Aufwachsen in der Pandemie:Normalität gibt es nur in Büchern

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Sollen auch Kleinkinder in der Kita PCR-Tests machen? Eine Elterninitiative fordert das, doch die Umsetzung wäre zu schwierig. Denn die Erzieherinnen können dies nicht auch noch übernehmen. (Foto: Catherina Hess)

Die Corona-Maßnahmen, die einmal als Ausnahme gedacht waren, sind gerade für kleine Kinder das Einzige, das sie kennen. Nun kommt die Testpflicht in der Kita dazu. Eine Elterninitiative fordert sogar PCR-Tests, die Umsetzung wird jedoch schwierig sein.

Von Lukas Koperek, Unterhaching/Oberschleißheim

Wie gefährlich genau das Coronavirus für Kinder ist - das bleibt eine der vielen offenen Fragen der Pandemie. Sicher weiß man, dass sie ein deutlich geringeres Risiko haben, schwer an Covid-19 zu erkranken. Ihr Ansteckungspotential dürfte dagegen höher sein als das von Erwachsenen, denn gerade in Kindertagesstätten lassen sich Hygienemaßnahmen nur schwer umsetzen. Aus diesem Grund fordert nun eine Elterninitiative, flächendeckende PCR-Tests in Bayerns Kitas einzuführen. Die seit dem 10. Januar geltende Testnachweispflicht, der die Eltern selbst nachkommen müssen, sei nicht ausreichend, so die Initiatoren. Doch es gibt Zweifel an der Umsetzbarkeit der Forderung - und die Gefahr einer Infektion ist für Kinder nicht das einzige Problem in der Pandemie.

Johanna Zapf, Zweite Bürgermeisterin von Unterhaching und Mutter von zwei Kindern, berichtet von ihren Erfahrungen. "Bei uns in der Kita muss man montags, mittwochs und freitags einen Schnelltest zu Hause machen", sagt die 35-Jährige. "Die Testkassette bringt man mit und entsorgt sie dann vor Ort. Dadurch gibt es zumindest eine gewisse Kontrolle. In anderen Einrichtungen genügt es auch, wenn die Eltern die Durchführung des Tests nur schriftlich bestätigen." Die Forderung, bei den Kindern PCR-Tests durchzuführen, sieht sie gespalten. "Natürlich würde es mehr Sicherheit geben. Aber wenn die Erzieherinnen das machen müssten, wäre es noch schwieriger. Das ist eine Menge Aufwand."

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Die Testpflicht ist jedoch nicht die einzige Veränderung, mit der das Ansteckungsrisiko unter den Kindern minimiert werden soll. Auch der Tagesablauf ist inzwischen ein anderer. Bevor sich die Kinder zwischen 8.30 Uhr und 9 Uhr in ihren Gruppen zusammenfanden, hatten sie vor der Pandemie noch die Möglichkeit, mit Kindern aus anderen Gruppen Zeit zu verbringen. "Letztes Jahr wurden alle Gruppen konsequent getrennt", sagt Zapf. "Nun werden die Kinder in den Randzeiten wieder zusammengelegt. Bei einem positiven Fall müssen somit mehr Kinder in Quarantäne." Wer nicht möchte, dass sein Kind an der gruppenübergreifenden Zeit teilnimmt, muss es also vorher abholen. "Für die Eltern ist das natürlich ein enormer Aufwand", sagt Zapf. "Wenn ich mein Kind um 15 Uhr abholen will, muss ich eine Viertelstunde früher da sein, hinzu kommt noch der Weg. Da muss man dann entweder seine Stunden kürzen oder abends noch arbeiten."

Johanna Zapf (Grüne) fürchtet, es sei noch ein langer Weg bis "zur wirklichen Gleichberechtigung". (Foto: Claus Schunk)

Neben dem Spagat zwischen Beruf und Privatleben und der Möglichkeit einer Ansteckung mit Corona treibt Eltern derzeit noch eine andere Sorge um: dass sich Kinder an ein Leben gewöhnen, das eigentlich nur ein Ausnahmezustand sein sollte. "Für die kleinen Kinder ist es ja ganz normal, alle ständig mit Maske zu sehen und sich die Hände zu desinfizieren", sagt Johanna Zapf. "Und Weihnachtsmarkt kennen meine Kinder nur aus Büchern." Ihrer Ansicht nach wird die soziale Dimension der Pandemie noch immer zu sehr unterschätzt, ganz besonders, wenn es um Kinder und deren Entfaltungsmöglichkeiten geht. "Zum Sankt-Martins-Tag hat Deutschland in einem vollen Stadion Fußball gespielt, aber in Unterhaching wurden alle Martinszüge abgesagt. Da kommt man dann als Eltern an die Grenzen des Verständnisses. Wochenlang singen die Kinder die Lieder, basteln Laternen, und dann dürfen sie an dem Tag nicht raus."

Auch Kinderpfleger und Sportpädagoge Florian Dietrich aus Unterhaching sieht die sozialen Probleme, mit denen Kindern in Pandemiezeiten zu kämpfen haben. "Für kleine Kinder ist es sehr wichtig, Struktur zu haben und Bindungen aufzubauen. Umso schwerer ist es dann, wenn ihr ganzer Tagesrhythmus durcheinandergeworfen wird."

Bis September vergangenen Jahres war der 26-Jährige in einer Kinderkrippe tätig. Er war auch an der Notbetreuung im Winter beteiligt, die aus Gründen des Infektionsschutzes nur Kindern zur Verfügungen stand, deren Eltern nicht in der Lage waren, die Betreuung selbst zu gewährleisten. "In solchen Einrichtungen geht es auch schon darum, sich in eine Struktur einzufügen. Man lernt quasi Gesellschaft. Sich an Regeln halten. Da ist es schade, wenn Kinder, die nicht in der Notbetreuung waren, sich in der Schule schon nicht mehr so gut einfügen können."

Von Entwicklungsschwierigkeiten aufgrund fehlender Betreuung im vergangenen Winter weiß Annette Neuerer, Leiterin des Katholischen Kindergartens St. Wilhelm in Oberschleißheim, zu berichten. "Man merkt es sehr stark bei Kindern mit Migrationshintergrund. In der Zeit der Notbetreuung haben sie einfach nicht so schnell Deutsch lernen können wie vorher." Dadurch, dass viele Kinder es nicht anders kennen würden, nähmen sie die Regelungen gut auf, sagt die 56-Jährige. Dennoch betont sie: "Die Gruppen übergreifende Arbeit war natürlich schöner. Selbstständigkeit, Partizipation, Sozialkontakte - das kommt einfach zu kurz."

Neuerer arbeitet seit 36 Jahren als Erzieherin. Die Leitung des Kindergartens in Oberschleißheim hat sie 2009 übernommen. "Normalerweise haben wir 1oo Kinder in vier Gruppen, aber wegen des Personalmangels können wir zurzeit nur 85 betreuen." Im ganzen Landkreis, sagt sie, fehlten über 200 pädagogische Fachkräfte. Aus diesem Grund sieht auch sie die Forderung von PCR-Testung in Kitas kritisch. "Das müssten ja dann die Erzieher machen. Aber das könnten wir gar nicht leisten. Dafür haben wir kein Personal."

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