Pullach:Die Gretchenfragen in der Causa Preußler

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Liest in Pullach aus seiner Preußler-Biografie und debattiert später mit bei der Bewertung des berühmten Kinderbuchautors: Tilman Spreckelsen. (Foto: Claus Schunk)

Biograf Tilman Spreckelsen und Regisseur Thomas von Steinaecker zeichnen bei einem Abend zum 100. Geburtstag des umstrittenen Kinderbuchautors ein differenziert positives Bild. Die Schulfamilie steht dennoch fest hinter der Entscheidung, das Gymnasium umzubenennen.

Von Udo Watter, Pullach

Das Interpretationsangebot der Experten da oben auf der Bühne zeitigte keineswegs ungeteilte Akzeptanz im Publikum. Was Tilman Spreckelsen, FAZ-Literaturredakteur und Verfasser der Otfried-Preußler-Biografie "Ein Leben in Geschichten", und Thomas von Steinaecker, Regisseur des Dokumentarfilms "Otfried Preußler - Ich bin Krabat", am Donnerstagabend im Pullacher Bürgerhaus vermittelten, befeuerte ja nicht unbedingt die innere Zustimmung zu der Entscheidung, welche die Schulfamilie des Pullacher Gymnasiums kürzlich mit großer Mehrheit getroffen hatte: Den aktuellen Namen Otfried-Preußler-Gymnasium abzulegen, wegen der NS-Jugendverstrickungen des berühmten Kinderbuchautors (und seines späteren Umgangs damit), und wieder zum alten Namen zurückzukehren: Staatliches Gymnasium Pullach.

Gerade Steinaeckers Film und die Botschaft, die er mit seiner bewegenden, aber womöglich etwas einseitig-positiv empfundenen Darstellung der Persönlichkeit Preußlers transportierte, schien an dem Tisch, an dem primär Lehrer und Lehrerinnen des Gymnasiums saßen, kritische Aufwallungen hervorzurufen, sodass der erste von dort kommende Diskussionsbeitrag von Empörungs-Tremolo in der Stimme begleitet wurde. Es ging dabei um eine der Gretchenfragen in der Causa Preußler: Wie sehr und ehrlich sich der Autor, der in jungen Jahren Mitglied der HJ und NSDAP war und mit "Erntelager Geyer" einen als HJ-Roman klassifizierten Roman schrieb, mit dieser seiner Vergangenheit später auseinandersetzte.

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Ob "Krabat" als literarische Bearbeitung dieser Thematik, die Verführung Jugendlicher durch die Schwarze Kunst (alias Diktatur) etwa reicht, um - verkürzt gesagt - noch als Vorbild für junge Menschen durchzugehen. Oder ob sich selbst in diesem gefeierten Buch der Schriftsteller nicht moralisch aus der Verantwortung gestohlen habe, stattdessen die "Vorsehung" ins Spiel brachte und die Titelfigur als verführtes "Opfer" entschuldige. Steinaecker entgegnete eher generell, dass man hier nicht schwarz-weiß, sondern differenziert urteilen müsse. Spreckelsen meinte dazu: "Preußler hat Krabat nicht als Opfer angelegt", er sei genau so Täter.

Der Preußler-Biograf pflegte an diesem, von Gemeindebücherei und Gymnasium veranstalteten Abend zum 100. Geburtstag des Autors (der im Oktober 2023 gewesen wäre) ohnehin eine kultiviert-sachliche Tonalität, ließ zwar seine Wertschätzung für das Werk des Autors und durchaus auch dessen Persönlichkeit durchblicken, vermied aber allzu polarisierende Aussagen.

Regisseur Thomas von Steinaecker hält Otfried Preußler, biografisch betrachtet, für eine spannende Figur. (Foto: Claus Schunk)

Das zeigte sich auch bei der Frage eines Gymnasiasten - zahlreiche Schülerinnen und Schüler waren anwesend - an die beiden Protagonisten auf der Bühne, wie sie denn zu der angedachten Umbenennung stünden. "Ich habe da gar nicht mitzureden", antwortete Spreckelsen. Er lobte erst mal die Ausstellung, die Schüler der 11. Jahrgangsstufe, angestoßen von den Recherchen ihres Lehrers Jochen Marx, zu Leben und Werk Preußlers konzipiert hatten und die er sich in der Schule zuvor angesehen hatte: ein Beispiel dafür, wie ernsthaft das Gymnasium das Thema behandelt.

Gleichwohl antwortete er dann doch, auf der Ebene des Privatmanns, wie er betonte: Es sei die Frage, ob man "Erntelager Geyer" oder "Die kleine Hexe" als gewichtiger erachte. Nicht im Sinne der literarischen Bedeutung - da sei "Die kleine Hexe" natürlich klar vorn - sondern der unterschiedlichen Bereiche als Kriterium. Inhaltlich wird in "Erntelager Geyer" noch die Unterordnung des Einzelnen im Dienste eines höheren gemeinschaftlichen Zieles propagiert, die kleine Hexe als späteres Gegenmodell ist indes anarchisch und lehnt sich auf gegen das Kollektiv der bösen Hexen. Thomas von Steinaecker, meinte, Preußler sei eine spannende Figur und "Otfried-Preußler-Gymnasium" sei spannender als "gar keinen Namen" zu haben: "Figuren, die Heilige sind, sind langweilig."

Das konnte man als kleine Spitze gegen die, aus dieser Perspektive allzu moralisierenden Verfechter einer Umbenennung empfinden. Jochen Marx, der lang und intensiv zu Preußler geforscht hat - auch weil die Schule sich mit der Geschichte ihres Namenspatrons auseinandersetzen wollte, nachdem vor einigen Jahren diverse Details zur unrühmlichen NS-Jugendzeit des Autors an die Öffentlichkeit kamen - sah sich denn auch bemüßigt, gewisse Dinge klarzustellen: "Es war nie der Impetus gewesen, eine Namensänderung zu bewirken."

Klar ist: Die Entscheidung ist gefallen, auch weil der Name schon immer weitgehend unbeliebt war

Im Laufe seiner Beschäftigung mit Preußler hat der Mathe- und Physiklehrer freilich Dinge herausgefunden, die ihn an der nötigen Vorbildfunktion Preußlers - und diesen Anspruch stelle man eben an einen Schulnamensgeber - zweifeln ließen. Es gehe gar nicht darum, den 17-jährigen Autor des "Erntelager Geyer" oder den als Kind seiner Zeit der NS-Weltanschauung anhängenden Teenager zu verdammen. Ausschlaggebend für den Umbenennungswunsch sei vielmehr das unzureichende Verhalten Preußlers nach dem Krieg gewesen. "Uns fehlt eine differenzierte Auseinandersetzung." Auch im Sinne einer Distanzierung von und eines offenen Umgangs mit der Vergangenheit.

Klar ist: Die Entscheidung, soweit sie in den Händen der Schulfamilie liegt, ist gefallen, daran konnte der von der Journalistin und Autorin Christine Knödler versiert moderierte Abend nichts mehr ändern. Dass der 2013 in einem umstrittenen Prozess dem Gymnasium verliehene Name dort schon immer weitgehend unbeliebt war, mag die jüngere Entwicklung mitbestimmt haben. Direktor Benno Fischbach wartet nun noch auf die Entscheidung des Zweckverbands. Fällt die positiv aus, geht der Antrag auf Umbenennung ans Kultusministerium weiter. "Wir gehen den vorgesehenen und transparenten Weg", sagte er und verwies ebenfalls darauf, dass es nicht um die Jugendsünden eines 17-Jährigen gehe, sondern um mehr.

"Ich glaube an die Kraft der Fantasie", sagt Preußler am Anfang von Steinaeckers Film. Und am Ende: "Seien Sie gut zu den Kindern. Wir haben nichts Besseres."

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