Geschichte:Kinobetreiber, Alpinist und Nazi-Opfer

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Erich König war in der Erinnerung von Erwin Deprosse ein "alter Herr mit weißem Garibaldibart, sprühenden Augen, kräftiger, ausdrucksvoller Stimme". (Foto: Stadtarchiv München)

Erich König war der erste Villenbesitzer in Großhesselohe. Doch er verlor das Haus, weil er und seine als Jüdin geltende Frau ins Visier der Pullacher NSDAP gerieten. Auf Vermittlung der Historikerin Susanne Meinl sind nun seine in die USA ausgewanderten Nachkommen zu Gast in der Gemeinde.

Von Michael Morosow, Pullach

"It's amazing", sagt Susanne Meinl und schaut James ins Gesicht. Was die Historikerin so erstaunlich findet, sind die Augen des 25-jährigen US-Amerikaners, die er zweifellos von seinem Ururgroßvater Erich König geerbt hat. Einem Mann, an den sich in Pullach nur noch ganz wenige Menschen erinnern werden, liegt er doch schon seit 66 Jahren in einem Grab auf dem Münchner Südfriedhof. James, der wie sein zwei Jahre älterer Bruder Thomas, sein Vater Jeff, Jahrgang 1962, sowie Opa Walter, Jahrgang 1935, nur mit dem Vornamen genannt werden wollen, sind Mittwochfrüh auf dem Münchner Flughafen gelandet, jetzt sitzen sie im kleinen Sitzungssaal des Pullacher Rathauses bei Kaffee und Kuchen und plaudern mit Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund, den Archivaren Erwin Deprosse und Christian Sachse, Historikerin Meinl und Pressevertretern über ihren Opa, Uropa und Ururopa, der ganz gewiss eine außergewöhnliche Persönlichkeit gewesen ist.

Unternehmer war er, Kinobesitzer, Schriftsteller und ein hoch angesehener Alpinist, saß nach dem ersten Weltkrieg für fünf Jahre im Pullacher Gemeinderat, war erster Villenbesitzer in Großhesselohe. Persönlich kennengelernt hat ihn aus der Runde nur der ehemalige Archivar und Rathaus-Geschäftsführer Erwin Deprosse, der das Wesen dieses Mannes einst in dem Satz zusammenfasste: "Er war ein unruhiges, tausend Dinge zu gleicher Zeit anpackendes, vor Betriebsamkeit übersprudelndes, ewig Neues versuchendes Talent, in hundert Sätteln zuhause." Deprosse war noch ein junger Mann, als ihm Erich König zum ersten Mal über den Weg lief, als "alter Herr mit weißem Garibaldibart, sprühenden Augen, kräftiger, ausdrucksvoller Stimme, der wie ein Einsiedler aus vergangenen Tagen altersgebückt durch Pullach schritt".

Susanne Meinl war es, die im Zuge ihrer Recherche zur Pullacher Ortsgeschichte auf diesen umtriebigen Mann aufmerksam wurde und mit dessen Nachkommen in den Vereinigten Staaten in Kontakt trat. Zuerst habe er die Befürchtung gehabt, sie wolle ihm etwas zum Kauf andrehen, erinnert sich der 60-jährige Jeff schmunzelnd. Dank ihrer Nachforschungen wissen er und seine Söhne und Enkel nun mehr über ihre deutschen Wurzeln. Bis dahin beschränkte sich ihr Wissen darüber auf alte Briefe. Zur Vorstellung von Meinls Buch "Pullacher Lebenswege. Die Geschichte der antisemitisch verfolgten Bevölkerung" vor vier Jahren hatten sie nicht kommen können, jetzt aber sind sie selig darüber, das fertige Werk mit einer Passage über ihren berühmten Vorfahren in der Hand halten und sich einige Tage in dessen Wahlheimat Pullach umsehen zu können.

Die Villa Königshorst war die erste Villa in Großhesselohe. (Foto: Stadtarchiv München)

Erich König kam am 3. Februar 1868 in Dessau zur Welt als Sohn eines Marineoffiziers, der im Krieg 1870/71 gefallen war, und der ungarischen Hofschauspielerin Mathilde König, die nur wenige Tage nach seiner Geburt starb. Er machte eine Banklehre, wechselte danach stets bereits nach zwei, drei Jahren in eine andere Branche. Dabei habe ihn sein Gespür für zeitaktuelle, attraktive neue Geschäftszweige ausgezeichnet, etwa die Herstellung von Sportkleidung für den immer beliebter werdenden Alpentourismus, wie Historikerin Meinl in ihrem Buch schreibt.

Auch mit dem Betrieb einer zunehmend populärer werdenden Kinematographie an der Hans-Sachs-Straße in München und der Entwicklung einer mobilen Milchkühlungsanlage verdiente er ausreichend viel Geld, um sich nach der Jahrhundertwende in Großhesselohe ein großes Grundstück in bester Lage leisten zu können, auf das er 1903 die Jugendstil-Villa "Königshorst" stellen ließ, für sich und seine Frau Margarete, die er 1898 heiratete und mit der er zwei Kinder zeugte: die 1904 geborene Tochter Inge, eine Extremsportlerin wie er, die bereits mit 33 Jahren starb, und den 1905 geborenen Sohn Frythjoff, der 1925 nach Amerika auswanderte und eine Familie gründete - die sich nun, fast hundert Jahre später, auf Spurensuche begibt und am Donnerstag in Begleitung von Susanne Meinl seinen Nachlass im Stadtarchiv München anschauen durfte.

Es sind nicht nur Geschichten von Aufbruch und Erfolgen, die man über Erich König erzählen kann. Seine Frau Margarete, die aus einem jüdischen Elternhaus stammt, mit 18 Jahren aber zum katholischen Christentum konvertierte, erkrankte schwer, die finanzielle Lage der Familie verschlechterte sich nach der Machtergreifung Hitlers am 30. Januar, und die Königs gerieten ins Schussfeld der Pullacher Ortsgruppenleitung der NSDAP. Margarete König galt nun als Jüdin und auch ihr Mann konnte sich nach den Recherchen Meinls aufgrund seiner der Meldebehörde bisher schamhaft verschleierten unehelichen Herkunft zunächst nicht als "Arier" legitimieren.

1937 brachte Erich König seine Frau in der Hoffnung auf Genesung an die Adria in Kroatien, wo sie 1947 starb. Von 1941 an durfte sie von ihrem Mann nicht mehr besucht werden, weil dem der Reisepass entzogen worden war. 1942 wurde er gezwungen, seinen Lebenstraum, die Villa "Königshorst" zu verkaufen, bekam aber Wohnrecht auf Lebenszeit in der Dachwohnung. Die Villa existiert heute nicht mehr. Erich König habe nach dem Krieg bis in die Fünfzigerjahre vergeblich versucht, sein Hab und Gut wiederzubekommen, sagt dessen Urenkel Jeff.

Pullachs Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund mit den amerikanischen Nachkommen von Erich König und dem Buch von Susanne Meinl, in dem ihrem Vorfahren ein Kapitel gewidmet ist. (Foto: Claus Schunk)

Er habe nicht nur die Augen seines Ururgroßvaters geerbt, sondern zusammen mit seinem Bruder Thomas auch dessen Bergsteiger-Gen, sagt Thomas. Erich König war ein viel beachteter Pionier des Alpinismus mit vielen Erstbesteigungen. Sein Werk "Empor", ein Gedenkbuch für den 1888 am Weißhorn verunglückten Georg Winkler, setzte damals Maßstäbe. Eine Höhle am Totenkirchl ist nach König benannt. Besonders wohl fühlte er sich am Wilden Kaiser, sein letzter Wunsch, auf dem dortigen Sonneck begraben zu werden, wurde ihm nicht erfüllt. Aber er wird Besuch bekommen von seinen Nachkommen, bevor diese wieder zurückfliegen nach Philadelphia. Der Besuch des Grabes auf dem Südfriedhof gehört zum Programm.

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