Politische Bildung:Wenn Schüler im Europa-Parlament säßen

Lesezeit: 3 min

Beim Planspiel "Modell Europa-Parlament" wird die Schulturnhalle zum Plenum. (Foto: Claus Schunk)

Die gesamte zehnte Jahrgangsstufe des Kirchheimer Gymnasiums simuliert in einem Planspiel Debatten und Abstimmungen. Dabei lernen die Schüler sich zu präsentieren, zu diskutieren - und Niederlagen zu akzeptieren.

Von Anna-Maria Salmen, Kirchheim

Der Klimawandel birgt viele Risiken, das zeigt nicht zuletzt die aktuelle Hitzewelle in ganz Europa. "Viele nehmen diese Gefahren nicht ernst", sagt der Abgeordnete, der an dem mit einer EU-Flagge verhüllten Rednerpult steht. Gemeinsam mit seinem Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie hat er verschiedene Vorschläge erarbeitet, um den Umweltschutz voranzutreiben: Der öffentliche Nahverkehr müsse gestärkt, die Forschung an alternativen Antriebsformen subventioniert und Kerosin als Treibstoff für Flugzeuge besteuert werden. "Ich bin überzeugt, dass unsere Resolution ein wichtiger Schritt sein kann", schließt der Antragsteller. Doch obwohl Applaus im Plenum tost, sind nicht alle Mitglieder des Parlaments restlos überzeugt. "Die Vorschläge sind insgesamt wenig durchdacht und nicht zielführend", kontert ein anderer Abgeordneter in seiner Angriffsrede. Mit knapper Mehrheit wird die Resolution abgelehnt.

Newsletter abonnieren
:SZ Gerne draußen!

Land und Leute rund um München erkunden: Jeden Donnerstag mit den besten Freizeittipps fürs Wochenende. Kostenlos anmelden.

Was sich wie eine echte Debatte im EU-Parlament in Straßburg anhört, fand am Freitagvormittag in der Turnhalle des Kirchheimer Gymnasiums statt: Die Schülerinnen und Schüler der zehnten Jahrgangsstufe schlüpften in einem Planspiel in die Rolle von Europa-Abgeordneten und diskutierten über aktuelle Themen wie den Umgang mit künstlicher Intelligenz, die Gleichberechtigung oder die politische Teilhabe der Jugend. Auf internationaler Ebene gibt es das "Modell Europa-Parlament" bereits seit den Neunzigerjahren, seit 2000 findet auch in Deutschland jedes Jahr eine bundesweite Simulation statt.

Die Schule schickt als einzige in Bayern Vertreter nach Berlin

Am Gymnasium in Kirchheim beteiligte sich bislang lediglich eine kleine Arbeitsgemeinschaft daran, wie Lehrerin Irmela Wedler erzählt. Heuer jedoch habe man "die breite Masse einbeziehen" wollen, um mehr Schülern Einblicke in die internationale Politik bieten zu können, und daher erstmals die gesamte zehnte Jahrgangsstufe beteiligt. Als einzige Schule in Bayern wird das Kirchheimer Gymnasium im Herbst Delegierte zur nationalen Debatte nach Berlin schicken, bei der Schülervertreter aus allen Bundesländern zusammenkommen.

Eine Woche lang haben sich die Schülerinnen und Schüler mit den Themen beschäftigt, umfassend recherchiert und schließlich in verschiedenen Ausschüssen diskutiert, um ihre Resolutionen zu erarbeiten. "Auch eine Einführung in das Debattieren war Teil der Vorbereitung: Wie schreibt man gute Reden, wie trägt man vor?", berichtet Wedler.

Die Vorarbeit resultiert schließlich in der großen Generaldebatte, bei der die jungen Abgeordneten über alle fünf erarbeiteten Resolutionen diskutieren und sie mal annehmen, mal ablehnen. Im Halbkreis sind die Tische um das Podium der zwei Parlamentspräsidentinnen gruppiert, die Flaggen verschiedener europäischen Länder zeigen die Delegationen an. Viele der jungen Abgeordneten sind in Hemd oder Bluse gekleidet, auch die ein oder andere Krawatte ist zu entdecken. Bei Wortmeldungen siezen die Jugendlichen sich, die Atmosphäre ist förmlich. "Es ist beeindruckend, mit was für einer Ernsthaftigkeit die Schüler dabei sind", sagt Lehrerin Wedler.

Die Schüler sind förmlich gekleidet und siezen sich. Sogar in der Pause wird diskutiert. (Foto: Claus Schunk)

Mit Leidenschaft tragen die Redner ihre Argumente vor und verteidigen ihre Ideen - denn die Ausschussmitglieder müssen stets auch Angriffsreden gegen ihre Vorschläge kontern. Erst dann geht es zur Abstimmung, die nicht jede Resolution übersteht. "Seien Sie nicht traurig, wenn Ihre Resolution abgelehnt wird", sagt Parlamentspräsidentin Anna Jausch. "Das ist eben Demokratie."

Die Zehntklässlerin war gemeinsam mit ihrer Co-Präsidentin Sophia Post bereits im März beim bundesweiten "Modell Europa-Parlament" dabei, das damals pandemiebedingt digital stattfand. In der Vorbereitung auf die schulinterne Debatte konnten die beiden ihre Erfahrungen an ihre Mitschüler weitergeben. Für andere, etwa für Dean Heinig und Nils Große, war das Planspiel ein gänzlich neues Erlebnis, wie sie sagen. "Ich habe mich vorher wenig für Politik interessiert", räumt Große ein. Das Planspiel habe das jedoch geändert: "Dadurch ist man viel näher dran."

Viele Jugendliche können sich vorstellen, sich in einer Partei zu engagieren

Sein Mitschüler Heinig kann sich eigener Aussage nach gut vorstellen, später politisch aktiv zu werden. "Ich bin schon den Grünen beigetreten und engagiere mich im Ort", erzählt er. Anna Jausch ist ebenfalls überzeugt, dass in manchem ihrer Mitschüler durchaus politisches Potenzial steckt, wie sie sagt. Die Schüler finden es wichtig, sich mit aktuellen Themen auseinanderzusetzen und darüber zu diskutieren, das betonen alle. "Es ist eine gute Möglichkeit, sich mal mit Gleichaltrigen dazu auszutauschen", sagt Sophia Post. Zudem sei es "schön, zu sehen, dass ich in meinem Alter nicht die Einzige bin, die sich für Politik interessiert", ergänzt Jausch.

Grundlegende Fähigkeiten wie das Debattieren und Vortragen zu üben, könne auch für die berufliche Zukunft nützlich sein. Auch Nils Große hebt diesen Aspekt des Planspiels hervor: "Man bekommt die Chance, mal vor der ganzen Jahrgangsstufe eine Rede zu halten." Aufgeregt waren vor ihrem Auftritt die meisten Redner, wie sie zugeben. Doch die Überwindung sei wichtig, um über sich selbst hinauszuwachsen, sagt Lehrerin Wedler. "Das Ziel ist auch, sich mal präsentieren zu müssen."

Gleichzeitig sollen Wedler zufolge die Inhalte, die die Schüler erarbeitet haben, in der großen Politik ankommen. "Die angenommenen Resolutionen werden tatsächlich an eine Abgeordnete des EU-Parlaments weitergegeben."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusExtremtemperaturen
:"Das ist noch nicht das Ende"

Die Bäume bekommen gelbe Blätter, die Kühe geben weniger Milch und der Grundwasserstand sinkt immer weiter. Eindrücke von einem Hitzesommer, unter dem Mensch, Tier und Natur leiden.

Von Michael Morosow

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: