Corona-Folgen:Psychotherapeuten vor dem Burn-out

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Kinder und Jugendliche leiden besonders unter den Folgen der Pandemie. (Foto: imago stock&people)

Weil seelische Erkrankungen in den vergangenen Jahren zugenommen haben, müssen Patienten lange auf eine Behandlung warten. Kinder- und Jugendtherapeutin Rebecca Riedelbauch ist aus dem Unterschleißheimer Stadtrat ausgeschieden, um die Nachfrage in ihrer Neufahrner Praxis zu bewältigen.

Von Laura Richter, Unterschleißheim

Wer auf eine psychotherapeutische Behandlung angewiesen ist, muss in Deutschland im Schnitt vier Monate auf den Beginn der Therapie warten. Das hat eine Recherche des Senders RBB ergeben. Für Kinder und Jugendliche sieht die Lage noch düsterer aus, erklärt Rebecca Riedelbauch. Die Kinder- und Jugendpsychotherapeutin war von 2020 bis 2022 als Grünen-Stadträtin in Unterschleißheim tätig. Das kommunale Amt hat sie aufgegeben, um die gestiegene Nachfrage in ihrer Praxis in Neufahrn im Landkreis Freising bewältigen zu können. "Die Kollegen und ich sind alle vollkommen überlastet", sagt Riedelbauch.

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Gemäß dem Terminservice- und Versorgungsgesetz sind Psychotherapeuten seit 2019 dazu verpflichtet, innerhalb von zwei Wochen einen Termin für ein Erstgespräch anzubieten. Zweck des Ersttermins ist die Prüfung, ob ein Therapiebedarf besteht. "Dem komme ich nach, aber meinen Anrufern sage ich direkt, dass ich für die nächsten eineinhalb Jahre keinen Therapieplatz frei habe", sagt Riedelbauch, "das ist vollkommen utopisch." Für die Patienten bedeute dies enormen Stress, um überhaupt einen Platz zu finden. Wenn sie doch Glück hätten, sei eine Therapie oft mit einer langen Anfahrtszeit verbunden, die sich nur schwer in den Alltag integrieren lasse. Menschen müssten demnach häufig mit ihren Erkrankungen alleine klarkommen oder ein anderweitiges Beratungsangebot wahrnehmen, so die Therapeutin.

Bereits 2021 war eine Befragung der Universität Leipzig zu dem Ergebnis gekommen, dass sich die Wartezeit auf einen Therapieplatz für Kinder und Jugendliche binnen zwei Jahren von durchschnittlich 14 auf 25 Wochen erhöht hat. Weil das Problem also nicht neu ist, fordert die Bundespsychotherapeutenkammer jetzt von der Politik die dringende Bereitstellung weiterer Behandlungsplätze. Wer psychisch erkrankt sei, müsse sich seit mehr als 20 Jahren auf eine unzumutbar lange Suche nach einem freien Behandlungsplatz machen, erklärt Kammer-Präsident Dietrich Munz in einer Mitteilung.

Psychotherapeutin Rebecca Riedelbauch ist als Stadträtin in Unterschleißheim ausgeschieden, damit sie die steigende Nachfrage nach Therapieplätzen bewältigen kann. (Foto: privat)

Rebecca Riedelbauch behandelt in ihrer Praxis junge Menschen vom Grundschulalter bis zum 21. Lebensjahr. In dieser Altersgruppe sei der Bedarf nach psychotherapeutischer Behandlung sehr stark ausgeprägt. Durch die Pandemie habe sich die ohnehin schon prekäre Situation verschärft, erzählt die Therapeutin. Riedelbauch merkt, dass Jugendliche unter der Corona-Krise besonders gelitten haben: "Sie mussten durch die Online-Lehre mehr Eigenverantwortung übernehmen und gleichzeitig viele ihrer Freizeitaktivitäten aufgeben, die für Kinder sehr wichtig sind." Die Folge waren soziale Ängste, Essstörungen und Depressionen bei ihren Patienten. Manche Kinder und Jugendliche hätten Zwangsstörungen entwickelt und das Gefühl, sich ständig waschen zu müssen, aus Angst vor Keimen oder einer Ansteckung, sagt die ehemalige Stadträtin.

Die abgewiesenen Patienten sollen hartnäckig bleiben

Die Folgen des Kriegs in der Ukraine spürt Riedelbauch nur bedingt in der Praxis. Jugendliche Patienten belaste aber die Frage, ob ihr Leben in der Zukunft noch lebenswert sein werde, "das ist ähnlich wie mit dem Klimawandel". Diese schwierige Zeit hat Riedelbauch gezeigt, wie wichtig ihr Job ist: "Ich freue mich, mit den Kindern und Jugendlichen für zwei oder drei Jahre gemeinsam den Weg zu gehen und eine positive Entwicklung zu beobachten."

Um weitere Plätze anbieten zu können, plant die Therapeutin die Eröffnung einer neuen Gemeinschaftspraxis mit einer Kollegin. Jedoch muss das für September geplante Vorhaben auf nächstes Jahr verschoben werden, da sie in Neufahrn bisher keine geeignete Räumlichkeit für die Praxis gefunden haben. Der Umzug in eine andere Gemeinde müsste erst beantragt werden, so die 39-Jährige. Den Patienten, die sie nicht aufnehmen kann, rät Riedelbauch, hartnäckig zu bleiben und weiterhin bei den Ärzten anzurufen. Auch an die Kassenärztliche Vereinigung in Bayern könnten sie sich wenden, um schneller einen Termin zu bekommen.

Nach Riedelbauchs Meinung müsste der Beruf des Psychotherapeuten zum Beispiel durch eine bessere Bezahlung aufgewertet werden. "Wir brauchen zudem eine dringende Veränderung in der Bedarfsplanung", sagt sie. Eine Verbesserung in der Versorgung psychisch kranker Menschen sieht auch der Koalitionsvertrag der Bundesregierung vor. "Das Warten auf eine psychotherapeutische Behandlung muss jetzt endlich ein Ende haben", fordert der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer. Der Bundesgesundheitsminister müsse noch in diesem Jahr ein Sofortprogramm verabschieden, das mehr psychotherapeutische Praxen insbesondere in ländlichen und strukturschwachen Regionen ermöglicht, verlangt Munz.

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