Stammstrecke:"Nun haben wir den Salat"

Lesezeit: 2 Min.

Eine S-Bahn fährt in den Münchner Ostbahnhof ein, wo es kürzlich zu einem lebensgefährlichen Unfall kam. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Während sich die Grünen in ihrer Kritik an dem Bauprojekt bestätigt sehen, halten andere Kreispolitiker das Großprojekt weiter für alternativlos.

Von Stefan Galler, Landkreis München

Die Kosten fast doppelt so hoch wie ursprünglich kalkuliert, die Fertigstellung knapp zehn Jahre später als geplant - die schlechten Nachrichten zur zweiten Stammstrecke der Münchner S-Bahn, die Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) vor einigen Tagen öffentlich gemacht hat, sorgen bei Bevölkerung und Politikern gleichermaßen für Bestürzung. Geradezu empört reagieren die beiden Grünen Landtagsabgeordneten aus dem Landkreis München, Claudia Köhler und Markus Büchler. "Unsere schlimmsten Befürchtungen, die uns Grüne das Projekt von Anfang an ablehnen ließen, werden übertroffen", sagt Köhler. Und Büchler ergänzt: "Gegen alle Widerstände und alle Empfehlungen aus der Fachwelt hat die CSU stur die teuerste und verkehrlich unsinnigste Baumaßnahme für die Münchner S-Bahn durchgesetzt. Nun haben wir den Salat. Wie es zu erwarten war, wenn man sich auskennt."

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Claudia Köhler kritisiert insbesondere die immensen Kosten des Projektes, die nach Angaben des Verkehrsministers nun bei rund 7,2 Milliarden Euro liegen. "Da sind Inflation, Fachkräftemangel, absehbare Materialknappheit und die Kriegsfolgen noch gar nicht eingerechnet. In der Endabrechnung 2037 wären wir wohl weit im zweistelligen Milliardenbereich. Ein Vielfaches des Berliner Flughafens", schimpft die Unterhachingerin. "Das Projekt ist ein Fass ohne Boden."

Vor allem die Fahrgäste und auch die Wirtschaft im Landkreis München seien die Leidtragenden der Verzögerung, ergänzt der Oberschleißheimer Büchler und fordert einen "Plan B, wie es nun weitergeht". Dieser müsse beinhalten, dass man möglichst schnell einen S-Bahn-Nord- und Südring ertüchtigt, damit "nicht alle aus dem Landkreis durch die Innenstadt müssen", so Büchler. Und seine Fraktionskollegin ergänzt, dass die zweite Stammstrecke derart kostenintensiv sei, dass wichtige andere Projekte auf der Strecke blieben, etwa der zweigleisige Ausbau der S7 Ost, die Verlängerung der S7 West Geretsried oder die Verlängerung der U5 und U6.

Die SPD kritisiert Söder, der die Verantwortung an die Ampelkoalition weiterreichen wolle

Der vehementen Kritik der Grünen schließen sich keineswegs alle Kreispolitiker an. Der Vorsitzende der SPD München-Land, Florian Schardt, nennt es "immer einfach, wenn man im Nachhinein sagt, dass etwas vorhersehbar war". Der Ottobrunner hält die zweite Stammstrecke trotz der Schwierigkeiten für alternativlos: "Nehmen wir mal an, wir haben irgendwann überall zweigleisige Außenäste - und dann werden Ostbahnhof und die Station Pasing zum Nadelöhr, weil wir auf der Stammstrecke keine Ausweichmöglichkeiten haben. Was soll das bringen?" Dass Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nun versuche, "die Verantwortung an die Ampelkoalition weiterzureichen, obwohl der Bundesverkehrsminister die letzten zwölf Jahre und der bayerische seit gefühlt hundert Jahren aus seiner Partei kamen" sei nicht korrekt: "Das macht das ohnehin belastete Vertrauen der Menschen in die Politik kaputt."

Auch Otto Bußjäger, Vorsitzender der Freien Wähler im Landkreis, mag sich der Grundsatzkritik der Grünen nicht anschließen: "Die künstliche Aufregung des ein oder anderen, der immer schon alles besser gewusst hat, kann man sich sparen", sagt der frühere Grasbrunner Bürgermeister, der die Verzögerung und Kostenexplosion beim Bau der zweiten Stammstrecke als "typisch deutsches Desaster" bezeichnet. "Aber wenn wir es mit der Mobilitätswende ernst meinen, dann müssen wir weitermachen und zeitgleich in die Außenäste und die Infrastruktur investieren." Für die Zuverlässigkeit der S-Bahn sei diese Stammstrecke unerlässlich, sagt Bußjäger und kritisiert die Entscheidungsstrukturen bei der Bahn generell: "Da haben wir die S-Bahn, die DB Netz AG, den Freistaat und die Bayerische Eisenbahngesellschaft, die alle mitreden, aber von denen keiner über den Tellerrand hinausschaut. Und der Bürger hat den schwarzen Peter, wenn er verwirrt und verärgert am Bahnsteig steht."

Von der CSU gibt es bisher keine Stellungnahme. Landrat Christoph Göbel und Stefan Schelle, Fraktionschef im Kreistag, waren am Montag nicht zu erreichen.

In einer ersten Fassung war fälschlich von Gesamtkosten in Höhe von 7,2 Millionen Euro die Rede, tatsächlich liegen diese bei 7,2 Milliarden Euro.

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