"Herzlich willkommen" prangt in großen Lettern über dem Eingang und in der Tat: Die Bude ist voll. Vor dem Unterhachinger Kindergarten Löwenzahn hat sich eine kleine Schlange gebildet, langsam rückt sie in das Gebäude hinein. Graumelierte Schläfen der Wartenden zeigen, dass ihr Ziel nicht die Mäuse- oder Igelgruppe ist. Um die Zukunft geht es gewissermaßen trotzdem.
Die Landtags- und Bezirkswahl ist an diesem Sonntagmorgen noch im vollen Gange. Der Kindergarten ist zu einem Wahllokal umfunktioniert worden, wer eine Wahlberechtigung und ein Ausweisdokument dabeihat, kann hier Kreuze für Kandidierende im Stimmkreis 124 München-Land Süd setzen, im Flur hängen Wahlzettelmuster für die erste Orientierung.
Draußen vor der Tür stehen einige, die ihr Wahlrecht schon genutzt haben. "Wir gehen regelmäßig wählen, aber diesmal ist es für uns ein existenzieller Schritt gewesen", erzählen drei junge Erwachsene. Die politische Situation der Ampel-Koalition lasse Deutschland den Bach heruntergehen, am deutlichsten mache sich das im Erstarken der AfD bemerkbar. "Damit diese Partei nicht die zweitstärkste Kraft in Bayern wird, sind wir gezwungen, wählen zu gehen", heißt es von den dreien.
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Ganz andere Töne schlägt ein Mann mit Kleinkind an: "Der Umgang mit der AfD ist inakzeptabel", sagt er und erzählt mit Entrüsten von dem — von Ermittlungsbehörden in Zweifel gezogenen — vermeintlichen Anschlag auf Parteichef Timo Chrupalla in der vorangegangenen Woche. "Bei jeder Wahl wird Schindluder getrieben", ist er sich sicher.
Andere Wähler und Wählerinnen schlagen nicht so eindeutig politische Töne an. Ihre Motivation reicht von "meine Freundin hat mich gezwungen" bis zu "ich mache das seit 40 Jahren aus Gewohnheit". Der überwiegende Teil indes hat das Gefühl, mit dem eigenen Wahlgang etwas beizutragen. "Ich möchte Anteil an der Zukunft haben", heißt es von einem Pärchen um die 30, die deutlichsten Worte findet jedoch eine rund 50-jährige Frau: "Mit Sicherheit bringt meine Stimme etwas. Nicht wählen zu gehen, bewegt auf jeden Fall nichts."
Ein paar Stunden später ist es dunkel und die Schlange verschwunden. Die Tür steht jedoch weiterhin offen, wie in allen Wahllokalen ist die Stimmenauszählung auch im Kindergarten Löwenzahn für die Öffentlichkeit frei zugänglich. Schriftführer Simon Hötzl, im Hauptberuf leitender Angestellter im Rathaus, ist mit dem Verlauf des Tages zufrieden. "Wir hatten eine hohe Wahlbeteiligung. Es war durchgehend voll", erzählt er. Die zeitweiligen Schlangen erklärt er vor allem mit der Größe der Zettel: Das unhandliche Format sei für manche Verzögerung in der Kabine verantwortlich gewesen.
Wahlleiterin Charlotte Schmidt bestätigt diesen Eindruck für die restlichen Unterhachinger Wahllokale, bei denen Menschen teilweise eine halbe Stunde warten mussten. "Wir haben bei der Auswertung genau darauf geschaut und keine höhere Wahlbeteiligung oder Gesamtzahl an Wählern bei den Lokalen mit langen Schlangen gefunden", berichtet sie. Um Abhilfe zu schaffen und die Stoßzeiten abzumildern, habe man nachträglich Tische und Sichtblenden aufgestellt. "Wir werden das aber evaluieren und sind anpassungswillig", betont sie und bedankt sich im gleichen Atemzug bei allen Beteiligten für deren Mitarbeit.
Wahlleiter Christian Singer aus Aying, in dessen Gemeinde es ebenfalls zu Wartezeiten kam, findet ähnliche Worte. "Schlangenbildung zu Stoßzeiten ist ganz normal, aber die riesigen Stimmzettel haben den Gesamtprozess deutlich verlangsamt", sagt er. Konsequenzen ziehe man auf jeden Fall daraus: "Die Anzahl an Tischen in den Lokalen werden wir in Zukunft erhöhen", so Singer.
Im Kindergarten Löwenzahn liegen die Blätter — "schreiben Sie Tapete!", schallt es lachend aus einer Ecke — am Abend bei der Auszählung im ganzen Raum verteilt herum. Acht ehrenamtliche Wahlhelfende falten die Zettel auseinander und sortieren sie je nach Wahlergebnis verschiedenen Stapeln zu. "Die erste Plausibilitätskontrolle ist bereits erfolgreich über die Bühne gegangen", erklärt Hötzl erleichtert, die Stimmabgabevermerke im Wählerverzeichnis hätten mit der Anzahl der Stimmzettel übereingestimmt. Insgesamt 495 von 800 Wahlberechtigten haben im Kindergarten Löwenzahn ihr demokratisches Grundrecht ausgeübt, die Wahlbeteiligung liegt in diesem Wahllokal damit etwas über 60 Prozent. Es werden bereits die Zweitstimmen ausgezählt.
So eine Wahl sei ein bisschen wie Weihnachten, findet ein Helfer
Auf die Nasenspitze vorgerückte Brillen machen die Schwierigkeit deutlich, bei dem unhandlichen Format und den vielen Auswahlmöglichkeiten die gesetzten Kreuze zu finden. Die Stimmung ist trotzdem fröhlich. "Hat jemand Volt im Angebot?", ruft es quer durch den Raum. Jemand deutet auf das Bällebad des Kindergartens, wo neben Kuscheltieren die Stimmen für Volt und die Bayernpartei gesammelt werden. Vor Wahlvorstand Stefan Zöllinger bilden sich schon kleine Papierberge. "So eine Wahl ist immer ein besonderes Ereignis", sagt er, das Leeren der Wahlurnen sei quasi wie Weihnachten. "Bloß dauert es danach leider wesentlich länger" als bei der Bescherung an Heiligabend, räumt er lachend ein, Bis halb zwölf in der Nacht dauert die Auszählung.
Der Beobachter bekommt an diesem Wahlsonntag in Unterhaching den Eindruck, politische Prozesse im Kleinformat erlebt zu haben. Hinter den Ergebnissen, die in bunten Balken über Bildschirme flimmern, stehen haufenweise Stimmzettel - auf Tischen oder auf dem Boden in Kindergärten und Schulen. So emsig wie dort wurde in sämtlichen Wahllokalen in Bayern gearbeitet. Demokratie ist ein Gemeinschaftsprojekt, das zeigt die Arbeit der Ehrenamtlichen am Tag der Landtagswahl.