Ella von der Haide sitzt auf einem Baumstamm und erzählt, dass es zunächst nicht gut gelaufen sei, als Jana Korb, Nicola von Thurn, Helen Varley Jamieson und sie selbst sich auf die Suche nach Kooperationspartnern in den Wald begeben hatten. Zunächst hätten sie nämlich die alten Bäume gefragt, doch für die sei eine Performance nicht mehr als ,,nichtiges, kurzfristiges Rumgewusel". Diese "Methusalembäume" setzten die Menschen mit der bewussten Zerstörung von Ökosystemen gleich, denn sie verarbeiteten Bäume zu Klopapier und seien schuld am Klimawandel.
Die Dokumentarfilmerin und Stadtplanerin aus Pullach legt eine Kunstpause ein, auf den Gesichter ihrer Zuhörer macht sich Erwartung breit, sie sitzen auf Isomatten und trinken Fichtennadeltee. Die jungen Buchen dagegen, mit den alten Bäumen um Platz konkurrierend, hätten sich nicht nur sogleich zur Kooperation bereit erklärt, sondern für die Teilnehmer außerdem "eine telepathische Kinosequenz" vorbereitet: Drei Minuten auf dem Waldboden liegen und im Geiste versuchen, die eigenen Wurzeln mit jenen der Bäume zu verbinden.
Ob und wie Bäume kommunizieren, muss an dieser Stelle offen bleiben. Doch mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei "W.A.L.D. - performativer Spaziergang" um eine der innovativsten Darbietungen, die das Münchner Umland in jüngerer Zeit erlebt hat. Seit dem vergangenen Herbst hatten Jana Korb und Ella von der Haide als p.a.K.T. (peripher absurdes Kunst Tribunal) am künstlerischen Konzept gearbeitet, für Gestaltung und Ausstattung konnte Nicola von Thurn gewonnen werden und als Kooperationspartnerin Helen Varley Jamieson vom Münchner Ableger des "Magdalena Projects", einem internationalen Netzwerk, das der Arbeit von Frauen in Theater und Performance zu mehr Sichtbarkeit verhelfen möchte.
Ella von der Haide und Jana Korb realisieren als Künstlerinnen seit mehr als 30 Jahren queer-feministische Themen. Korb ist Luftartistin und turnte bei der Premiere am Samstag in teils schwindelerregenden Höhen, machte Handstand am Baumstamm oder bog den Rücken elegant zu einer Brücke. Das an sich ist ja schon ziemlich spektakulär, doch im Zuge einer sinnlichen Kontemplation wurden die Bäume bei diesem Spaziergang in fünf Akten obendrein zu einem gleichwertigen Gegenüber aufgewertet, im Übrigen auch von den Teilnehmern, die sich nicht scheuten, sich an alte Stämme zu schmiegen oder junge Triebe zu berühren.
Bäume umarmen und Fichtennadeltee? So was kann schnell ins Esoterische kippen. Doch Ella von der Haide und Jana Korb gelingt es, sich dem schweren Thema mit ästhetischer Leichtigkeit zu nähern. In der ersten Szene laufen sie mit kindlicher Neugier zwischen den Bäumen umher und betasten das Moos auf den Stämmen. Als Zuschauer weiß man da noch nicht so recht, was auf einen zukommt. "Der Wald ist quasi ein riesiges Theater", hatte Nicola von Thurn zu Beginn der Zuschauergruppe erläutert, die sich da am Parkplatz des Waldgasthofes Buchenhain eingefunden hatte. Man solle daher bitte nicht sprechen während der Aufführung. In der Szene der jungen Buchen, der Szene mit dem meisten Text, setzt Ella von der Haide kluge Ironie in wohlüberlegter Dosierung ab. Nie aber bedrohte das Schmunzeln, das bei den Worten der Pullacherin in einem aufstieg, die Ernsthaftigkeit, mit der sich die es in ihrer Performance annahmen. Ohne den moralischen Zeigefinger machten sie auf Schäden aufmerksam, die der Borkenkäfer hinterKünstlerinnen des Waldlassen hat. Und gerade weil sie dabei auf dramatische Gesten verzichteten, wurde dem Teilnehmer eine Auseinandersetzung mit dem Wesen der Bäume möglich. Ella von der Haide und Jana Korb nahmen die Leute an der Hand oder wiesen ihnen den Weg einen Stamm entlang, der mitten im Wald am Boden lag.
Mit jedem Schritt weitet sich das Bewusstsein etwas mehr: Das Laub unter den Füßen fühlt sich weich an, die Vögel zwitschern. Der Wind lässt die Baumwipfel eine Verneigung vor dem Himmel vollführen, und plötzlich ploppt der Gedanke auf, dass es für den Menschen allmählich an der Zeit ist, der Natur die erforderliche Demut entgegenzubringen.
Zwar hat der Wald in den vergangenen Jahren einen Popularitätsschub erfahren, das japanische Waldbaden avancierte genauso zum Trend wie die Bücher des Försters Peter Wohlleben zu Bestsellern. Doch Jana Korb und Ella von der Haide machen den Wald nicht zum Sujet, sie fordern mit ihrer Kunst die Gemeinschaft von Mensch und Baum. Das sei auch der Grund, weshalb man sich vom Waldbaden abgrenze. "Das wäre ja den Wald benutzen", sagt Ella von der Haide, Gründerin der"Solawi Isartal", einer Genossenschaft für solidarische Landwirtschaft.
Der lange Applaus ist verklungen. Nun lehnt sie an einem Geländer, hinter ihr geht es steil ins Tal mit der glitzernden Isar hinab. Sie sei hier früher oft mit dem Hund spazieren gewesen, sagt sie. Kenne die Gegend gut. Eine Herausforderung war die Performance trotzdem: Denn die Stämme der Bäume unterhalb des Waldgasthofes Buchenhain sind glatt und haben wenige Äste, ein Produkt der Forstwirtschaft. Für Luftartistin Jana Korb war es da schwierig, die Sicherungsgurte anzubringen. Immerhin vollführt sie ihre Akrobatik in 20 Meter hohen Bäumen. Da prüfe sie den Karabinerhaken lieber dreimal, sagt Korb. So was wie Routine dürfe sich in solchen Höhen definitiv nicht einstellen - wenn Welt- und Waldanschauung korrespondieren.