Kommunalpolitik:Es ruckelt noch bei der Digitalisierung

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Seit einem Jahr streamt der Bezirksausschuss Schwabing-Freimann seine Sitzungen (Bild) und tagt mittlerweile auch in Eigenregie in hybrider Form. Nun hat der Berg am Laimer Bezirksausschuss mit städtischer Unterstützung eine hybride Sitzung rechtskonform erprobt. (Foto: Florian Peljak)

Viele Stadt- und Gemeinderäte zögern, ob sie die neue Möglichkeit von Hybridsitzungen nutzen sollen. Die ersten Erfahrungen in Unterföhring und Haar sind ganz unterschiedlich.

In der Arbeitswelt haben sich die allermeisten längst an die neue Realität gewöhnt: Online-Konferenzen, große Runden, die - jeder einzeln vor seinem Bildschirm - diskutieren, schnelle Absprachen via Video-Chat. Und selbst für Kulturschaffende war der Weg vom Analogen ins Digitale zwar ein schmerzhafter, aber gangbarer Weg. Der Auftritt auf der Bühne, aber kein Publikum im Saal, sondern daheim vor dem Handy oder Tablet. Die Corona-Krise hat wie ein Beschleuniger bei der Digitalisierung gewirkt. Nur die Kommunalpolitik hinkt etwas hinterher. Bisher hat kaum ein Gemeinderat eine sogenannte Hybrid-Sitzung abgehalten - ein paar wenige Gemeinderäte samt Bürgermeister im Sitzungssaal und der Rest zuhause vor dem Computer. Und das, obwohl die rechtlichen Grundlagen für Online-Sitzungen mittlerweile gegeben wären. Ein Blick in ausgewählte Ratssäle des Landkreises.

Unterföhring

Die Mediengemeinde Unterföhring ist eine der ersten Kommunen im Landkreis, in denen die Sitzungen des Gemeinderats und seiner Ausschüsse im Hybridformat stattfinden. Die Premiere in der vergangenen Woche ist geglückt. Im großen Saal des Feststadels saßen Bürgermeister Andreas Kemmelmeyer (Parteifreie Wählerschaft), Bauamtsleiter Lothar Kapfenberger und drei langjährige Gemeinderäte sowie eine Handvoll Zuhörer, während die anderen Mitglieder des Bauausschusses von daheim aus die Zusammenkunft verfolgten.

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Die Beratungen und Abstimmungen liefen problemlos. Unterföhring hat für die Hybridsitzungen, die vorerst bis September beschlossen sind, eine 4K-Kamera angeschafft, mit der das Geschehen im gesamten Saal übertragen werden kann. Gemeinderäte, die digital teilnehmen, müssen laut Beschluss sicherstellen, dass im nichtöffentlichen Teil die Geheimhaltung gewahrt bleibt, also daheim niemand über die Schulter schaut, wenn es etwa um Grundstücksverhandlungen oder Verträge geht. Da Sitzungen nicht per Livestream übertragen werden, müssen Bürger weiter in den Feststadel kommen.

Haar

In Haar war schon live zu erleben, was bei Hybridsitzungen alles schiefgehen kann. Die Stimme von Bettina Endriss-Herz (CSU) war verzerrt zu hören, als sie zugeschaltet war, dann war die Leitung komplett unterbrochen. Die technischen Probleme, die es bei Probeläufen gab, wurden schließlich behoben. Doch auch als Endriss-Herz jüngst im Gemeinderat mit abstimmen durfte, ruckelte es. SPD-Fraktionschef Thomas Fäth monierte, dass die Gemeinderatskollegin in ihrem Wohnzimmer am Laptop zwischenzeitlich nicht zu sehen gewesen sei. Wie sie abgestimmt hatte, musste Bürgermeister Andreas Bukowski (CSU) immer nachfragen.

Eine elektronische Anzeige wird noch angeschafft. Tatsächlich ist eine Bedingung, wenn Gemeinderäte von zu Hause aus teilnehmen und abstimmen wollen, dass jederzeit auch Sichtkontakt zu ihnen besteht. Sobald dieser unterbrochen ist, muss der Sitzungsleiter die Sitzung unterbrechen. Vorerst hat Haar befristet bis Ende des Jahres Hybrid-Sitzungen ermöglicht. Live-Streams ins Netz sind aktuell nicht beabsichtigt.

Unterschleißheim

Die große Mehrheit im Unterschleißheimer Stadtrat warnt davor, die Dinge übers Knie zu brechen. Vor einer Entscheidung darüber, ob Stadträte zu Sitzungen zugeschaltet werden können, wird sich der Ältestenrat des Stadtrats mit dem Thema befassen. Auch die Frage, ob Sitzungen live für alle im Netz übertragen werden, soll so vorberaten werden. Thomas Breitenstein (SPD) warnte im Stadtrat davor, die "Debattenkultur" zu zerstören. Sitzungen in Präsenz hätten eine "Qualität", die verloren zu gehen drohe.

Annegret Harms (SPD) gab zu bedenken, dass Stadträte ihre Unbefangenheit bei Wortmeldungen verlieren könnten, wenn diese im Netz gestreamt würden. Manfred Riederle (FDP) empfahl der SPD daraufhin, "im 21. Jahrhundert" anzukommen. Jürgen Radtke (Grüne) sprach sich für Übertragungen im Netz aus, um die Bürgerbeteiligung zu stärken. Die Rathausverwaltung warnte wiederum davor, den Aufwand für die Vorbereitung von Hybridsitzungen zu unterschätzen. Es fielen etliche Personalstunden an.

Garching

Die Sitzungen des Garchinger Stadtrats bleiben vorerst reine Präsenzveranstaltungen. Dafür hat sich das Gremium nach längerer Debatte jüngst ausgesprochen. Jedoch soll die Verwaltung detaillierter prüfen, welche Möglichkeiten es für ein Live-Streaming gibt. Die Kommunalpolitiker sahen keine akute Notwendigkeit, Hybridsitzungen einzuführen, zumal noch Fragen zu klären wären, insbesondere hinsichtlich des Datenschutzes, der praktischen Handhabe und der technischen Ausstattung. Auch die Kosten für ein Kamerasystem sind ein Thema. "Wir machen uns damit mehr Probleme, als wir lösen", sagte Dritter Bürgermeister Joachim Krause (SPD).

Albert Biersack (CSU) verwies zudem auf den Wert des direkten Austauschs im Gremium. Aus Gesichtspunkten der Inklusion, da waren sich viele Räte einig, sei es wert, über die Teilnahme von außerhalb nachzudenken. Hybridsitzungen sofort in allen Kommunen einzuführen, sei hingegen ein "Schnellschuss" der Landesregierung, befand Hans-Peter Adolf (Grüne). Nun will die Stadt abwarten und aus den Erfahrungen der Nachbarkommunen lernen. Garching solle, was einen Livestream angeht, die Erfahrungen der Partnerkommune Lørenskog in Schweden einholen, die dies seit Jahren praktiziere, regte Michaela Theis (Bürger für Garching) an. Baierl und Biersack gaben zu bedenken, dass mit Streamingaufnahmen im Netz Schindluder getrieben werden könne.

Unterhaching

In Unterhaching hat die Rathausverwaltung auf Antrag der CSU eine mögliche Änderung der Geschäftsordnung ausgearbeitet, um zukünftig Hybridsitzungen möglich zu machen. "Das ist schon überfällig", findet CSU-Sprecher Korbinian Rausch. Das Gremium hat in der jüngsten Sitzung darüber diskutiert und ist sich insofern einig, dass dies eine gute Möglichkeit ist, um Gemeinderatsmitgliedern, die aus beruflichen oder familiären Gründen nicht im Sitzungssaal anwesend sein können, eine Teilnahme zu ermöglichen. Nur über die Frage, wie viele sich gleichzeitig digital von außen zuschalten können, und welche Anzahl an Räten Präsenz zeigen müssen, gibt es unterschiedliche Ansichten.

Die Verwaltung hatte eine Maximalzahl von sechs Online-Teilnehmern vorgeschlagen - aus jeder Fraktion einen. Dies allerdings finden viele zu wenig. Insbesondere bei den großen Fraktionen wäre das ein geringer Anteil, während es bei den Kleinen wie den Neos und der FDP die Hälfte der Mitglieder beträfe. Während Peter Hupfauer (FDP) diese Höchstzahl begrüßt, weil er "ein großer Anhänger der Präsenz" ist, findet Claudia Töpfer (Neos), die Gemeinde sollte sich da mehr Flexibilität zulassen. "Hybrid heißt 50:50. Wir sollten es daher nicht auf sechs Mitglieder begrenzen", sagte auch Armin Konetschny (Grüne). Bürgermeister Wolfgang Panzer (SPD) gab zu bedenken, dass alle Anwesenden die Nichtanwesenden sehen müssen und umgekehrt. Dass das technisch möglich ist, bezweifelt er nicht. Doch: "Man braucht eine bestimmte Anzahl, um abstimmungsfähig zu sein." Daher müsse man mehr als 50 Prozent im Sitzungssaal haben. Bis Juni soll die Verwaltung eine vollständige Änderung der Geschäftsordnung erstellen.

Taufkirchen

Im November hat der Taufkirchner Gemeinderat die Weichen gestellt, um Sitzungen künftig live im Internet zu übertragen. Bis es aber so weit ist, wird wohl noch längere Zeit verstreichen. Und auch Hybridsitzungen, bei denen ein Teil des Gemeinderats den Treffen digital beiwohnt, werden so schnell nicht möglich sein. "Wir schauen jetzt erst mal, dass wir eine gescheite Technik herbekommen", sagte Hauptamtsleiterin Martina Kraft in der jüngsten Sitzung. Sie hatte zuvor von einem holprigen Probelauf berichtet. In Ermangelung einer Kamera hat man dabei auf Videotelefonie gesetzt. Probleme bereitete die Mikrofonanlage im Saal. "Teilweise hat man gar nicht verstanden, was gesagt wurde", berichtete Kraft. Sie sprach sich gegen "hemdsärmelige Übergangslösungen" aus. Gleiches gelte für die geplante Liveübertragung. Das Vorhaben geht auf einen Vorstoß von FDP und Freien Wählern zurück. Voraussetzung für einen Livestream ist die Zustimmung der 24 Gemeinderäte plus Bürgermeister. Bislang, so Kraft, lägen ihr 15 solcher Erklärungen vor.

Kreistag

Geht es rein nach der Größe, besteht im Kreistag, dem mit 71 Mandataren mitgliederstärksten kommunalen Gremium, die größte Ansteckungsgefahr. Das hat auch die FDP-Gruppe im Gremium erkannt und bereits zwei Anträge gestellt, um die Möglichkeit zu eröffnen, Hybrid-Sitzungen abzuhalten. Den Liberalen geht es um den Gesundheitsschutz, aber - klassische FDP-Forderung - auch um einen Schub bei der Digitalisierung. Der Antrag wurde zwar nicht abgelehnt, aber in einen Prüfantrag umgewandelt, der Ältestenrat des Kreistags hat ihn beraten und die Verwaltung im Landratsamt beauftragt, ein entsprechendes Konzept zu entwickeln. Das ist dem Gremium immer noch nicht vorgelegt worden. Ohnehin gilt Landrat Christoph Göbel (CSU) nicht gerade als Verfechter von Online-Sitzungen. Das größte kommunale Gremium und seine Ausschüsse tagen nach wie vor in den größten Sälen des Landkreises - wie gehabt in Präsenz.

© SZ vom 27.05.2021 / sab, belo, gna, hilb, stä, müh - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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