Fachkräftemangel:Ein Wirtshaus geht in den Zwangsurlaub

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Novum in der Geschichte des Gasthofes zur Mühle in Ismaning: Das Traditionslokal muss bis Mitte August wegen Personalmangels in der Küche schließen. (Foto: privat)

Weil Personal fehlt, bleibt im Gasthof "Zur Mühle" in Ismaning die Küche die nächsten Wochen kalt. Auch andere Gaststätten müssen mangels Mitarbeitern Ruhetage einführen, die Gewerkschaft fordert unterdessen eine bessere Bezahlung in der Gastronomie.

Von Sabine Wejsada, Ismaning

So etwas ist in der seit mehr als 125 Jahren währenden Geschichte des Gasthofes zu Mühle in Ismaning bislang noch nicht dagewesen: Das Restaurant samt Bedienbereich auf der Terrasse muss schließen, und zwar von Montag, 31. Juli, bis 15. August. Der Grund: Weil sich bislang kein Nachfolger für den langjährigen und jetzt Ende des Monats in den Ruhestand verabschiedeten Koch hat finden lassen, bleibt die Küche kalt - ein Novum in der langen Geschichte des Traditionsgasthofes. Der Biergarten ist während der Zwangspause bei schönem Wetter aber geöffnet, um die Stammgäste nicht vor den Kopf zu stoßen.

Wie auch anderen Gaststätten im Großraum München macht der herrschende Personalmangel in der Gastronomie der Ismaninger Mühle schwer zu schaffen. "Wir verabschieden im Juli einen unserer Köche in den wohlverdienten Ruhestand und finden seit Monaten trotz intensivstem Suchen keinen Ersatz", schreibt Wirtin Sandra Seidl auf Facebook. Viele Köche seien in Kantinen gewechselt oder wollten kein À-la-carte-Geschäft mehr machen. In vielen Restaurants gebe es deshalb bereits sogenannte Convenience-Ware, also Vorgefertigtes, das nur noch aufgewärmt werden muss, "und das schmeckt der versierte Gast". Im Restaurant des Hotel-Gasthofes zur Mühle werde frisch gekocht. Zugekaufte Spätzle würden die Gäste auf den Tellern in dem Ismaninger Traditionslokal nicht serviert bekommen, sagt Sandra Seidl der SZ.

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"Der Service war im vergangenen Sommer das Problem, diesen Sommer ist es die Küche", so Seidl. Die Gäste verstünden das oft nicht auf den ersten Blick, denn sie sähen ja, dass genügend Tische vorhanden seien - aber die könne die Küche mangels Personal nicht mit Essen versorgen, so Seidl. Auf Facebook bittet sie deshalb ihre Follower und Gäste, sie bei der Suche zu unterstützen: "Wer die Mühle also liebt und uns gerne helfen möchte, schickt uns am besten gleich zwei nette und gute Köche, die Lust aufs Kochen haben! Mit unserer Küchenmannschaft kann man/frau richtig was lernen!" Und weiter: "Und Sie, liebe Gäste, sind der beste Beweis, dass es in der Mühle schmeckt! Das soll so bleiben! Also helfen Sie mit... wir danken es Ihnen."

Der Biergarten der Wirtsleute Sandra und Anton Seidl bleibt bei schönem Wetter geöffnet. (Foto: Sebastian Gabriel)

"Im Sommer haben wir noch nie zu gehabt", sagt Seidl im Hinblick auf die anstehende zweiwöchige Zwangspause. Dass man im vergangenen Jahr zum ersten Mal an den Weihnachtsfeiertagen geschlossen hatte, sei nach einem starken Sommergeschäft nach der Corona-Zeit das Geschenk an die Mitarbeitenden gewesen. Auch die Familie selbst habe dies genossen, deswegen wird auch heuer wieder zu Weihnachten zu sein, so Seidl. Um die vakante Stelle in der Küche für eine Bewerberin oder einen Bewerber möglichst attraktiv zu machen, habe man man feste Schließzeiten eingeführt. Natürlich könne auch "etwas von den Ferien abdeckt werden, etwa Fasching und Allerheiligen" - Stichwort: Familienfreundlichkeit. Die Zeiten, zu denen Gäste im Restaurant der Mühle abends etwas Warmes zu essen bekommen, hat die Wirtsfamilie schon während der Pandemie reduziert. Die Küche schließt um 21 Uhr.

Dass Wirtinnen und Wirte Ruhetage einführen, muss per se nichts Schlechtes sein, sagt Angela Inselkammer, die Präsidentin des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga). In ihrer Gastronomie in Aying haben sie das auch gemacht, vor mehr als anderthalb Jahren, als es an Personal mangelte. Das Restaurant im Brauereigasthof ist zu Wochenbeginn für zwei Tage zu und nur noch von Mittwoch bis Sonntag geöffnet. Früher wäre das kaum vorstellbar gewesen, heute aber wolle man das nicht mehr zurückdrehen, obwohl man mittlerweile wieder genügend Leute habe, so die Dehoga-Chefin.

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Lange Zeit sei es vor allem in der Gastronomie "cool" gewesen, sich kaputt zu arbeiten, sagt Inselkammer. Jetzt hätten viele Wirte erkannt, dass sie sorgsamer mit sich und auch ihrem Personal umgehen sollten. Freilich müssten Leistungen erbracht werden, die Gäste wollten ja verwöhnt werden - und zwar von "mit Leidenschaft kochenden Menschen". Inselkammer setzt sich nicht zuletzt deshalb dafür ein, dass im Hotel- und Gastgewerbe flexible Arbeitszeiten gelten, die sich nach dem jeweiligen Lebensmodell von Mitarbeitenden richten. Zum Beispiel, dass Menschen, wenn sie denn wollten, an vier Tagen die Wochenarbeitszeit von 40 oder mehr Stunden absolvieren, und dann frei haben. Nach den Worten von Inselkammer könne man so auch ein Pendant zum Home-Office schaffen für all jene, deren Beruf die Heimarbeit ausschließt, wie etwa in der Gastro oder in der Pflege. Die Gastronomie sei "ein schöner Beruf" mit zahlreichen Perspektiven, sagt Inselkammer: "Wir müssen dafür werben, dass ihn mehr junge Leute ergreifen." Und dann auch bei der Stange bleiben.

Die Gewerkschaft beklagt schlechte Arbeitsbedingungen

"Die Situation ist nach unserer Kenntnis verheerend", lautet indes die aktuelle Einschätzung der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) für die Region München. So führe der Personalmangel dazu, dass die noch Verbliebenen immer wieder kurzfristig einspringen müssten. Wegen der Überlastung würden viele Beschäftigte der Branche dauerhaft den Rücken kehren. "Das ist eine Abwärtsspirale, die unter den jetzigen Bedingungen nicht aufzuhalten ist", so Gewerkschaftssekretärin Christin Schuldt.

Die NGG beklagt eine viel zu geringe Bezahlung und schlechte Arbeitsbedingungen, die die Beschäftigten widerspruchslos akzeptieren müssten. Die Forderung der NGG-Tarifkommission bei den Verhandlungen 2021, wonach eine ausgebildete Fachkraft wie eine Köchin oder ein Koch auf ein Bruttoentgelt von mindestens 3000 Euro kommen muss, habe der Bayerische Hotel- und Gaststättenverband abgelehnt, laut dem Kompromiss über eine schrittweise Erhöhung liege das Tarifgehalt seit April dieses Jahres bei 2622 Euro. Dass der Tarifvertrag noch immer die Ausnahme und nicht die Regel sei, erschwere die Lage. Und: Wertschätzung sehe anders aus.

Dass sich, wie von der Gewerkschaft beobachtet, derzeit immer weniger junge Menschen für das Gastgewerbe entscheiden würden, liege auch daran, dass sich die Ausbildungsvergütungen von anderen Branchen nicht erheblich unterscheiden - trotz Wochenend- und Feiertagsarbeit, die aber nicht besonders vergütet wird. So lange es hier keinen spürbaren Wandel gebe, werde sich die Lage nicht bessern, so die NGG.

In einer früheren Version hieß es fälschlich, dass der Gasthof in Ismaning von Donnerstag, 31. Juli, an geschlossen sei. Der 31. Juli ist natürlich ein Montag.

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