Flüchtlingsgipfel:"Irgendwann sind die Kapazitäten erschöpft"

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Mehr als 400 Schutzsuchende aus der Ukraine finden in der Container-Unterkunft in Neubiberg Platz. (Foto: Claus Schunk)

Mehr als 7600 Geflüchtete leben im Landkreis München. Schon jetzt fehlen für sie Lehrer, Erzieher, Betreuer und Unterkünfte. Entsprechend gedämpft fallen die Reaktionen von Kommunalpolitikern auf die Bund-Länder-Einigung aus.

Von Martin Mühlfenzl, Landkreis München

Was die Bundesregierung als Erfolg bezeichnet, ist für Christoph Göbel (CSU) eine "echte Enttäuschung". Nicht so sehr, weil beim Flüchtlingsgipfel am Mittwochabend im Bundeskanzleramt lediglich eine Milliarde Euro zusätzlich für die Unterbringung Geflüchteter herausgesprungen ist; vielmehr kritisiert der Münchner Landrat, dass das Grundproblem von allen Beteiligten totgeschwiegen werde: "Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass die Folgen des Klimawandels und andere Krisen dazu führen, dass Flucht und Wanderung in dieser Welt zur Realität gehören." Davon, so Göbel, stehe nicht ein Wort im gemeinsamen Papier von Bund und Ländern.

Welche Auswirkungen der anhaltende Zuzug von Schutzsuchenden vor allem auf die Kommunen auch im Landkreis München hat, lässt sich beispielhaft an Neubiberg ablesen. Dort wurde eine Container-Unterkunft für mehr als 400 Menschen aus der Ukraine errichtet; mehr als 260 - vornehmlich Frauen und Kinder - leben dort mittlerweile. Die Gemeinde ächzt unter den Folgen. Weniger unter den Kosten der Unterbringung, denn für diese kommt zu 100 Prozent der Freistaat auf - aber unter den Folgelasten.

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"Das Riesenthema ist die Betreuung in den Kitas und Schulen. Unterstützung in Deutschkursen, auch mit professioneller Hilfe und zusätzlichen Pädagogen", sagt Bürgermeister Thomas Pardeller (CSU). Denn es gebe schlichtweg zu wenig Erzieherinnen und Lehrer. Die Kosten dafür blieben zudem an der Gemeinde hängen. Wie hoch diese sind, konnte Pardeller auf SZ-Nachfrage nicht beantworten. Nur so viel: "Aber es geht ins Geld. Und ich werde dem Gemeinderat auch empfehlen, den Betrag noch mal aufzustocken."

Dass der Bund noch einmal eine Milliarde Euro für die Unterbringung Schutzsuchender zuschießt, sei ein erster Schritt, sagt der Rathauschef. Ihm fehlten aber "eine langfristige Perspektive und Planungssicherheit". Und es sei nur eine einmalige Zahlung. "Aber wir werden nächstes Jahr eine ähnliche, wenn nicht noch dramatischere Situation haben." Dennoch sagt Neubibergs Bürgermeister in Anlehnung an Angela Merkel: "Wir als Kommune schaffen das." Er schränkt aber auch ein: "Unsere Schulen sind voll, unsere Krippen sind voll. Eine Unterkunft in dieser Größenordnung ist schulterbar. Aber irgendwann sind auch in Neubiberg die Kapazitäten erschöpft."

"Wir als Kommune schaffen das", sagt Neubibergs Bürgermeister Thomas Pardeller. (Foto: Sebastian Gabriel)

Die Unterkunft für mehr als 400 Menschen in Neubiberg ist aktuell die größte im Landkreis München, weitere, ähnlich ausgelegte Bleiben gibt es in Unterschleißheim, Unterhaching oder Unterföhring. Diese werden längerfristig benötigt. Derzeit leben mehr als 7600 Geflüchtete im Landkreis München - die allermeisten, mehr als 4600, stammen aus der Ukraine. Dass der Landkreis ihre Unterbringung so gut bewältigt, liegt auch daran, dass etwa zwei Drittel aller ukrainischen Schutzsuchenden privat und nicht in Unterkünften des Landkreises untergekommen sind.

Die Grünen-Landtagsabgeordnete Claudia Köhler aus Unterhaching sieht den Landkreis München, was den Aufbau von Unterkünften angeht, gut aufgestellt. Das zusätzlich vom Bund bereitgestellte Geld begrüßt sie dennoch, auch wenn der Landkreis nicht lauthals nach noch mehr Geld schreie. Sie sieht die Probleme an anderer Stelle: "Was wir brauchen, ist mehr Platz für die Unterbringung und eine bessere Organisation. Und eine sinnvolle Gestaltung der Zuwanderung. Wir sind auf Hilfs- und Fachkräfte angewiesen." Helfen könnte dabei nach Ansicht Köhlers eine Digitalisierung der Ausländerbehörden.

Im Landratsamt wären laut Göbel 68 weitere Mitarbeiter nötig

Welch enormer Aufwand mit der anhaltend hohen Zuwanderung verbunden ist, spürt Landrat Göbel in der Kreisverwaltung. Alleine im Bereich der Ausländerbehörde bräuchte er nach eigenen Worten 68 zusätzliche Stellen, um alle Aufgaben bewältigen zu können. "Aber die bekomme ich weder vom Freistaat noch vom Kreistag. Ich presse die Kapazitäten aus anderen Abteilungen zusammen, aber das geht auf Dauer nicht gut", so der Landrat.

Dass der Bund-Länder-Gipfel sich in zentralen Fragen auf November vertagt hat, ist in seinen Augen "nicht nachvollziehbar", denn das Problem der Zuwanderung werde nicht einfach vergehen. Daran glaubten nicht einmal jene ernsthaft, die von einer europäischen Lösung, von Schnellverfahren an den EU-Außengrenzen oder Haftzentren redeten. "Stattdessen müssten wir uns über Fluchtursachenbekämpfung unterhalten, über Entwicklungshilfe", so Göbel. "Doch davon ist überhaupt keine Rede."

Auch nach Ansicht von Ismanings Bürgermeister Alexander Greulich (SPD) gibt es in der Frage der Zuwanderung keinen wirklichen "Willen zur Lösung, außer dass man immer sagt, die Kommunen schaffen das schon." Dabei müssten diese immer mehr Aufgaben bewältigen, um das System aufrechtzuerhalten. Dass nun mit zusätzlichem Geld aus Berlin alle Probleme gelöst würden, sei eine Illusion.

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