Krieg in der Ukraine:Bilderbuch-Reise von Czernowitz nach Pullach

Lesezeit: 3 min

Eveline Petraschka mit den eingetroffenen Büchern. (Foto: privat)

Zwei Kisten mit Kinderbüchern für geflüchtete ukrainische Mädchen und Buben sind nach mehrtägigem Trip im Isartal angekommen. Organisiert haben die Aktion zwei literaturverliebte Frauen aus den beiden Orten.

Von Udo Watter, Pullach

Bücher können vielleicht keine Leben retten, aber sie können Welten erschaffen. Wenn Zeilen zum Leben erwachen, verblasst die schnöde Wirklichkeit um einen herum. Wenn spannende Geschichten ins Kopfkino Eingang finden, verwandelt Vorstellungskraft die Gegenwart in Geborgenheit - kleinere Leser und Zuhörer lieben es dazu noch, in bunte, fantasievolle Bilder einzutauchen.

In Pullach sind vor einigen Tagen zwei Kisten mit 80 Büchern eingetroffen, die mutmaßlich viele Kinderherzen höher schlagen lassen werden. "Wunderschöne Bilderbücher", wie Eveline Petraschka, die Leiterin der Charlotte-Dessecker-Bücherei, schwärmt. Sie sind für Kleinkinder und Heranwachsende gedacht, die nach der Flucht im Isartal gelandet sind: Bücher auf Ukrainisch, in kyrillischer Schrift, auch gut zum Vorlesen geeignet. Von fantastischen Gute-Nacht-Geschichten über "Die große Katzenverschwörung" bis zu der kindgerechten Behandlung der Fragen "Was ist Gott?" und "Was ist Liebe?". Petraschka ist eine der Drahtzieherinnen dieser Bücherreise, die von Czernowitz in der Westukraine über mehrere Tage nach Pullach führte.

Ausgangspunkt war das Anliegen mehrerer Pullacher Familien, die geflohene ukrainische Familien bei sich aufgenommen haben, für ihre Gäste Kinderbücher auf Ukrainisch zu besorgen, und die eine entsprechende Anfrage an die Bücherei richteten. Viele der Kriegsflüchtlinge haben ja nur das Allernötigste mitgenommen, leichtes Gepäck war ein zwingendes Gebot, und allenfalls haben sie erstaunlich viele Haustiere mit eingepackt - Bücher nur selten. "Die Familien konnten ja nichts mitnehmen", sagt Petraschka. Den Mangel hierzulande zu beheben, ist offenbar gar nicht so einfach. "Es ist wahnsinnig schwierig, an ukrainische Bücher zu kommen", so Petraschka.

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Die Büchereileiterin, die regelmäßig Lesungen veranstaltet und in der Literaturwelt gut vernetzt ist, nutzte freilich ihre Kontakte, um Abhilfe zu schaffen. 2016 hatte sie die Lesereihe "Die Ukraine zu Gast" organisiert, bei der unter anderem der wohl derzeit populärste ukrainische Autor Serhij Zhadan - dessen Roman "Die Erfindung des Jazz im Donbass" von der BBC zum ukrainischen Buch des Jahrzehnts gekürt wurde (2005 bis 2014) - im Pullacher Bürgerhaus gastierte. Mitorganisatorin war damals die in Czernowitz lebende Kulturmanagerin und Literaturagentin Evgenia Lopata. Der Kontakt war seither nie abgerissen. Lopata, die neben ihrer Arbeit als Übersetzerin (sie sprich unter anderem fließend deutsch) Geschäftsleiterin von Meridian Czernowitz ist und 2015 mit dem Preis "Junge Europäerin des Jahres" von der Schwarzkopf-Stiftung prämiert wurde, war sofort von der Idee angetan und leitete alles in die Wege.

Sie organisierte zwei Boxen voll mit den gewünschten Kinderbüchern, übergab sie zwei Männern, die sich mit ihrem Kleinbus über Rumänien auf den Weg Richtung Westen machten und als Zielort Lübeck anpeilten (wo die dortige TU eine Partnerschaft mit der Universität in Czernowitz unterhält). "Die Bücher sind auf dem Weg und das ist die beste Nachricht heute, die mich inspiriert, dass eure Leserinnen und Leser die Bücher vor Ort haben werden!", mailte die 28-Jährige nach der Abfahrt an Petraschka. Die bangte, ob alles klappen würde - immerhin war der pannenanfällige Kleinbus auf der vorherigen Fahrt zweimal liegengeblieben.

Evgenia Lopata mit einer Bücherkiste in Czernowitz: Die Kulturmanagerin hat den Transport organisiert. (Foto: privat)

Es klappte - sogar noch rechtzeitig vor Ostern: Den erwünschten Abstecher nach Bayern machten die Fahrer zwar nicht, aber nachdem sie in Lübeck angekommen waren, wurden die Bücher einen Tag später von dort per Post nach Pullach geschickt. Dort sind sie bereits inventarisiert (die Katalogisierung fällt aufgrund der kyrillischen Schrift schwerer) und bereit für die Nutzung. Geplant ist es von Büchereiseite aus, etwa kleine Boxen und Überraschungskisten zusammenzustellen und für die Rezipienten (die Werke sind empfohlen für Mädchen und Buben im Alter zwischen zwei und elf Jahren) vorzubereiten. Neben Petraschka, die auch den örtlichen Partnerschaftenverein "Pullach - Baryschiwka und Beresan" einbeziehen will, hat noch Anna Brenner, verantwortlich für die Kinderbücherabteilung in der Bücherei, tatkräftig mitgewirkt. Von der Gemeinde Pullach kam finanzielle Unterstützung.

Als Freund der Literaturgeschichte könnte man der Reiseroute der Bücher im Übrigen noch eine besondere Symbolik attestieren. Czernowitz, die traditionelle Hauptstadt der Bukowina, ist ja ein Ort mit einer beeindruckenden Kulturgeschichte, vor allem einer großen jüdischen (deutschsprachigen) Vergangenheit. Der Dichter Paul Celan ("Todesfuge") ist dort geboren, auch Rose Ausländer oder die jüngst wieder entdeckte Lyrikerin Selma Meerbaum-Eisinger. Auch der Etappenort Lübeck passt gut in den literaturhistorischen Kontext: Die Hansestadt an der Ostsee ist als Geburtsort von Thomas und Heinrich Mann bekannt, und war lange Zeit Wohnort von Günter Grass.

Zu sehr überhöhen muss man die Reise zweier Bücherkisten angesichts eines verheerenden Krieges natürlich nicht. "Es ist ein kleines Pflasterchen", sagt Petraschka. Aber immerhin: Auch solche Details sind wichtig. Da die Bücherei einige der Kinderbücher auch auf Deutsch im Fundus hat, will sie demnächst eine Lesung organisieren: Bei der soll dann in beiden Sprachen vorgelesen werden. Evgenia Lopata habe sich derweil über die Ankunft der Bücher sehr gefreut. "Sie ist toll", sagt Petraschka, "Irgendwann möchte ich sie in Czernowitz besuchen."

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