A12 eingestufte Lehrer in Grund- und Mittelschulen müssen jeden Cent umdrehen. Die Bezahlung sei im Vergleich zu Realschul- und Gymnasiallehrern ungerecht, sagt denn auch Löwe. Der Ausfall gerade vieler junger Referendarinnen aus dem nördlichen Bayern treffe den Landkreis München hart, und besonders Schulen in Haar, Ismaning und Garching, wo sich die jungen Pädagoginnen an Schulen an der Nürnberger Autobahn noch am liebsten einsetzen ließen. Die Fluktuation dort ist auch besonders groß: Eine Mutter beklagt in der Haarer Petition, ihr Sohn habe in drei Schuljahren "weit über zehn Klassenlehrer" gehabt.

Wenn die Schulamtsdirektorin ihr Krisenmanagement an den ersten Schultagen beschreibt, lässt sich erahnen, wie die Behörde versucht, die Misere zu bewältigen. Wer einen Hochschulabschluss hat, ist noch kein Pädagoge, aber schnell auf der Liste als sogenannter Teamlehrer, der unter Anleitung einer schwangeren Fachkraft Unterricht gibt. Lehramtsstudenten unterrichten selbstverständlich neben der Uni bis zu 15 Stunden in der Woche, und nach dem ersten Staatsexamen auch mehr. Der Verwaltungsaufwand, dies möglich zu machen, sei immens, sagt Löwe; angefangen vom Führungszeugnis bis hin zur Registrierung des Personals bei der Regierung und immer wieder umgeworfenen Stundenplänen. Löwe spricht von einem gewaltigen "Papierkrieg" und lobt ausdrücklich ihre Schulleitungen draußen im Landkreis.

Schulamtsdirektorin Ursula Löwe ist froh um jede Planstelle, die sie besetzt bekommt. Auch jetzt nach Schulbeginn wird noch Personal gesucht. (Foto: Claus Schunk)

Sobald also auch Aushilfen - also sogenannte Teamlehrer oder Substituenten - nicht zu bekommen sind, bleibt nur der Schritt, Stunden zu streichen und Klassen zusammenzulegen, um den Pflichtunterricht zu gewährleisten. So habe man an allen Mittelschulen etwa die zusätzlich eingerichteten Klassen wegen eines hohen Migrationsanteils, die Stunden für den erweiterten Basissportunterricht sowie die für den differenzierten Sportunterricht gestrichen, berichtet Löwe. An einigen Schulen habe man Klassen zusammengelegt. Bis auf eine Ausnahme sei es aber nicht zur Überschreitung der Höchstgrenze für die Schülerzahl gekommen. In vereinzelten Fällen habe man Gruppen im Fachunterricht zusammenlegen müssen.

Auch an den Grundschulen wird improvisiert. Starke Eingriffe gab es auch hier bei den sogenannten Migrationsklassen - eben in Haar und Oberschleißheim. Dabei geht es um die Möglichkeit, eine zusätzliche Klasse aufzumachen, wenn der Migrationsanteil einer Jahrgangsstufe über 50 Prozent liegt und mehr als 25 Kinder in jeder Klasse sind. Diese Teilung wurde zurückgenommen. Die Situation in Haar sei aber jetzt gut, sagt Löwe, man habe nun 25 bis 27 Kinder in der Klasse. Weil man zwei Teilzeitkräfte mit 14 beziehungsweise 16 Stunden gewonnen habe, werde es differenzierten Unterricht geben. Rektorin Carolin Friedl setzt darauf und überhaupt auf Flexibilität, wo es geht. "Das hilft im Schulalltag sehr und ermöglicht eine gezielte Förderung auch in sehr heterogenen Lerngruppen." In Oberschleißheim ist es laut Schulamt gelungen, den Druck von der Grundschule in der Parksiedlung zu nehmen, indem Schüler freiwillig auf eine andere Schule gewechselt sind.

In den ersten Klassen sind durchschnittlich 29,4 Kinder

Abgesehen von Deutsch-plus-Kursen wurden viele Extras gestrichen, auch weil die Zahl der Schüler jetzt deutlich gestiegen ist. In 125 ersten Klassen werden 3718 Schulanfänger unterrichtet, bei einer durchschnittlichen Klassenstärke von 29,4. Bei den Grundschulen insgesamt liegen die Klassen Löwe zufolge bei 23,7, bei den Mittelschulen bei 19,4. Um die Löcher zu stopfen, ist die mobile Reserve von gut 1600 Lehrerwochenstunden auf die rekordverdächtig geringe Zahl von 600 geschrumpft. Für Ausfälle im Winter durch Krankheiten sieht sich Löwe schlecht gewappnet. Dazu kommt: Etwa 1000 Schüler aus der Ukraine werden zusätzlich in Brückenklassen unterrichtet, wofür Löwe zufolge Lehrkräfte außerhalb des regulären Personaltableaus gefunden werden mussten. Viele Ukrainerinnen seien engagiert.

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Die Suche nach Leuten, die unterrichten können, geht jedenfalls weiter. Viele Eltern beklagen derweil eine nicht mehr zumutbare Mangelverwaltung auf Kosten ihrer Kinder. "Für uns Eltern ist diese neue Nachricht eine Katastrophe", schreiben die Initiatoren der Petition. "Wie soll im Winter Abstand eingehalten werden, wenn die Klassenzimmer restlos überbesetzt sind?" Der Bildungspolitik werfen sie Versagen vor: "Es sind Kinder, keine Bauklötze, die man mal eben in eine neue Schachtel sortiert!"

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